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Harruel nickte beiläufig und gelangweilt. Er hatte das Interesse an dem Gespräch verloren. Er kniff die Augen gegen das Mondlicht zusammen und starrte zu der tobenden fröhlichen Affenhorde hinüber. Und in seiner Seele schwärender Groll und schwarze Gedanken an ein Gemetzel.

Nach einiger Zeit sprach er: „Diese Stadt steckt voller Rätsel und Geheimnisse. Ich finde, sie ist ein unguter Ort.“

„Ich finde sie abscheulich“, sagte Konya mit einer plötzlichen, völlig überraschenden Heftigkeit. „Ich verabscheue sie so stark, wie du die Dschungelaffen verabscheust.“

Harruel wandte sich ihm mit weitgeöffneten fragenden Augen zu. „Wirklich?“

„Weil es ein toter Ort ist. Er hat keine Seele.“

„Aber nein, er lebt“, sagte Harruel. „Sicher, irgendwie ist es hier tot, da geb ich dir schon recht, aber irgendwie lebt das auch. Und ich finde es genauso scheußlich wie du, aber nicht weil es tot ist. Es gibt hier ein ganz fremdartiges Leben, das irgendwie nicht unser Leben ist. Und die Stadt hat eine Seele, aber sie ist nicht wie die unsere. Und aus diesem Grund verabscheue ich sie.“

„Tot oder lebendig, ich würde liebend gern schon morgen von hier abhauen, Harruel. Und ich wäre selig, wenn ich sie nie zu Gesicht bekommen hätte. Wir hätten überhaupt erst gar nicht herkommen sollen.“ Etwas in Konyas Stimme schien Harruel anzuflehen, er möge doch zustimmen.

Aber Harruel schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte er, „so nicht, Konya. Es war schon richtig, daß wir hierher zogen. Es gibt in dieser Stadt Dinge, die für uns wichtig sind. Du weißt doch, wie es in den Chroniken steht. Wir sollen in Vengiboneeza uralte Dinge finden, aus dem Besitz der Saphiräugigen, die uns helfen werden, die Welt zu beherrschen.“

„Aber wir sind schon viele Monde hier, und wir haben nichts gefunden.“

Mit einem Achselzucken sagte Harrueclass="underline" „Koshmar ist zu bedachtsam und zauderlich. Sie läßt ausschließlich den Hresh suchen, keinen sonst.

Eine riesige Stadt — ein kleiner Knabe. nein, wir alle sollten Tag für Tag draußen sein und jeder sollte in den versteckten Orten suchen. Diese Dinge sind hier. Und wir werden sie früher oder später auch finden. Und dann müssen wir sie in Besitz nehmen und von hier verschwinden. Das ist nämlich wichtig dabei, daß wir von hier fortgehen, sobald wir erreicht haben, was zu tun wir gekommen sind.“

Konya sprach: „Also, mir kommt es ja so vor, wie wenn Koshmar vorhätte, für immer und ewig hierzubleiben.“

„Nun, so soll sie doch bleiben.“

„Nein, was ich meine, ist, daß sie möchte, daß wir allesamt hier ble iben sollen. Diese Stadt wird für sie zu einem neuen Kokon. Sie denkt überhaupt nicht an Aufbruch.“

„Wir müssen aber weiter und fort“, sagte Harruel. „Auf uns wartet die ganze Welt. Wir sind ihre neuen Herren und Meister.“

„Trotzdem, ich glaube, Koshmar.“

„Koshmar spielt keine Rolle mehr!“

Verwirrung glomm plötzlich in Konyas Augen auf. „Aber, was sagst du denn da, Harruel?“

„Was ich sage, das ist, daß wir zu einem ganz bestimmten Zweck und in bestimmter Absicht in diese Stadt gekommen sind, und zwar um zu erfahren, wie wir in der Zeit des Neuen Frühlings über die Welt herrschen können, und wir müssen uns mit allen unseren Kräften bemühen, dieses Ziel zu erreichen. Und danach müssen wir von hier weiterziehen, auf daß wir anderwärts unser Schicksal erfüllen. Du verabscheust diesen Ort hier. Ich auch. Und wenn Koshmar da anders denkt, so kann sie sich liebend gern hier niederlassen und immer hier bleiben. Aber wenn die Zeit gekommen ist — und sie muß zwangsläufig bald kommen —, dann werde ich das Volk von hier in die Freiheit führen.“

„Und ich, ich will dir folgen“, sagte Konya.

„Das weiß ich.“

„Aber wirst du auch alle die anderen mitnehmen?“

„Nein, nur die, die mir folgen wollen“, sagte Harruel. „Nur die Starken und Kühnen. Die anderen können von mir aus hier bis ans Ende ihrer Lebenstage versauern, es soll mich nicht kümmern.“

„Also wirst du dich dann zum Häuptling machen?“

Harruel schüttelte den Kopf. „Häuptling, das ist ein Titel aus der Zeit des Lebens im Kokon. Und dieses Leben ist vorbei. Außerdem sind die Häuptlinge Weiber. Wenn Koshmar Lust dazu hat, kann sie von mir aus gern Häuptling bleiben, allerdings wird sie einen verdammt winzigen Stamm haben, über den sie herrschen kann. Nein, ich werde mir einen anderen Titel zulegen, Konya.“

„Und was für ein Titel wird das sein?“

„Man wird mich König heißen“, sagte Harruel.

