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Mit unterdrückter, flüsternder Stimme fragte Koshmar: „Ist das das Ende der Welt?“

Hresh starrte sie an. „Was meinst du damit?“

„Ich dachte, der Himmel zerreißt. Ich dachte, die Blitze entzündeten die Berge mit Feuer.“

„Und die Donner“, sagte Torlyri. „Wie eine riesige Trommel. Ich hab schon gedacht, ich werde taub davon.“

„Ich habe nichts gehört“, sagte Hresh. „Ich habe nichts gesehen. Ich hatte im Tempel zu arbeiten und habe nach den Antworten gesucht, die du von mir haben wolltest.“

„Du hast gar nichts gehört?“ fragte Torlyri. „Ganz und gar überhaupt nichts?“ Die beiden fröstelten immer noch. Also muß es wohl wirklich kataklystische Ausmaße gehabt haben, dachte er. Die Frauen konnten nicht begreifen, wie ihm entgangen sein könne, was da geschehen war.

„Vielleicht schützte mich der Stein gegen den Lärm des Sturmes ab“, sagte er.

Aber er wußte, daß das nur ein Teil der Wahrheit war, und überdies ein sehr kleiner Teil. Denn was da an fürchterlichem Aufruhr geschehen sein mochte — es war sein Werk gewesen. Er hatte den gewaltigen Donner und die schrecklichen Blitze ausgelöst, während er den Wunderstein benutzte — und ihn möglicherweise auch ein wenig falsch benutzte. Natürlich hatte er das Getöse nicht gehört, so hoch droben, wie er gewesen war. Er war schließlich das Getöse gewesen, als dieses seinen Höhepunkt erreicht hatte.

Aber, das zu wissen, das wäre für die beiden Frauen gar nicht so besonders gut.

Er sagte also nur: „Ich habe jetzt die Gewißheit, die du haben wolltest, Koshmar. Der Wunderstein hat mir die Umgrenzung und Ausmaße des Unwetters gezeigt. Nach Osten und Westen hin ist alles frei und klar, und die angrenzenden Lande sind sämtlich unbetroffen und freundlich.

Es ist also keine Wiederkunft des Langen Winters, und es ist auch kein neuer Todesstern niedergestürzt. Es ist nur ein Gewitter, Koshmar, ein sehr schweres Unwetter, aber es wird nicht mehr lange anhalten. Wir haben nichts zu befürchten.“

Und tatsächlich, nach wenigen Stunden wurde der Sturm schwächer, der Donner verstummte, der Regen ließ nach, und in der Schwärze droben brachen Flecken blauen Himmels auf.

8. Kapitel

Ein großes Ding

Nach dem Unwetter wurde es in Vengiboneeza sogar noch wärmer, als es zuvor gewesen war. Auf den Hügeln und Hängen über der Stadt brachen Dutzende von Blumen in wilden Farbenräuschen hervor, die Bäume wuchsen so rasch, daß man ihre Zweige sich fast wie Arme ausbreiten sehen konnte, und die Luft war erfüllt von schweren Düften. Es war fast so, als wären diese drei Tage des schwarz-verfinsterten Himmels und der krachenden Gewitter nur das letzte konvulsivische Aufzucken des Langen Winters gewesen und als sei nun wahrhaftig der Junge Frühling angebrochen und werde ewiglich währen.

Koshmar jedoch steckte voller Unruhe, und ihre Bekümmerung vertiefte sich von einem Tag zum nächsten immer mehr.

Es gab da einen versteckten Ort, den sie in einem zerstörten Stadtteil gefunden und sich erwählt hatte, einen Ort, den sie als ‚meinen Schrein‘ bezeichnete und den sie so geheim hielt, daß nicht einmal Torlyri davon wußte. An diesen Ort ging sie, wenn sie sich unsicher fühlte oder des Beistands der Götter oder ihrer Vorgängerinnen im Führertum besonders bedurfte — kurz, es war ein Ersatz für ihren Schwarzen Stein daheim in der Zentralkammer des Kokons.

Zu Beginn war dieser Schrein, ihre Kapelle, für sie nichts weiter als eine Ablenkung gewesen, ein Ort heiterer Entspannung, den sie in weitbemessenen Abständen aufsuchte und manchmal wochenlang vergaß. Nun jedoch fühlte sich Koshmar beinahe täglich zu diesem Ort hingezogen und schlich sich heimlich in den frühen Morgenstunden, oder spät in der Nacht, oder zuweilen gar mittags davon, anstatt ihre Pflichten als Richterin zu erfüllen, wie es sich für eine Stammesführerin gehörte.

