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Haniman sackte vor Verblüffung die Kinnlade nach unten, und er stierte ihn an.

„Und — wie war das?“

Hresh zuckte die Achseln. „Überwältigender als alles, was du dir jemals vorstellen kannst“, sagte er mit leiser, erschöpfter Stimme.

„Ja, sag doch! Sag es mir doch!“

„Später einmal.“

Haniman sagte dann nichts mehr. Aber nach einer Weile fing er erneut an. „Also, was wirst du jetzt machen? Was mußt du denn wissen, damit du diese Maschine in Gang setzen kannst?“

„Da kümmre du dich mal nicht drum“, sagte Hresh. „Was wir im Augenblick rauskriegen müssen, das ist, wie wir diesen Steinblock da dazu veranlassen können, wieder nach oben zu gehen, damit wir von hier wegkommen.“

In seinem heißen Eifer, die Höhle zu erforschen, hatte er diesem Problem überhaupt keine Beachtung geschenkt. Es war leicht genug gewesen, hier herunterzukommen; aber was sollten sie jetzt tun, um wieder hinaufzugelangen? Er nickte Haniman zu, und sie sprangen wieder auf die schwarze Steinplatte. Aber der Steinquader blieb reglos, wo er auf dem Boden der Höhle lag.

Hresh patschte mit den Handflächen auf den Stein. Ohne Ergebnis. Er tastete an den Kanten entlang, um vielleicht einen Hebel zu finden, der das Ding in Bewegung setzte, so etwas ähnliches wie das Rad, mit dem sie in der Vergangenheit die Luke des Stammeskokons geöffnet hatten. Aber es tat sich nichts.

„Vielleicht gibt’s ja ’nen anderen Weg nach oben“, schlug Haniman vor. „Eine Treppe, irgendwo.“

„Ja, und wenn wir vielleicht wild genug mit den Armen wedeln, dann können wir hier rausfliegen“, fuhr Hresh ihn scharf an. Er kniff die Augen zusammen und spähte in die Düsternis. Ein Hebel vielleicht, der aus der Wand ragt — du läufst rasch hin, ziehst ihn, saust zu dem Steinblock zurück.

Kein Hebel irgendwo. Also, was jetzt? Zu Yissou beten? Nun, Yissou selber hatte vielleicht auch keine Ahnung, wie man von hier wieder nach droben-draußen gelangen konnte. Oder er hatte kein Interesse daran, was mit zwei naseweis-neugierigen kleinen Jungen passierte, die sich hierher verlaufen hatten.

„Mensch, wir können doch nicht den ganzen Tag lang hier rumhocken“, sagte Haniman. „Komm schon, gehn wir da weg und schaun wir, daß wir was finden, was das Ding da bewegt! Oder aber ’nen andren Weg nach draußen. Wie willste denn eigentlich wissen, daß es nicht doch da irgendwo ’ne Treppe gibt?“

Hresh zuckte die Achseln. Schließlich, sich umzusehen, das kostete ja nichts. Also suchten sie in der entgegengesetzten Richtung den Höhlenboden ab, spähten da und dort die Sockel der Reliefgruppen ab, ob dort nicht ein Schaltapparat, eine Geheimtür, eine Treppe oder irgend etwas verborgen sei.

Plötzlich erklang ein stöhnender Laut, als ächzte und vibriere der Boden unter ihnen schwerfällig. Bestürzt und ängstlich blieben sie stehen und blickten einander an. In der dicken, stickigen und schalen Luft breitete sich ein Staubgeruch aus.

„Eisfresser?“ flüsterte Haniman. „Die sich von unten rauf zu uns durchbohren wie damals im Kokon?“

„Eisfresser? Hier?“ antwortete Hresh. „Nein, das kann nicht sein. Ich dachte, die leben bloß in Bergen. Aber (fer Untergrund wackelt, das stimmt. Und.“

Danach erklang ein Seufzen, wie er es bereits früher vernommen hatte, und darauf wieder ein tiefes qualvolles Stöhnen; und dann begriff Hresh, was da geschah. Nein, Eisfresser gab es hier keine. Die Geräusche, die sie da vernahmen, waren die der unsichtbaren Mechanismen, die sie in diese Tiefen herabgetragen hatten.

„Zum Stein!“ brüllte er. „Der geht ganz allein nach oben!“

Und wirklich hatte die Platte sich langsam zu heben begonnen. Verzweifelt rannte er auf sie zu. Sie war bereits bis zu seinen Knien aufgestiegen, als er die Kante packen und sich hinauf wuchten konnte. Er blickte sich nach Haniman um und sah, daß der ganz komisch schwerfällig und unbeholfen herumtapste, wie wenn er durch Wasser zu laufen versuchte. Es war wieder der Haniman von früher, der feiste, ungeschlachte Junge, aus dem sich Haniman herausgewachsen hatte; aber der feiste alte Haniman mochte ja verschwunden sein, doch war offensichtlich auch diese seine neue verbesserte Ausgabe immer noch langsam auf den Beinen. Hresh beugte sich über die Kante des Steinquaders und gestikulierte heftig zu ihm hin.

