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Dieser Helm war ein richtiger Alptraum. Ein hoher Konus aus einem dicken, schwarzen lederartigen Stoff, mit einem Visier, das vorn beinahe bis zur Stirn des Fremdlings reichte, und eine geriffelte Platte bedeckte hinten das gesamte Genick. Am Scheitelpunkt des Helms nach hinten zu befand sich ein Kreis aus goldenem Metall und fünf lange wie Speere davon aufragende Metallradien. Vorn, über der Stirn des Fremden, war das Abbild eines unheilverkündenden riesigen goldenen Insekts angebracht, die vier Flügel gespreizt, die gewaltigen Augen aus rotem Stein brannten in einem wilden Feuer.

Bei flüchtigem Betrachten wirkte der Mann wie eine Art aufrecht wandelndes Ungeheuer mit einem scheußlichen furchterregenden Kopf; und erst wenn man genauer hinsah, erkannte man, daß der Helm künstlich war, ein bloßer Kopfschmuck, der unten am Hals mit grober fester Schnur verschnürt war.

Konya und Harruel waren auf den Mann gestoßen, als sie in den Vorbergen auf Jagd waren. Er hatte sein Lager in einer Höhle dicht über der letzten Reihe von zerfallenen Villen aufgeschlagen, und wie es den Anschein hatte, hatte er hier schon einige Zeit gehaust, vielleicht bereits seit einer Woche, denn überall lagen die Knochen von kürzlich geschlachteten und gebratenen Tieren verstreut. Als sie ihn fanden — er saß still da, den Helm auf dem Schädel, und blickte starr über die Stadt hinweg —, sprang er sogleich auf und rannte an ihnen vorbei in den Hochwald hinauf. Sie verfolgten ihn, aber es war keine einfache Jagd. „Er rennt wie eins von den Tieren mit den roten Hörnern auf der Nase“, sagte Harruel.

„Wie ein Tänzerhorn, ja“, kommentierte Konya.

Mehrmals verloren sie seine Spur in dem wilden Waldgestrüpp, doch immer wieder verriet ihn der Goldschimmer seines Strahlenhelmes in der Ferne. Schließlich hatten sie ihn in einem Talkessel in die Enge getrieben, er hatte keine weitere Fluchtmöglichkeit; und obwohl er mit einem wundervoll gearbeiteten Speer gerüstet und durchaus in der Lage schien, ihn auch zu benutzen, leistete er keinen Widerstand, sondern ergab sich ihnen plötzlich ohne Gegenwehr und ohne ein Wort.

Und er hatte auch seither kein Wort gesagt. Koshmars Blick hatte er ruhig erwidert, furchtlos, und er bewahrte weiterhin Schweigen, als sie versuchte ihn auszuforschen.

„Mein Name lautet Koshmar“, begann sie. „Ich bin hier Häuptling. Nenne du mir deinen Namen, und wer dein Häuptling ist.“

Als darauf weiter nichts als ein stummes ruhiges Augenstarren kam, befahl sie ihm im Namen der Götter, er solle sprechen. Sie rief Dawinno an, Friit, Emakkis und sogar Mueri, aber ohne Erfolg. Sie hatte den Eindruck, daß er bei dem Namen Yissou leicht reagierte, mit einem leisen Zucken der Lippen, aber er sprach noch immer nicht.

„So sprich endlich, verdammter Kerl!“ knurrte Harruel zornig und machte einen Schritt nach vorn. „Wer bist du? Was suchst du hier?“ Und er fuchtelte mit dem Speer vor dem Gesicht des Fremden herum. „Rede, oder wir ziehen dir bei lebendigem Leib die Haut ab!“

„Nein!“ fuhr Koshmar scharf dazwischen. „Es ist nicht meine Absicht, so mit ihm zu verfahren!“ Sie zog Harruel an ihre Seite zurück und sprach mit leiser Stimme zu dem Fremdling: „Es soll dir hier kein Leid geschehen, das verspreche ich dir. Aber ich frage dich noch einmal nach deinem Namen und nach dem Namen deines Volkes, und dann wollen wir dir Speise und Trank anbieten und dich unter uns willkommen heißen.“

Doch der Fremde schien für Koshmars diplomatisches Manöver genauso unzugänglich zu sein wie gegenüber dem Machtgedröhn Harruels. Er starrte nur weiter Koshmar an, als habe sie schieren Unsinn von sich gegeben.

Sie pochte sich dreimal mit dem Zeigefinger auf die Brust und sagte laut und deutlich: „Koshmar.“ Dann zeigte sie auf ihre zwei Leibgardisten und sagte: „Harruel. Konya. Koshmar, Harruel, Konya.“ Dann streckte sie den Finger wieder gegen den behelmten Fremdling aus und setzte eine fragende Miene auf. „Damit haben wir dir unsere Namen preisgegeben. Und nun wirst du uns den deinen nennen.“

Doch der Behelmte schwieg weiter.

