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Und wieso, überlegte Hresh, haben sie es zugelassen, daß ihnen der Lange Winter den Tod brachte, wo sie doch gewiß über Macht und Mittel genug verfügten, die Katastrophe abzuwehren, die über ihre Welt hereinzubrechen drohte?

Und er erkannte, daß auch die anderen fünf der Sechs Völker in diesem verlorengegangenen uralten Vengiboneeza vertreten gewesen waren.

Da gab es Hjjk-Leute, eisig und abweisend, in Rotten von fünfzig oder hundert wie Ameisen. Hresh fühlte das dürre Rascheln ihrer kargen Gedanken, das Klicken und Knistern ihrer harten spröden Seelen. Es fiel leicht, sie nicht zu mögen. Sie besaßen keine Eigentümlichkeit, nichts Individuelles. Jeder war Teil der größeren Einheit seiner Hjjk-Gruppe, und jede Hjjk-Gruppe war Teil der Totalität des Hjjk-Volkes, der Hjjk-Rasse.

Sie strahlten die verbissene Oberzeugung ihrer eigenen beharrlichen Überlegenheit aus. Wir werden hier sein, wenn ihr schon lange dahin seid, verkündeten die Hjjk mit jedem Schwenken ihrer anmaßenden Antennen. Auch war deutlich, daß ihnen das unmittelbare Verschwinden aller Angehörigen der übrigen Rasse als ein hohes Glück erschiene. Doch keiner murrte wider die Anwesenheit dieser feindseligen Insektenleute in der Stadt. Hresh sah, daß sie sich aktiv unter die anderen mischten, Waren kauften, tauschten.

Und da waren auch die Pflanzlichen, das zarte Blüten-Geschlecht, auf sonnigen Veranden in kleinen Gruppen versammelt. Die Petalkronen ihrer Gesichter waren gelb oder rot oder blau, und in der Mitte eines jeden befand sich ein einzelnes goldenes Auge. Ihre Hauptstengel waren kräftig, die Gliedmaßen weitaus weniger, sondern vielmehr biegsam und weich. Sie redeten in sanften Flüstertönen und mit viel Laubgeraschel und eleganten Zweiggestikulationen. Ihren Bewegungen und Lauten haftete eine sanfte weiche Poesie an.

Durch welches Wunder war es geschehen, fragte sich Hresh, daß Pflanzen sprechen und umherzuwandern lernen konnten? Er vermochte diesen Vegetalischen ins Innere zu blicken und konnte die knotigen Faserstränge und Knoten echter Gehirne erkennen, kleine harte Knötchen, eingebettet an der geschützten Stelle, wo ihre Kronenblätter an den Zentralstengel stießen. Auf dem Marsch über die Ebenen war er auf keine vernunftbegabten Pflanzen gestoßen; aber natürlich waren die Vegetalischen, die er jetzt hier sah, Geschöpfe aus einer uralten Zeit. Ihre Gattung war von den bitteren Eisstürmen des Langen Winters fortgefegt worden, und möglicherweise war nichts von ihrer Art fähig gewesen, sich bis in die Ära des Volkes herüberzuretten.

Es gab auffallend viele Mechanische. Hresh sah sie in jedem Stadtviertel schwer schuften, diese massiven, rundschädeligen Metallwesen mit den Scharniergliedmaßen. Sie bauten, reparierten, reinigten, rissen Häuser ein. Sie waren Diener der Saphiräugigen; und doch besaßen sie ein klares starkes Denkvermögen und die klare Erkenntnis ihrer Eigenexistenz. Maschinen mochten sie ja sein, doch für Hresh waren sie einfacher zu erfassen als die Hjjk-Leute. Denn jeder von ihnen war ein Individuum, besaß eine klare Identität und war nicht wenig stolz auf diese.

Spärlicher als Gruppe waren die Seeherren, doch dies, machte sich Hresh klar, hing wohl mit den Problemen zusammen, welche die Fortbewegung an Land für sie mit sich brachte. Sie waren glatte, geschmeidige mit dichtem braunen Pelz bedeckte Geschöpfe, an den Enden graziös sich verjüngend, mit kräftigem Skelett und flossenhaften Gliedmaßen. Sie waren deutlich Wasserwesen, auch wenn sie die Luft in Vengiboneeza ohne sichtliche Schwierigkeit atmen konnten. Jeder befand sich auf einem raffiniert konstruierten Wagen mit Silbergleitern, der durch geschickte Bewegungen der Flossenspitzen gelenkt wurde. Man sah sie vorwiegend in den hafennahen Bezirken, was ja nur vernünftig war, in den dortigen Tavernen, Ladengeschäften und Gaststätten. Ihr Gesichtsausdruck war kühn und hochmütig, als betrachte ein jeder sich als einen Prinzen unter seinesgleichen. Vielleicht stimmte dies ja auch.