„Mann! Beeil dich doch! Das Ding geht hoch!“

„Ich — versuch — es — ja — “, grunzte Haniman, Kopf auf dem Brustbein und mit wirbelnden Armen.

Aber als Haniman dann endlich — eine Ewigkeit später — den Steinblock erreichte, war der bis in seine Schulterhöhe aufgestiegen. Hresh streckte die Arme nach unten, um ihn an den Handgelenken zu fassen. Er verspürte einen scheußlichen reißenden Schmerz, als würden ihm die Arme aus den Schultergelenken gekugelt, und einen Augenblick lang glaubte er, daß das Gewicht Hanimans ihn von dem Steinquader herunterzerren müsse. Aber irgendwie fand er auf dem glatten schmiegsamen Stein Halt und zerrte. Und mit einem entsetzlichen Übermaß an Krafteinsatz hievte Hresh Haniman hoch, bis der sich mit dem Kinn an der Kante des Steins festhalten konnte. Und danach war es leichter. Der Steinquader erhob sich in die dunkle Kuppel über ihnen. Seite an Seite lagen sie bäuchlings da, und sie keuchten alle beide, sie zitterten und waren ganz erschöpft. Nie zuvor hatte Hresh solche körperlichen Schmerzen gefühlt wie jetzt: über die ganze Länge seiner Arme hin, pochende, brennende, zuckende Schmerzen, die nicht aufhören wollten; und er hatte den starken Verdacht, daß die Geschichte noch schlimmer werden würde, ehe sie wieder heilte.

Der Steinquader glitt weiter und weiter aufwärts. Hresh faßte schließlich Mut und spähte über den Rand nach unten, über den Rand hinweg, und sah nur Dunkelheit dort; das Bernsteinlicht mußte wohl erloschen sein, kaum waren sie halbwegs in der Luft. Auch über ihnen — Finsternis! Doch es dauerte nicht lang, und sie waren wieder droben im Turm der Metallspiralen, und der Steinquader lag wieder festverankert und plan im Lehmboden des Erdgeschosses.

Stumm erhoben sich die beiden von dem Stein. Und ohne ein Wort wanderten sie den Weg zu ihrem Stamm zurück. Die Nacht war hereingebrochen, eine schwerlastende, sternlose, geheimniserfüllte Nacht. Hresh vermochte sich nicht zu erinnern, daß er sich je zuvor in seinem ganzen Leben dermaßen müde und ausgelaugt gefühlt hätte, nicht einmal an den allerschlimmsten Tagen des Langen Marsches. In seinem Kopf jedoch brannte der Widerschein der Bilder, die er in diesem einen kurzen Augenblick aus der Großen Welt in all ihrer Lebendigkeit geschaut hatte. Er wußte, er würde bald wieder in die Höhle unter dem Turm zurückkehren.

Nein, nicht sogleich, das nicht, so sehr er es sich auch ersehnte, denn ihm war klar, daß er für das nächstemal gewisse Vorbereitungen würde treffen müssen, ehe er es wagen durfte. Aber bald. Und dann würde er den Barak Dayir mitnehmen.

In den folgenden Tagen beobachtete Taniane Hresh und Haniman ausgiebig, denn sie spürte, daß denen bei ihrem jüngsten Erkundungsgang ins Herz der Stadt etwas Ungewöhnliches widerfahren sein müsse. Bei der Rückkehr hatten ihre Augen geleuchtet, und die Gesichter eine seltsame Verwirrtheit verraten. Hresh war direkt zu Koshmar gegangen und hatte dabei alle und jeden beiseitegeschoben, die mit ihm reden wollten, bevor er die Führerin gefunden hatte, als quelle er über von dringlichen Berichten. Aber als Taniane ihn dann später am Abend ausfragen wollte, was er denn gesehen habe, funkelte er sie an, als wäre sie eine Hjjk, und sagte fast wütend: „Nichts. Ganz und gar nichts.“

Ihr kam es so vor, als hätte sie schon ihr ganzes Leben lang sich bemüht, Hresh dazu zu bringen, daß er ihr etwas, irgendwelche von seinen Geheimnissen verrate, und daß er sie stets auf Armeslänge im Abstand von sich gehalten habe. Sie wußte natürlich, daß dieser Eindruck nicht ganz den Tatsachen entsprach. Damals, in den Tagen des Kokons, hatten sie oft zusammen gespielt, und er hatte ihr viel erzählt, verrückte phantastische Sachen über seine Visionen von der Welt draußen vor dem Kokon, seine Träume über das Leben in den Alten Zeiten oder seine Varianten von den Märchen, die der alte Chronist Thaggoran ihm weitergab. Nur zu oft war sie nicht fähig gewesen zu begreifen, wovon Hresh dann redete, oder aber es hatte sie einfach nicht genug interessiert. Und wieso auch? Damals war sie ja nur ein Kind gewesen. Alle waren sie nur Kinder gewesen, sie, Orbin, Haniman, auch Hresh. Aber Hresh war schon immer der Sonderling gewesen, der Andersartige, weit über die anderen hinaus und fern von ihnen, Hresh-der-Frager.