Выбрать главу

„Wer da?“

Stille.

„Ich hab dich gehört. Komm heraus, damit ich dich sehen kann!“

„Harruel?“ Die Stimme eines Mannes, tief und fest und vertraut.

Ja, wer sonst sollte ich denn sein? Bist du das, Konya?“

Aus der Finsternis kam ein Lachen. „Du hast ein gutes Ohr, Harruel.“

Konya tauchte auf und kam langsam nach vorn. Ein großer Mann, auch wenn er Harruel nur bis an die Schultern reichte; aber weil sein Brust- und Rückenumfang so beträchtlich war, wirkte er nicht so hochgewachsen, wie er in Wahrheit war. Im Stamm galt er als zweithöchster Krieger, und man vermutete allgemein, er sei Harruels Rivale und von Neid über dessen Vorrangstellung zerfressen. Und nur sie beide wußten, wie falsch eine solche Vermutung war. Konya war stark genug, sich bewußt zu sein, daß es keinerlei Schmach darstellte, nicht der Allerstärkste zu sein. Und sein Naturell war still, eher unzugänglich, aber ausgeglichen. Harruel gegenüber empfand er eine Achtung, die sich aus der natürlichen Ordnung der Dinge ergab, aber keineswegs Neid; und Harruel empfand seinerseits gleichfalls Respekt für ihn, auch wenn ihm bewußt war, daß Konya ihm nicht ebenbürtig sei.

„Also wanderst auch du heute nacht umher“, sagte Harruel.

„Ich konnte nicht einschlafen. Der Mond schien mir in meinem Bett zu grell in die Augen.“

„Jaja, im Kokon gab es solche Probleme nicht.“

„Nein“, sagte Konya mit einem leisen Lachen. „Der Mondschein machte uns keinen Ärger, als wir im Kokon lebten.“

Danach schritten sie eine Weile schweigend weiter. Es ging durch eine Straße von Trümmerbauten, deren goldgetönte Fassaden perverserweise völlig intakt waren. Vor leeren Fensterhöhlen rankte sich noch immer das elegante, feingeschnittene Maßwerk aus weißem Stein. Prachtvoll gearbeitete Türen und Tore standen halboffen und ließen dahinter Trümmer oder Leere erkennen. Dann stießen sie auf ein Gebäude, bei dem dies umgekehrt war: Hier war die Fassade zur Straße verschwunden, so daß man an dieser Seite jeden der zahlreichen Stöcke entblößt und offen sehen konnte, aber das Innere des Baus war intakt. Wortlos trat Harruel ein und begann aufwärts zu steigen, ohne zu wissen, wonach er suchte. Konya folgte ihm gehorsam.

Es bereitete einige Schwierigkeiten, die Treppen zu bewältigen, die für Saphiräugige konstruiert waren; die vertikale Stufung war dermaßen abgeflacht und niedrig, daß die ganze Konstruktion mehr einer Rampe als einer Treppe ähnelte. Aber bald hatte Harruel heraus, daß es einfacher war, zwei oder gar drei dieser Stufen hüpfend zu überwinden, und damit wurde der Aufstieg leichter. Den ganzen Weg aufwärts befanden sich an den Wänden Skulpturen, die einem den Blick verwirrten. Von der Seite her gesehen, schienen sie Abbilder und Gestalten lebendiger Wesen zu sein, Saphiräugige und Hjjks und andere Geschöpfe, die in den Tagen der Großen Welt gelebt haben mußten, aber wenn man direkt auf sie blickte, lösten sie sich in Linien ohne jegliche Bedeutung auf. Die Räumlichkeiten in diesem Gebäude waren leer. Es lag nicht einmal Staub darin.

Schließlich verengte sich der Treppenschacht zu einer Spirale, die sich um ein halbes Dutzend Wendeln aufwärts erstreckte und sie endlich auf das dunkelgedeckte flache Ziegeldach führte. Sie standen hier hoch über dem ganzen Stadtbezirk. Die Stadt lag hinter ihnen, nördlich. Der Blick nach Süden über die Dachbrüstung bot die dichtgedrängten Baumdickichte des Dschungels, die gespenstisch im scharfen Mondschein schimmerten.

In den Baumwipfeln regte es sich, es waren kleine knackende Laute vernehmbar.

„Da sind Affen“, sagte Konya.

Harruel nickte. Sie schwangen sich durch die Baumwipfel, kaum weiter als einen guten Steinwurf entfernt, diese kreischenden, stinkenden, schnatternden Dschungelwesen. Wie sehr er sie verabscheute! Er hörte ein Rauschen in seinen Ohren. Wenn er nur könnte, er würde durch diesen Dschungel ziehen, von Baum zu Baum, und sie allesamt mit seinem Speer aufspießen und ihre widerwärtigen kleinen Kadaver zu einem Haufen auftürmen, damit die schnüffelnden Aasfresser sich ein Festmahl bereiten könnten.