Und weiter und immer weiter schwebte er, und die Große Welt schimmerte und leuchtete um ihn herum in ihrem vollsten Glanz. Was vordem nur als Widerhall einer Erinnerung auf den ältesten Seiten der Chroniken existiert hatte, war für Hresh nun leibhaftig und lebendig geworden. Es gab für ihn keine Zeit außerhalb der Zeit seiner Vision. Das war die Welt, wie sie vor der Katastrophe gewesen war; die Welt auf dem Höhepunkt ihrer höchsten zivilisatorischen Entwicklung, als Wunder etwas Alltägliches waren.

Und er war Bürger jener Welt geworden. Er streifte durch die Straßen des alten Vengiboneeza und blieb hier stehen, um sich vor einem hohen saphiräugigen Herrn zu verneigen, hielt sodann inne und wechselte Scherzworte und Komplimente mit einer Gruppe errötender zwitschernder Vegetalischer, trat höflich beiseite, um einen Seelord in einem prachtvoll funkelnden Wagen an sich vorbeizulassen. Er wußte, er befand sich an der Nabe des Universums. Die Epochen eines jeden Sterns trafen hier zusammen. Und nie zuvor hatte es etwas Vergleichbares im Universum gegeben. Es war sein einzigartiges grandioses Privileg, dies erschauen zu dürfen. Er wollte durch alle Straßen streifen, wollte jedes Gebäude besichtigen, wollte alles sehen und begreifen und in sich aufnehmen: wollte von nun an in zwei Welten leben und — wenn er konnte — die Bürgerschaft in diesem der Vernichtung geweihten Land einer längst verflossenen Vergangenheit bewahren.

Und wenn das ein Traum ist, dachte er, dann ist es der köstlichste Traum, den je einer geträumt hat.

Nur sehr wenig von dem, was er sah, besaß deutlicher Ähnlichkeit mit dem Vengiboneeza, wie er es kennengelernt hatte. Vielleicht ein Halbdutzend von diesen grandiosen Bauwerken, überlegte er, haben sich bis in meine Zeit erhalten. Die übrigen waren gänzlich verschieden, ebenso wie es auch das Straßennetz war. Er wußte, das hier war Vengiboneeza, denn die Stadt lag genauso zwischen den Bergen und dem Wasser eingebettet; doch die Stadt mußte viele Male immer wieder umgebaut und neugebaut worden sein im Verlauf ihrer langen Existenz. Er empfing von ihr das starke Gefühl von etwas Lebendigem, sich Wandelndem, wie von einem riesenhaften Geschöpf, das atmete und sich bewegte.

Nun erkannte Hresh mehr denn je die Vielfältigkeit und Kompliziertheit der Großen Welt, und er fühlte sich bedrückt und mutlos angesichts der Aufgabe, die sein Volk würde zu meistern haben, wenn es versuchte, seinen Ehrgeiz so hoch zu schwingen, es den Leistungen dieser verlorenen Zivilisation gleichzutun. Und wieder sagte er sich, daß auch die Große Welt nicht an einem Nachmittag gebaut wurde. Die mühevolle Arbeit von Millionen Einzelnen über Tausende von Jahren hinweg hatten sie erschaffen. Und wenn man ihnen nur genug Zeit ließ, dann konnte sein Volk es ebensogut zustande bringen.

Er streifte weiter, schwebte wie ein Gespenst dahin, spähte hierhin, lugte dorthin, bemüht, dies alles in sich aufzunehmen, ehe ihm diese Vision — wie die vorige — entrissen würde.

Und nach einiger Zeit wurde ihm bewußt, daß es etwas gab, das er hier nicht erblickt hatte.

Meine eigenen Leute, dachte er. Wo sind wir?

Er zählte sorgfältig. Von den Sechs Völkern, von denen die Chroniken berichteten, die sich friedlich in diese entschwundene Welt geteilt hatten, waren Hresh bislang fünf vor Augen gekommen: Saphiräugige, Hjjks, Vegetalische, Mechanische und Seeherren. Aber das Sechste Volk waren die Menschen. Und von ihnen hatte er überhaupt nichts gesehen. Von der Fremdartigkeit und Üppigkeit des Ganzen benommen, war ihm die Abwesenheit dieser einen Rasse erst jetzt aufgefallen.

Er durchsuchte die Stadt bis an den Rand, aber er fand nirgendwo Menschliche. Von einem weiten Platz zum anderen, jenen breiten Boulevard hinauf und diesen hinab, in den Weintavernen des Hafens und den weißen Marmorvillen der Vorberge suchte er nach den Menschen und hoffte sehnlichst, einen einzigen Blick auf dichtes dunkles Fell und helle wache Augen zu erhaschen, auf stolz hochgereckte Sensororgane. Nichts. Nicht einer. Es war, als seien Menschliche im antiken Vengiboneeza der großen Hochkulturzeit gänzlich unbekannt.