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„Du siehst so traurig aus“, sagte Taniane. „Es ist enttäuschend, nicht?“

„Ach, da draußen gibt es massenhaft Sachen. Bald werde ich was finden.“

„Ich bin sicher, daß du das tust.“ Taniane schien sich stark für seine Explorationen zu interessieren. Er fragte sich, warum. Vielleicht hatte er auch sie unterschätzt. Sie war inzwischen größer als er und wuchs rasch weiter, und ihr Verstand schien sich zu dehnen und zu vertiefen und in alle Richtungen zu strecken. In ihren Augen lag ein ungewöhnlicher Ausdruck, ein seltsames forschendes Leuchten, das auf verborgene Kompliziertheit schließen ließ. Es war, als wäre ihre fullenhafte Mädchenhaftigkeit nur die Maskierung für etwas dunkler Fremdartiges. Eines Tages bat sie ihn, er möge ihr das Lesen beibringen, was ihn ziemlich überraschte. Also begann er sie zu unterrichten. Er gewann ein unerwartetes Vergnügen daraus, wenn er mit ihr an einen stillen Ort, fern von den anderen, sich zurückzog und ihr die Geheimnisse der geheiligten Kunst erläuterte. Dann jedoch kam einige Zeit später auch Haniman und bekundete Interesse am Lesenlernen, und das verdarb natürlich alles. Hresh konnte ihn schlecht zurückweisen, doch damit fanden auch die Stelldicheins mit Taniane ein Ende, denn er verfügte nicht über genug Zeit, um beiden Privatunterricht zu erteilen, und nach einiger Zeit kam er auf den Gedanken, daß Haniman ihn genau aus diesem Grund darum gebeten hatte.

Das große Rund der Jahreszeiten drehte sich weiter. Den milden Regenwinter löste eine trockenere, heißere Zeit ab, und danach kam eine Zeit voll kühler Winde aus dem Osten und kündigte die Wiederkehr des Winters an. Unerschütterlich zog Hresh weiter suchend durch die Ruinenstadt. Durch eine staubige leere Haushülse nach der anderen stöberte er und fand nichts. Er kochte vor Ungeduld. Er fragte sich, ob er jemals irgend etwas Verwendbares finden werde.

Allmählich sah es nämlich so aus, als sei Vengiboneeza vollkommen nutzlos.

Aber was war dann mit den Weissagungen im Buch des Weges? Waren sie bloßer Lug und Trug? Und angenommen, er entdeckte niemals etwas in diesen Ruinen, wie es mehr und mehr den Anschein hatte? Bedeutete dies dann, daß die Schätze der Stadt wahrhaftig ausschließlich den wirklich Menschlichen vorbehalten bleiben sollten, wer immer und wo immer die sein mochten? Und daß also die Leute vom Volk in Wirklichkeit doch nichts anderes waren als arrogante aufmüpfige Affen, die sich zur Krone der Schöpfung hochstilisierten und in einen Rang erhoben, in dem sie nichts zu suchen hatten?

Hresh kämpfte erbittert gegen diese niederschmetternde Schlußfolgerung an. Jedoch tauchte sie wieder und immer wieder aus den Tiefen seines Denkens herauf und quälte ihn.

Er suchte immer weiter und immer ferner und ferner von der Niederlassung des Stammes. Inzwischen wanderte er oftmals zu weit, als daß er am selben Tag noch hätte zurückkehren können, und er ersuchte um die Erlaubnis und erhielt sie, an irgendwelchen allzu weit entfernten Forschungsstätten über die Nacht ein Lager errichten zu dürfen. Für solcherlei Exkursionen mußte er zwei Leibwächter mit sich nehmen, in der Regel Orbin und Haniman, auf daß einer während der nächtlichen Stunden wachbleiben und Wache halten könne. Doch stießen sie nie auf Gefahren, auch wenn gelegentlich ein streifendes Dschungeltier äsend vorbeizog und ein-, zweimal eine Affenhorde lärmend durch die oberen Geschosse der umliegenden Gebäude tobte, sich durch die leeren Fensterhöhlen hantelte und wütend von einer Zinne zur nächsten sprang.

Die Ausmaße und die Vielschichtigkeit der Stadt verwirrten Hresh noch immer, doch nach Ablauf eines Jahres, oder beinahe, kannte er sich darin weit besser aus als irgendwer sonst vom Volk. Er als einziger sah in Vengiboneeza nicht nur ein vollkommen unbegreifliches Labyrinth. Er teilte die Stadt in Zonen auf und begann jeden Sektor nach einem der Fünf Himmlischen, und jeden dieser fünf Sektoren unterteilte er wiederum in fünf bis zehn Unterbereiche, die er nach Angehörigen des Stammes benannte. Sodann fertigte er eine schlichte auf einen alten Pergamentstreifen gezeichnete Planskizze der Stadt an, die er die ganze Zeit über mit sich trug.

