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„Hresh? Warst du das?“

Hanimans Stimme drang schwach und verschwommen von oben herab, in vielfältige Echos gehüllt.

„Ja. Holst du mich rauf, bitte?“

„Warum haste denn das nicht gesagt?“

„Ich ruf dich schon seit zehn Minuten. Hast du geschlafen?“

„Geschlafen?“ sagte die Stimme von oben. Aber Hresh konnte nicht mit Sicherheit erkennen, ob Haniman das Wort wiederholte, oder aber ob es seine eigene Stimme war, die von der Wölbung der Höhle zu ihm zurückgeworfen wurde.

Kurz darauf gab die Steinplatte das vertraute Ächzen von sich, das knirschende Seufzen, und Hresh kletterte hastig auf sie, und sie begann sich wieder zu heben. Er lag still da. Sämtliche Knochen schmerzten ihn, so müde war er.

Er langte oben an. Haniman stand mit über der Brust gefalteten Armen da und glotzte ihn mürrisch an.

„Es ist mir verdammt egal, ob du der Chronist bist“, sagte er. „Wenn du mich noch einmal so anfaßt, dann ersäuf ich dich im Meer!“

„Ich mußte aber deine Aufmerksamkeit irgendwie rankriegen. Ich hab die ganze Zeit gerufen, aber du hast nicht geantwortet.“

„Na, dann haste vielleicht nicht laut genug gerufen.“

„Laut genug, um Steine von der Decke der Höhle zu lösen.“

Haniman zuckte die Achseln. „Ich hab gar nichts gehört.“

„Ja, weil du geschlafen hast.“

„Wirklich? Wie soll denn das möglich sein? Du warst doch kaum länger als zwei Minuten da drunten.“

Hresh starrte ihn verblüfft an. „Meinst du das etwa im Ernst?“

„Zwei Minuten! Nicht länger! Du bist da runtergestiegen, und ich hab mich ein bißchen hingesetzt, um auszuruhen, und vielleicht hab ich auch mal kurz die Augen zugemacht, und das nächste, was ich weiß, ist, daß du da bist und auf so ’ne dreckige Weise in meinem Bewußtsein herumgrapschst, und.“ Haniman brach plötzlich ab. Er kam auf Hresh zu und schaute ihm aus nächster Nähe ins Gesicht. „Yissou! Was hammse denn mit dir angestellt da drunten?“

„Was meinst du?“

„Du siehst ja aus wie hundert. Deine Augen sind ganz anders. Dein Gesicht. — alles ist anders. Wie von innen raus ausgehöhlt.“

„Ich habe eine Vision gehabt“, sagte Hresh. Er berührte sein Gesicht und fragte sich, ob es sich wirklich so verändert hatte, wie Haniman gesagt hatte, sah er vielleicht gar aus wie der alte Thaggoran? Doch sein Gesicht fühlte sich genauso an wie immer. Wenn also eine Verwandlung eingetreten war, dann mußte sie innerlich sein.

„Was hast du gesehen?“

Hresh zögerte. „Dinge. Viele seltsame, fremde Dinge. Beunruhigende Dinge.“

„Was denn?“

„Ach, laß nur“, sagte Hresh. „Schaun wir lieber, daß wir von hier verschwinden.“

Auf dem Rückmarsch zur Siedlung überkam ihn tiefe Müdigkeit. Er mußte oft haltmachen und sich ausruhen, und einmal wurde ihm übel, und er kniete endlos lange hinter einem Säulenstumpf und kotzte sich keuchend die Seele aus dem Leib. Auf dem Rest des Weges fühlte er sich alt und schlapp und schleppte sich hinter Haniman drein, der wieder vorausging, und dann fühlte er sich beschämt, weil Haniman es nötig fand, umzukehren und nach ihm zu sehen. Erst als sie wieder bei der Siedlung angelangt waren, kehrte ihm die jugendliche Vitalität zurück, und er fühlte sich allmählich wieder stark. Er bewegte sich rascher, legte weniger oft Pausen ein, auch wenn Haniman wieder und wieder umkehren und ihn vorantreiben mußte.

Hresh wußte, daß er lange brauchen würde, um das zu durchdenken, was er in dem Gewölbe unter dem Platz der Sechsunddreißig Türme erfahren hatte. Das höhnisch zischelnde Lachen jenes künstlichen Saphiräugigen am Südportal quoll in seiner Seele auf, bis es die ganze Welt zu erfüllen, schien.

Kleiner Affe, Äffchen, kleiner Affe.