Die milde Witterung, in deren Genuß das Volk seit dem Einzug in Vengiboneeza gekommen war, endete mit einem Schlag, und es folgten drei Tage voller stürmischer Winde aus dem Norden mit schweren kalten Regengarben. Der Himmel verfinsterte sich und blieb schwarz. Man sah Geschöpfe der Luft, die unsteten Flugs gegen den Wind ankämpften und vergeblich sich mühten, nach Westen zu streben, während sie beständig weit in den Süden abgetrieben wurden.

„Ein neuer Todesstern hat die Erde getroffen“, sagte Kalide zu Delim. „Der Lange Winter kehrt zurück.“

Delim trug diese Information weiter und erklärte Cheysz, sie habe gehört, daß der Regen sich bald in Schnee verwandeln werde.

„Und wir werden alle erfrieren“, sagte Cheysz zu Minbain. „Wir müssen alles abdichten und versiegeln, so wie es damals im Kokon gewesen ist, oder wir werden des Todes sterben, wenn der Lange Winter wiederkehrt.“

Und Minbain ließ Hresh zu sich rufen und fragte ihn aus, was er von diesen Dingen wisse. „War es also nichts weiter als ein Scheinfrühling?“ fragte sie streng. „Und sollten wir nicht in den Höhlen unter Vengiboneeza Nahrung einlagern, damit wir die Zeit des Frostes überdauern?“ Das Leben hier in Vengiboneeza, sagte sie, sei zu leicht geworden, zu bequem, es sei eine Falle, die ihnen die Götter aufgestellt hätten: Die Sonne werde sich verdunkeln und ausgelöscht werden, über Monde oder gar Jahre hin, und sie würden allesamt zugrunde gehen, wenn man nicht Sofortmaßnahmen ergreife. In den alten Kokon könne man unmöglich zurückkehren; nein, sie würden sich hier in Vengiboneeza Schutz und Zuflucht schaffen müssen. Aber selbst hier, so groß Vengiboneeza auch sein mochte, würde sich vielleicht nicht ausreichend Asyl finden lassen, falls der Lange Winter wieder über die Welt hereinbräche. Schließlich, die Saphiräugigen hätten ja hier auch nicht überleben können. Als würde der Stamm ein günstigeres Schicksal haben?

Hresh lächelte. „Du besorgst dich zu sehr, Mutter. Es besteht nicht die Gefahr des Erfrierens und des Frosts. Das Wetter hat sich nur gerade mal ein wenig verschlechtert, und in ganz kurzer Zeit wird es sich wieder bessern.“

Aber das Gerücht war sogar bis an Koshmars Ohren gedrungen und war unterwegs verhängnisvoll angeschwollen. Darum sandte auch sie nach Hresh. „Bedeutet dies wahrlich die Wiederkunft des Langen Winters?“ fragte sie ihn, und sie sah dabei düster aus und verkniffen, hatte den Kopf tief zwischen die Schultern gezogen, und ihre Augen unter den gesenkten Lidern funkelten hart. „Trifft es zu, daß die Sonne tausend Jahre lang nicht mehr scheinen wird?“

„Es ist weiter nichts als ein übler Wettersturz — glaube ich.“

„Aber wenn es hier im geschützten Vengiboneeza schon so schlimm ist, dann muß es anderwärts noch viel scheußlicher zugehen.“

„Vielleicht. Aber in ein paar Tagen wird es hier wieder angenehm warm sein, Koshmar. Jedenfalls glaube ich das.“

„Du glaubst es! Nimmst es an? Aber kannst du sicher sein, daß es so kommt? Es muß doch eine Methode geben, wie man das feststellen kann.“

Er warf ihr einen unsicheren Blick zu. Koshmar hatte für sich und Torlyri ein schnuckeliges Nest eingerichtet in diesem festen kleinen Haus im Schatten des Großen Turmes. An den Wänden hingen zartduftende Binsengewebe, überall waren dicke Fellteppiche und Sträuße trockener Blüten. Und doch pfiff nun der bittere Wind peitschend gegen die Fenster und schoß durch die Luftschächte und brachte einen eisigen Hauch in den Raum. Von allem Anfang an hatte Koshmar immer darauf beharrt, daß der Lange Winter beendet sei. Sie hatte sich mit der ganzen Glut ihres Herzens dafür stark gemacht, den Auszug aus dem Kokon zu organisieren und den Großen Treck nach Vengiboneeza zu führen. Hresh kam der Gedanke, daß etwas in Koshmar zerspellen könnte, sollte es sich erweisen, daß sie sich geirrt hatte.