Taniane sah den Plan einmal, als er ihn zufällig aus dem Leibgurt holte, und fragte: „Was ist denn das? Lernst du jetzt auch noch, wie man Bilder schreibt?“

„Ach, das ist weiter nichts von Bedeutung.“

„Darf ich’s mal anschauen?“

„Lieber nicht.“

„Ich lach dich auch bestimmt nicht aus, ich verspreche es dir!“

„Es — es ist was Heiliges“, sagte er lahm. „Das darf nur der Chronist ansehen.“

Er überlegte sich, warum er ihr wohl diese Lüge aufgetischt hatte. An dem Stadtplan war überhaupt nichts Heiliges. Ganz im Gegenteil, es bestand nicht nur kein Grund zur Geheimhaltung, sondern er wußte, daß er wahrscheinlich sogar noch Abschriften anfertigen sollte, damit auch die übrigen vom Volk endlich eine Art Grundbegriff von der Stadt bekämen. Doch irgend etwas in ihm ließ ihn zögern. Seine Kartenskizze verlieh ihm Macht über die Stadt — aber auch Macht über den Rest des Stammes. Die Lust, die er aus diesem Exklusivwissen gewann, war nicht besonders nobel, das wußte Hresh, doch war es ein unverfälschtes Vergnügen, und überhaupt, ihm gefiel es eben so.

An einem Tag im Frühwinter, als Hresh wieder einmal bis in die tiefsten Tiefen seiner Seele betrübt war über die enttäuschende Ergebnislosigkeit seiner fruchtlosen Suche, begab er sich wieder zum südlichen Haupttor, an dem er auf die drei künstlichen Riesen gestoßen war, die von den Saphiräugigen dort zurückgelassen worden waren. Sie standen noch immer am selben Ort, bei den großen Säulen aus grünem Stein, schweigend, bewegungslos, erhaben.

Er schritt um sie herum, bis er vor ihrem Angesicht stand. Und diesmal starrte er ohne Furcht oder Ehrfurcht zu ihnen hinauf.

„Wenn ihr etwas anderes als Maschinen wäret“, sagte er, „dann würdet ihr wissen, daß es reine Zeitverschwendung war, daß ihr hier diese ganzen Tausende von Jahren Wache geschoben habt.“

Das Ding zur Linken blickte ihn mit einem beinahe amüsierten Funkeln in den riesenhaften leuchtenden Augen an.

„Ist dies an dem und wahr, kleiner Affe?“

„Du sollst mich nicht so heißen! Ich bin menschlich! Ein Mensch!“ Hresh wies erzürnt auf das Monster in der Mitte, den Saphiräugigen, der Koshmar und ihrem Volk seinerzeit schließlich die Erlaubnis zum Betreten der Stadt gegeben hatte. „Du selber hast dies zugestanden! ‚Also seid ihr von nun an die Menschlichen‘ das hast du uns gesagt.“

„Ja, das stimmt“, sagte der Saphiräugige in der Mitte. „Ihr seid jetzt die Menschen.“

„Hast du das gehört?“ wandte sich Hresh an den Linken Riesen.

„Ich habe. Und ich stimme zu: Ihr seid von nun an die Menschen. Was immer ihr davon haben mögt. Aber warum sagst du, wir hätten unsere Zeit vergeudet, kleiner Affe?“

Hresh würgte seine Verärgerung hinunter.

Frostig sagte er: „Weil ihr Wache haltet über eine leere tote Stadt. In unseren heiligen Schriften steht, daß es hier nützliche und brauchbare Dinge aufbewahrt geben soll. Aber hier ist nichts außer zerstörten Gebäuden, Elend, Chaos, Staub und Abfall.“

„Eure Bücher sagen die Wahrheit“, sprach der mittlere Riese.

„Ich habe überall gesucht. Es ist nichts da. Die Bauten sind leer. Ein herzhaftes Niesen, und die halbe Stadt stürzt zusammen.“

„Du solltest tiefer schürfen“, sagte der Saphiräugige zur Linken.

„Und suche, forsche mit dem, was dir helfen kann zu finden, was du suchst“, ergriff der Riese rechter Hand zum erstenmal das Wort.

„Ich verstehe nicht. Sagt mir, was ihr meint.“

Das Zischelgeräusch ihres Gelächters rieselte auf ihn herab.