Um zu ihrer Kapelle zu gelangen, wandte Koshmar sich ein Stück weit ostwärts den Bergen zu, dann nach Norden und vorbei an einem uneinladenden Stumpf von einem schwarzen Turm, der als Oberrest eines urzeitlichen Erdbebens dort aufragte, sodann fünf bestürzend steile Treppenfluchten hinab, die auf einen flachen schalenförmigen Platz führten, der mit rosa Marmorplatten gepflastert war. Auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes standen fünf intakte und sechs eingebrochene Bögen, deren jeder einmal der Zugang zu einem von elf Räumen gewesen sein mußte, die in den Tagen der Großen Welt von hohem Zeremonialcharakter gewesen sein mußten. Nun waren diese Räume leer; doch alle außer zweien oder dreien waren noch mit reichen vergoldeten Wandreliefs geschmückt, Darstellungen absonderlicher, schöner Gestalten mit beinahe menschlich wirkenden Leibern und Gesichtern von Sonnen, Darstellungen gespenstischer Tiere mit langgestreckten Gliedmaßen und solchen von Girlandenkränzen ineinander verschlungener langstieliger unirdischer Pflanzen. Zu diesen Kammern führten auf Zapf angeln ruhende steinerne Türen.

Koshmar hatte durch Zufall herausgefunden, wie sich diese Türen bewegen ließen, und sie hatte sich die mittlere der elf Kammern ausgewählt und dort ihre ‚Kapelle‘ eingerichtet. Sie hatte dort einen kleinen Altar gebaut und um ihn herum Gegenstände von ritualistischer Wichtigkeit oder von starkem Gefühlswert angeordnet; und hier kniete sie in keuscher klosterhafter Klausur und sprach mit den Göttern — oder eigentlich meistens mit Thekmur, die vor ihr Führer des Stammes gewesen war.

So kniete sie eben jetzt und häufte vertrocknete Blüten zu einem Arrangement, das sie dann entzündete.

Der duftende Rauch stieg aufwärts — zu Thekmur. Koshmar trug die altelfenbeinerne Maske der vorherigen Führerin, Sismoil, ein flaches schimmerndes Stück mit nur zwei sehr knappen Sehschlitzen für die Augen.

„Wie lange noch wird es währen“, fragte sie die tote Stammesführerin, „bis wir herausfinden, warum wir hier sind? Du sitzest nun bei den Göttern, o Thekmur. So sag mir denn an und künde mir, was uns die Götter im Ratschluß bereiten. Und natürlich auch, was sie mit mir vorhaben. bitte, o Thekmur.“

Fast konnte sie Thekmurs Seele vor sich in der Luft schweben sehen. Bei jedem Besuch in der Kapelle wurde Thekmur ein wenig deutlicher sichtbar. Koshmar hoffte, daß die Zeit kommen werde, da Thekmurs Erscheinung für sie so lebendig und fest werden würde, wie es ihr eigener Arm war.

Thekmur war eine kleine, massige Frau gewesen, sehr stark in Körper und Geist, mit einem ergrauten Pelz und grauen Augen, die ruhig und stetig der Welt entgegenblickten. Sie hatte viele Männer geliebt, aber auch viele Frauen, und sie hatte über den Stamm geherrscht, ruhig und in selbstverständlicher Sicherheit, bis ihr Todestag nahte; und dann war sie ohne den leisesten Schauder aus der Schleusentür des Kokons gegangen. Manchmal gestand sich Koshmar ein, daß sie selber nur ein bleicher schattenhafter Abklatsch von Thekmur sei, ein schwacher Ersatz für die dahingegangene Stammesführerin; allerdings, derartig düstere Gedanken überkamen Koshmar nur selten.

„Die Götter wollen nicht zu mir sprechen“, beklagte sie sich bei Thekmur. „Ich sende den Knaben Hresh hinaus, und er findet nichts, und nun hat er etwas gefunden, aber bisher ist nichts von Nutzen daraus gekommen. Und es gab ein furchtbares Unwetter, und während dieses Unwetters zerriß der Himmel, und die Feuerblitze waren schrecklich.

Was hat das alles zu bedeuten? Worauf warten wir denn hier? Antworte mir doch, o Thekmur! Nur dies einemal, antworte mir!“