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Hresh gab ihr keine Antwort.

„Ich glaube, ich weiß es“, sagte sie.

„Weißt du es?“

„Es ist eine verrückte Vorstellung, Hresh.“

„Dann sag sie mir nicht.“

„Aber dann sag mir doch wenigstens, was du glaubst.“

„Ich bin nicht sicher“, sagte Hresh. „Ich bin mir in gar nichts mehr sicher.“

„Du glaubst, was ich auch glaube.“

„Vielleicht“, sagte er. „Vielleicht auch nicht.“

„Nein, wir glauben beide das gleiche. Hresh, ich habe Angst.“

Er sah, daß sich ihr Fell sträubte und daß ihre Brüste zu wogen begannen. Er wünschte, daß er den Mut aufbrächte, sie an sich zu ziehen und ganz fest an sich zu drücken.

„Komm!“ sagte er. „Wir sind lang genug hier drin geblieben.“

Wieder ergriff er sie an der Hand und führte sie durch das Schleusentor in der Mauer. Draußen wandten sie sich beide um und blickten zurück, und danach schauten sie einander nur wortlos an. Noch nie hatte er Taniane derart erschüttert erlebt. Und in seiner Seele schwebte noch immer diese seltsame Prozession der Träumeträumer durch die Luft über seinem Kopf, geheimnisvoll, aufs höchste aufregend und quälend, zauberisch, und beschied ihn erneut mit dem Spruch, den er nicht hören wollte.

Schweigend stiegen sie über den glitschigen gewundenen Steinpfad wieder in die Stadt hinab. Auf dem ganzen Weg zurück in die Siedlung wechselten sie nicht ein einziges Wort.

Als sie dort anlangten, vernahmen sie zorniges Rufen, lautes Geschrei, die gellenden höhnischen Schnatterlaute der Dschungelaffen. Alles steckte voll von ihnen, zu Dutzenden schwangen sie sich kapriolend zwischen den Dächern umher.

„Was ist denn los?“ fragte Hresh, als Boldirinthe, einen Speer schwingend vorbeigerannt kam.

„Siehste das denn nicht?“

Weiawala, die hinter ihr angelaufen kam, blieb stehen und erklärte ihnen die Situation. Die Affen waren plötzlich aufgetaucht und hatten die papierenen Nester irgendeiner Insektenart mitgeschleppt. Diese Nester platzten auf, wenn sie auf der Erde aufschlugen, und gaben Schwärme von glitzernden langbeinigen Ekeln frei, die mit gezackten Kneifern ausgerüstet waren, die tiefe Wunden verursachten. Ihr Zubiß brannte wie glühende Kohlen, und sie ließen sich auch nicht wegreißen, sondern man konnte sie nur mit dem Messer aus der Haut herauspuhlen. Die Wanzen hatten sich über die ganze Niederlassung ausgebreitet, und die Affen ebenso, die allerdings von hoch oben herab lachten und kreischten und hin und wieder ein weiteres Insektennest herabschleuderten. Der gesamte Stamm war damit beschäftigt, sie zu vertreiben und das Stechgeziefer unter Kontrolle zu bekommen.

Es währte Stunden, bis im Dorf wieder Ruhe einkehrte. Und dann schien keiner mehr sich Gedanken zu machen, wo Hresh gewesen war oder was er getan hatte. Noch später am selben Abend sah er Taniane ganz allein dahocken und ins Leere starren; und als Haniman zu ihr hinüberging und zu ihr redete, ließ sie ihn zornig abfahren und ging aus dem Raum.

Auf halbem Weg den Hang des Mount Springtime, des ‚Frühlingsberges‘, hinauf lag ein scharfgezähnter Felskamm, den Harruel oft als Hochsitz und Ausguck benutzte, wenn er seinen Wachdienst über Vengiboneeza erledigte. Der Kamm krängte aus der Bergflanke heraus wie eine Art Terrasse, so daß Harruel, blickte er hangaufwärts, den Sattel im Blickfeld hatte, den jede eindringende Heerschar beim Abstieg vom Gipfel würde durchqueren müssen. Aber von hier aus konnte er auch in der anderen Richtung ganz Vengiboneeza überblicken, das sich drunten vor ihm breitete, als wäre es ein Lageplan.

Dort saß Harruel manchmal Stunde um Stunde, selbst im Regen, in der Gabelung eines gewaltigen Baumes mit schimmernder Borke und dreikantigen rötlichen Blättern. In der letzten Zeit war er mehr und wieder allein ins Gebirge hinaufgezogen. Seine frischrekrutierten Soldaten hatten sich für ihn mehr und mehr zu einem Ärgernis entwickelt, denn er erkannte natürlich, wie ungeduldig sie waren und wie stark sie daran zweifelten, daß sich jemals Eindringlinge zeigen würden.