„Das können wir den ganzen Tag so weitermachen“, sagte Harruel tief angewidert. „Uberlaß den Kerl mir, Koshmar, und ich verspreche dir, der quasselt in fünf Minuten!“

„Nein.“

„Aber wir müssen rauskriegen, warum der hier ist, Koshmar. Nimm doch mal bloß an, der ist der Topmann einer ganzen Heerschar von solchen wie er, die da draußen nur darauf lauern, uns umzubringen und Vengiboneeza für sich zu erobern!“

„Ich danke dir“, sagte Koshmar eisig. „Auf solch einen Gedanken wäre ich allein nie gekommen.“

„Ja, aber wenn er das wirklich ist? Es steht doch fast hundertprozentig fest, daß er für uns nichts als Ärger bedeuten kann. Aber wir brauchen Sicherheit. Und wenn er uns eben nichts sagen will, dann werden wir ihn eben töten müssen.“

„Ach, glaubst du wirklich, Harruel?“

„Wo er jetzt hier drunten war und alles in Augenschein genommen hat, und wo er weiß, wie wenige wir nur sind. ja, da können wir ihn doch nicht einfach so wieder zu seinen Leuten zurückgehen und denen alles über uns berichten lassen.“

Koshmar nickte. Die Fakten waren ihr die ganze Zeit über längst klar gewesen, aber bloß ein dummer Ochse wie Harruel, dachte sie bei sich, kann so blöd sein und das einem Fremden, einem möglichen Feind direkt ins Gesicht sagen. Ja, vielleicht würden sie den Fremdling töten müssen. Die Vorstellung schmeckte ihr ganz und gar nicht, aber sie würde ohne Zögern das Nötige veranlassen, falls die Sicherheit ihres Stammes auf dem Spiel stand.

Tausend widersprüchliche Gedanken wirbelten heftig durch ihren Kopf. Fremde! Ein anderer Stamm! Ein Rivale um die Führerschaft!

Das bedeutete: Feinde, Auseinandersetzungen, Kampf, Tod, nicht wahr? Oder würden die anderen freundlich sein? Nein, ein Konflikt war nicht unvermeidbar, was immer Harruel glauben mochte. Angenommen, diese Fremden würden sich hier niederlassen? Vengiboneeza war doch zweifellos groß genug für einen zweiten Stamm. und man kam zu einer Art friedlich-freundschaftlicher Beziehung zwischen den beiden Völkern. Aber wie wird so etwas aussehen, fragte sie sich — Freunde, die nicht unseresgleichen sind? Diese beiden Begriffe schlossen einander doch fast schon aus: Freunde und Fremdrassige. Unterschiedliche Glaubensvorstellungen, fremde Götter, unvertraute Sitten und Gebräuche? Und wie sollte es überhaupt andere Götter geben können? Yissou, Dawinno, Emakkis, Friit und Mueri — das waren die Götter. Und wenn dieses fremde Volk andere Götter hatte, wo hatte die Welt dann noch einen Sinn?

Und würde es zwischen Angehörigen der zwei Stämme Kopulationsverbindungen geben? Wo würden die Nachkommen daraus leben — im Stamm der Mutter oder dem des Vaters? Und würde einer der Stämme auf Kosten des anderen wachsen und groß werden?

Koshmar schloß kurz die Augen und atmete tief bis auf den Grund ihrer Lungen durch. Ich wünschte, das Ganze wäre nur ein Traum, dachte sie.

Dort, woher dieser Mann gekommen war, mußte es viele andere wie ihn geben, ein ganzes Heer, solcher Fremdlinge in einem Lager jenseits der Mauer des Gebirges. Und es war sehr wahrscheinlich, daß überall in der Welt inzwischen auch andere Stämme ihren Auszug und Aufbruch unternahmen, seitdem die neue Wärme die Luft erfüllte. Sie, Koshmar, hatte ihr ganzes bisheriges Leben in einer Welt zugebracht, die aus sechzig Leuten bestand. Es war nahezu unmöglich, sich mit der Wahrheit abzufinden, daß es auf der Welt vielleicht sechstausend, oder gar sechzigtausend ‚Leute‘ geben könnte. alle die Namen, alle diese Seelen, alle diese unvertrauten Individuen, von denen jedes nach einem Plätzchen an der Sonne schrie.

Jemand pochte an die Tür.

Sie hörte Torlyris Stimme: „Hresh ist zurückgekommen, Koshmar.“

„Er soll hereinkommen!“ antwortete sie.