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„Versuch noch nicht auf den Beinen zu stehen“, murmelte Torlyri. „Warte, bis du das Gleichgewicht wieder hast, und atme tief durch.“

„Was ist passiert? Wo bringen sie ihn hin?“

„Er ist tot“, sagte Torlyri.

„Ist im selben Augenblick zusammengebrochen, in dem du seinen Geist berührt hast“, sagte Koshmar von gegenüber. „Genau wie du. Wir dachten schon, ihr seid alle beide dahin. Aber du warst bloß bewußtlos. Er dagegen war tot, ehe er den Boden berührte. Das geschah, um das Verhör zu vermeiden, verstehst du? Er konnte sich irgendwie allein durch seinen Geist töten.“ Sie rammte zornig den Helm auf das Bord, auf dem ihre Trophäen lagen. „Und jetzt werden wir nie das Geringste über ihn herausfinden“, sagte sie. „Wir werden nichts wissen, gar nichts.“

Hresh nickte düster.

Ihm fuhr der Gedanke durch den Kopf, daß dies irgendwie seine Schuld sei, daß er mit irgendeinem Schutzmechanismus hätte rechnen müssen bei dem Fremden, daß er sich nie dazu hätte hinreißen lassen dürfen, Koshmar zu einem Verhör mit Einsatz des Zweiten Gesichts zu überreden.

Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich statt dessen den Wunderstein benutzt hätte, sagte er sich.

Aber wie hätte er das wissen sollen? Thaggoran hätte es vielleicht gewußt, aber er selbst, er stellte es immer wieder fest, er war eben kein Thaggoran. Ich bin noch dermaßen jung, dachte er kläglich. Nun, dem würde die Zeit abhelfen. In ihm breitete sich eine tiefe Betrübnis aus. Er hätte von diesem Mann vielleicht neue erstaunliche Kunde erfahren können, von diesem fremdstämmigen Mann. Und er hatte statt dessen nur dazu beigetragen, ihn aus der Welt zu treiben.

Am besten, man dachte nicht darüber nach.

Er trat neben Koshmar. Sie stand mit grimmiger Miene über den Helm gebeugt und ließ wiederholt wie betäubt zornig die Finger über die Goldstrahlen gleiten. Dann warf sie Hresh einen Blick zu. Ihre Augen waren trüb und düster.

„Ich muß dir etwas sagen“, sprach Hresh. „Ich bin gerade aus dem Herzen der Stadt zurückgekehrt. Haniman und ich. Wir stiegen in ein Gewölbe unterhalb eines Gebäudes, und dort gibt es eine Maschine der Saphiräugigen, Koshmar. Eine noch funktionsfähige Maschine.“

Koshmar sah ihn nun genauer an. In ihren Augen strahlte wieder der Glanz ihrer Seele auf.

„Es ist eine Maschine, die dazu bestimmt war, Abbilder der Großen Welt zu zeigen“, erklärte ihr Hresh. „Nein, mehr als nur Abbilder. Sie zeigte einem die Große Welt direkt und leibhaftig. Ich habe meine Hände auf sie gelegt, Koshmar, und ich habe den Barak Dayir dabei benutzt.“

„Und konntest du etwas sehen?“ fragte sie.

„Ja! Wundersame Dinge!“

9. Kapitel

Im Kessel

Damit begann Hreshs wahrer Vorstoß in die Geheimnisse von Vengiboneeza. Die Maschine im Kellergewölbe unter dem Platz der Sechsunddreißig Türme hatte ihm den Zugang eröffnet; sie und der Barak Dayir.

Jedermann wußte, daß ihm eine große Entdeckung geglückt war. Haniman hatte es überall herumerzählt, und die Geschichte kitzelte sogar die dumpfsten, phantasieärmsten Hirne. Hresh stand im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit des ganzen Volkes. Man glotzte ihn an, als wäre er soeben von einem Mahl am Tisch der Götter zurückgekehrt. „Und du hast tatsächlich die Große Welt erblickt?“ wurde er zwanzigmal am Tag gefragt. „Wie war sie denn? Sag es mir! Sag es!“

Doch es war Taniane, welche die wirkliche Wahrheit sah. „Du bist auf etwas Schreckliches gestoßen, als du dort unten in diesem Loch warst. Es hat dich dermaßen verstört, daß du nichts darüber sagen magst. Aber es hat dich verwandelt, nicht wahr, Hresh? Und was es auch immer war, das kann ich sehen. Jetzt hängt eine Düsternis um deinen Geist, die früher nicht da war.“

Erstaunt blickte er sie an. „Nichts an mir hat sich verändert“, sagte er verkniffen.