„Dreckiges stinkiges Zeug“, sagte Harruel. „Ich würd die am liebsten alle umbringen. Bloß gut, daß die sich aus der Stadt raushalten, meistens wenigstens.“

„Ich seh manchmal welche. Aber nicht viele.“

„Ja, ein paar, ab und zu. Ist ja nicht weiter schwer für die, hier reinzukommen. Die brauchen doch bloß da drüben die freie Stelle zu überwinden, und schon sind sie bei uns drinnen. Bloß gut für uns, daß es meistens jeweils nur einer oder zwei sind. Yissou, wie ich die verabscheue! Widerliches Dreckszeug!“

„Harruel, es sind doch bloß wilde Tiere.“

„Tiere? Schleimiges Ungeziefer sind sie. Du hast sie doch selber gesehen, ganz aus der Nähe. Die haben doch keine Seele. Die haben doch keinen Verstand.“

„Aber die Saphiräugigen am Tor sagten, daß sie unsere Verwandten, unsere Vettern sind.“

Harruel spuckte aus. „Dawinno! Glaubst du etwa so was Blödes?“

„Ja, aber sie sehen uns doch wirklich ein bißchen ähnlich.“

„Alles, was zwei Beine und zwei Arme hat und einen Schwanz und auf den Hinterbeinen geht, würde uns ähnlich sehen. Aber wir sind Menschliche, Konya, und sie — sie sind Tiere.“

Konya schwieg eine Weile. „Du glaubst also, das ist so, Harruel? Aber wie steht es denn damit, was der Saphiräugige gesagt hat, daß nämlich wir selber überhaupt keine Menschen sind, daß die Menschen überhaupt eine ganz und gar verschiedene Rasse waren — und daß wir nichts weiter sind als übermäßig eingebildete Affen?“

„Wir sind menschlich, Konya. Was sonst sollten wir denn sein? Hast du das Gefühl, du bist mit diesen Tieren verwandt, die da draußen an ihren Schwänzen baumeln?“

„Aber der Saphiräugige hat gesagt.“

„Ach, die Saphiräugigen sollen zu Dawinno fahren! Die sind nichts weiter als tote Lügner. Die wollen nichts, als uns Ärger machen!“ Harruel wandte sich Konya zu und funkelte ihn eisig an. „Schau maclass="underline" Wir, wir denken, wir reden, wir haben Bücher, wir kennen die Götter. Also sind wir Menschliche. Ich weiß das einfach. Und ich habe keinen Zweifel daran. Und es spielt für mich keine Rolle, was ein Saphiräugiger sagen mag. Außerdem, sie haben uns ja in die Stadt reingelassen, oder etwa nicht? Und diese Stadt ist aufbewahrt und vorbehalten den Menschlichen, die da kommen werden, wenn der Winter zu Ende geht. Das sagen die Prophezeiungen. Und der Winter ist zu Ende, und wir sind hier, und zwar mit dem Einverständnis der Drei Wächter. Also sind wir klar genau jene, die hierher kommen sollten. Die Menschen, heißt das.“

„Koshmar hat sie dazu bewogen, uns reinzulassen.“

„Bewogen — die? Wo die Zauberkräfte in Händen haben? Nein, Konya, das war nicht Koshmars Werk. Sie hätte den ganzen Tag lang auf sie einreden können, aber wenn die gedacht hätten, daß wir keine Menschlichen sind, die hätten uns nie und nimmer eingelassen. Nein, die haben uns den Zugang erlaubt, weil es unsere Bestimmung war, hierher zu kommen, unser Recht, hierher zu kommen, und das wußten sie. Mit ihren blödsinnigen Lügen wollten sie uns nur auf die Probe stellen, ob wir über ausreichend Herzensstärke verfügten, unser Recht einzufordern. Wenn Koshmar nicht das Maul aufgemacht hätte, dann hätte ich es getan, und sie hätten sich mir gefügt. Und wenn sie nicht nachgegeben hätten, dann hätte ich diese drei Saphiräugigen niedergestreckt, um uns den Zutritt hierher zu verschaffen.“

Nach einem weiteren längeren Schweigen fragte Konya: „Du hättest sie niedergestreckt? Wo die doch Zauber in den Händen haben?“

„In diesem Speer steckt auch ein Zauber, Konya.“

„Aber wie könntest du etwas töten, das nicht lebendig ist? Der Knabe Hresh sagt, es sind nur Künstliche in der Gewandung von Saphiräugigen, keine echten.“