Es war ihm nun nicht mehr möglich, den bitteren Hohn aus seinem Herzen zu verbannen. Aber dennoch hatte er auch den Schlüssel zu dem verschwundenen Vengiboneeza gefunden. Ein großer Sieg, eine vernichtende Niederlage, und beides ineinander verschlungen. Es verwirrte ihn. Er beschloß, dies alles für sich zu behalten, bis er einen etwas tieferen Einblick in die Angelegenheit gewonnen hatte. Aber die Schätze der Stadt Vengiboneeza lagen nun für ihn zum Zugreifen bereit. Soviel immerhin würde er Koshmar berichten müssen.

Direkt vor dem Haus der Führerin stieß er auf Torlyri.

„Wo ist Koshmar?“

Die Opferfrau wies auf das Haus. „Drinnen.“

„Ich habe ihr Dinge zu berichten! Wundersame Dinge!“

„Sie ist jetzt beschäftigt“, sagte Torlyri. „Du wirst ein Weilchen warten müssen.“

„Warten? Warten?“ Es war wie ein Guß kalten Wassers mitten ins Gesicht. „Was soll das heißen, warten? Ich habe die Große Welt geschaut, Torlyri! Ich habe sie leibhaftig und lebendig gesehen, so wie sie war! Und ich weiß jetzt, wo all das verborgen ist, das zu suchen wir hergekommen sind!“ In seinem Begeisterungsüberschwang fielen Müdigkeit und Verwirrung von ihm ab. „So hör doch, geh zu ihr, ja? Und sag ihr, sie soll alles stehen und liegen lassen, was sie gerade tut, und mich empfangen. Klar? Sagst du ihr das? Was hat sie überhaupt dermaßen Wichtiges zu tun?“

„Sie hat einen Fremden zu Gast“, sagte Torlyri.

„Einen Fremdling?“

„Einen Kundschafter von einem fremden Stamm, wie es scheint.“

Wie so oft schlich sich Hreshs Hand zu dem Amulett Thaggorans um seinen Hals. Ein Fremder. Mit offenem Mund blökte er: „Was? — Wer?“

„Also, um genauer zu sein, ein Späher. Harruel und Konya haben ihn vor einer Weile geschnappt, wie er auf dem Frühlingsberg herumgeschnüffelt hat.“ Torlyri lächelte und legte ihre Hände über die seinen. „Ach, Hresh, ich weiß doch, daß du übersprudelst von dem, was du ihr berichten willst. Aber könntest du bitte etwas warten? Nur ein ganz kleines bißchen warten? Denn dies ist ebenfalls wichtig. Es ist nämlich ein echter Mann von einem anderen Stamm, Hresh. Und das ist ein ungeheuer wichtiges Faktum. Sie kann sich nicht mit mehr als einer Außergewöhnlichkeit auf einmal befassen. Keiner kann das. Begreifst du dies, Hresh?“

Koshmar stand kerzengerade und aufgereckt vor dem dunklen Rattenwolf fell, das als Siegestrophäe an der Wand ihres Gemaches hing. Ihre breiten Schultern straff zurückgereckt. Auf dem Gesicht feste Entschlossenheit. Harruel stand links von ihr, Konya rechts, beide mit Waffen und zu ihrer Verteidigung bereit; sie aber wußte, daß die Speere in dem jetzigen Augenblick nutzlos waren. Was sich hier entfaltete, war eine Herausforderung, die sich einzig durch Intelligenz würde meistern lassen. Seit den Tagen des Auszugs hatte sie mit so etwas gerechnet gehabt, aber nun, da es tatsächlich eingetreten war, endlich, war sie alles andere als sicher, wie sie am besten vorgehen solle.

Jetzt hätte sie den alten Thaggoran mehr als je nötig gehabt. Ein zweiter, ein fremder Stamm! Natürlich war damit zu rechnen gewesen, aber trotzdem war es nahezu kaum zu glauben. Während seiner gesamten geschichtlichen Entwicklung hatte sich ihr Volk für einmalig und für das einzige Menschenvolk der Welt gehalten, und im wesentlichen stimmte das ja auch. Aber jetzt. jetzt.

Sie blickte den Späher am anderen Ende des Gemachs starr an.

Er bot einen schrecklichen Anblick. Und ihm haftete eine überwältigende Fremdartigkeit an. Sein Gesicht war mager und schmal, scharfe Wangenbeine strebten kantig von einem langen spitzen Kinn weg. Die Augen lagen sehr weit auseinander und hatten eine Färbung, wie Koshmar sie noch nie gesehen hatte: bestürzend leuchtendes Rot wie die Abendsonne. Der Pelz war golden und lang und üppig, und in nichts dem Fell eines aus ihrem eigenen Stamme ähnlich. Trotz seiner Schlankheit und Grazilität wirkte der Fremdling stark und geschmeidig, wie ein feingeflochtenes Tau, das nie zerspellen kann. Seine Beine waren nahezu so lang wie die von Harruel, allerdings war er bei weitem nicht so massiv. Und auf dem Kopf trug er einen merkwürdigen Helm, durch den er sogar noch länger wirkte als Harruel.