„Doch, ich kann es sehen.“

„Du bildest dir da bloß was ein.“

„Mir kannst du es ruhig sagen“, bat sie schmeichelnd. „Wir sind doch immer Freunde gewesen, Hresh. Es wird deiner Seele wohltun, wenn du mit jemandem darüber redest.“

„Da gibt es nichts zu erzählen. Gar nichts!“

Und er wandte sich rasch von ihr weg, wie er es stets zu tun pflegte, wenn er befürchtete, jemand könne es ihm am Gesicht ablesen, daß er log.

Er konnte es nicht nur nicht über sich bringen, das Geheimnis, diese quälende Wahrheit, die er im Kellergewölbe unter den Sechsunddreißig Türmen entdeckt hatte, mit irgendeinem der anderen im Stamm zu teilen, nein, er vermochte es auch kaum auszuhalten, für sich alle in daran zu denken. Ab und zu fühlte er es wie einen dumpfen Schmerz nahe dem Herzen; hin und wieder hörte er eine rauhe spöttische Stimme flüstern: Kleiner Affe, Äffchen, kleiner Affe. Aber dieser Enthüllung konnte er sich jetzt noch nicht stellen, sie war zu schmerzlich. Er schob sie fort, er verdrängte sie bis tief unter sein waches Bewußtsein.

Erleichterung für seine Seele fand er, indem er sich heftig in die Erforschung der Ruinen Vengiboneezas stürzte. Das von der Maschine und dem Barak Dayir angelegte Muster diente ihm als Leitplan. Wenn er den Wunderstein anwendete, boten ihm die kleinen roten Lichterpunkte, die er auf den erscheinenden geschlossenen Kreiszonen erblickte, die nötigen Hinweise; und damit begann er systematisch mit der Aufspürung der in der Stadt versteckten unbeschädigten uralten Maschinenmechanismen, von denen er ja nun wußte, daß sie zuhauf überall greifbar noch vorhanden waren, einige versteckt in verborgenen Gewölben, andere aber praktisch offen zutage liegend.

Es erstaunte ihn, daß so zahlreiche Schätze aus der Zeit der Großen Welt den Langen Winter überstanden hatten. Sogar Metall, dachte er, müßte doch eigentlich über einen dermaßen gewaltigen Zeitraum hin zu Staub zerfallen. Und doch — wohin immer er blickte, nun, da er wußte, wie er die richtigen fündigen Stellen ausmachen konnte — stieß er allerorts auf größere oder kleinere Wunderwerke. Die meisten der Apparaturen waren viel zu umfangreich, als daß er sie hätte bewegen können, aber viele schleppten sie zur Siedlung zurück, wo man ihm einen abgeschirmten Lagerraum für sie im Tempel einrichtete. Der füllte sich sehr rasch mit merkwürdigen blitzenden Geräten, deren Funktion und Zweck rätselhaft waren. Hresh untersuchte sie mit behutsamer Vorsicht. Solche Objekte zu entdecken, das war eine Leistung, aber zu bestimmen, wie man sie benutzen könnte, war etwas ganz anderes. Das war eine langwierige, eine schwierige und eine frustrierende Aufgabe und Arbeit.

Um Hresh formte sich eine Gruppe, die im Volk als „die Sucher“ bekannt wurde und die ihm bei seinen Forschungs- und Erkundungsaufgaben helfen sollte.

Anfangs waren die Sucher nichts weiter als die Handvoll Leibwächter — Konya, Haniman, Orbin —, die regulär mit ihm zu seinem Schutz auszogen, wenn er die Stadt durchstreifte. Zu Beginn hatte Hresh sie als ein notwendiges Übel angesehen, als bloße Speerfuchtler. Doch es dauerte nicht lang, und sie kannten die Stadt beinahe ebenso gut wie er selber. Zwar versuchte er seine kartographischen Erkenntnisse für sich zu behalten, aber es war ganz unmöglich zu verhindern, daß auch die anderen sich allmählich in der Stadt zurechtzufinden lernten. Und inzwischen starteten sie sogar bereits eigene Expeditionen ohne ihn. Es entwickelte sich geradezu zu einer Art Prioritätenwettstreit und Rangelei, sobald es Hreshs Beschützern in die Schädel gedrungen war, wie enorm dessen Renommee gestiegen war, weil er dermaßen oft ‚draußen in der Stadtwildnis‘ auf Expedition gewesen war. Und ab und zu brachten die Burschen dann ja auch irgendein kleines glitzerndes Wunderding aus der Ur-Vorzeit zutage, das sie unter einer umgestürzten Säule hervorgezerrt oder aus einem Wust von Schutt aus einem Untergeschoß herausgebuddelt hatten.