Oft überfielen ihn jetzt düstere Gedanken. Er kam sich wie in einer Art Traum gefangen vor, in dem alles zu starrer Unbewegtheit verdammt ist. Die Monde, sogar die Jahre verstrichen, und er saß hier in dieser uralten Ruinenstadt in der Falle — genauso wie er es einst im Kokon gewesen war. Aber irgendwie hatte es ihm im Kokon nichts ausgemacht, daß jeder neue Tag genauso verlief wie der vorherige. Hier aber, hier, wo die ganze Welt ganz knapp außerhalb seines Zugriffs lag wie eine schimmernde Perle, hier kochte und brodelte Ungeduld in Harruels Herzen. Er war zu der Überzeugung gelangt, daß er für Großes geboren war. Aber wann konnte er endlich damit beginnen, diese Größe zu erlangen? Wann? Wann?

Während der langen Regenperiode waren solcherlei Gefühle immer stärker in ihm angestiegen, bis sie nahezu unerträglich geworden waren. Er brachte ganze Tage in seinem Gabelbaum zu, naß bis auf die Haut, miefend, muffig und mürrisch zornig. Wütend schoß er düstere Blicke zur Stammessiedlung unter sich am Stadtrand und brüllte seine Verachtung für dieses armselige, teigigträge Volk hinab. Er starrte erbittert den Berg über sich an und schrie höhnische Herausforderungen gegen den eindringenden Feind empor, der so hartnäckig sich weigerte zu erscheinen. Er wurde steif und wund. Der ganze Körper schmerzte ihn, und sein Hirn pochte. Hin und wieder stieg er von seinem Baum herab und pflückte sich Beeren von den Sträuchern in der Nähe. Und mehr als einmal fing er irgendein Niederwild mit bloßen Händen und tötete es und verspeiste es roh.

Einmal verbrachte er eine ganze Nacht zusammengekauert in seinem Baum, obschon der Regen ohne Unterlaß in schweren dicken Tropfen niederrauschte. Wozu sollte es schon gut sein, wenn er heimkehrte? Minbain war vollauf mit ihrem Baby beschäftigt; an Kopulation war sie derzeit ganz und gar nicht interessiert. Und der Regen kühlte immerhin seine Wut. Ein wenig.

Am Morgen traf ihn überraschend strahlender Sonnenschein wie ein Hieb auf den Mund. Harruel blinzelte benommen und glotzte und richtete sich auf, und hatte keine Ahnung, wo er sich befand. Dann fiel ihm wieder ein, daß er ja im Baum übernachtet hatte.

Bestürzt nahm er einen Augenblick lang an, was er sah, seien Goldstachelhelme auf der ganzen Breite des gezackten Felskamms zu seiner Linken. Die Invasion? Endich? Nein, nein. Es war nur das Morgenlicht, tief hinterm Horizont, das durch die Wassertröpfchen stach, die auf jedem Blatt blitzten.

Er schwang sich zur Erde hinab und humpelte steifgliedrig in die Stadt, um sich dort etwas zu essen zu beschaffen.

Auf halber Bergeshöhe kam ihm eine Gestalt ins Blickfeld. Zunächst glaubte er, es könnte Salaman sein oder Sachkor, die sich auf die Suche nach ihm begaben, nun da die Regen aufgehört hatten. Doch nein: das war ein Weib. Ein Mädchen. Groß und schlank, mit einem Fell von ungewöhnlich schwarzer Tönung. Harruel erkannte sie nach einiger Zeit als die junge Kreun, Sachkors Angebetete, die Tochter der alten Thalippa. Sie winkte ihm zu und rief: „Ich suche Sachkor! Ist er nicht bei dir?“

Harruel glotzte sie an, gab aber keine Antwort. Er hatte einst, vor vielen Jahren, mit Thalippa kopuliert. Das war eine Hitzige gewesen damals, diese Thalippa. Nach all den Jahren schlüpfte die Erinnerung aus den Tiefen seines Gedächtnisses wieder herauf. Sie hatte ihn mit ihren Krallen zerkratzt, diese Thalippa. Er erinnerte sich auf einmal wieder an den schweren süßen Moschusduft, den sie ausströmte. Erstaunlich, daß man sich nach fünfzehn Jahren noch an so was erinnert. Vor einem halben Leben war das gewesen.