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Ach, Kopulation ist ein Nichts, dachte sie ärgerlich.

Sie warf sich Mangel an Logik vor. Und dann sagte sie sich, daß der ganze Komplex weit über alle Logik hinausreiche. Es gibt eine Logik des Herzens, redete sie sich zu, von der die Vernunft sich nichts träumen läßt.

„Taniane hatte ihr erstes Tvinnr, Orbin auch schon, und nun ist Hresh an der Reihe“, sagte Torlyri. „Und danach kommt Haniman.“

„Wie rasch die Zeit verstreicht. Manchmal sehe ich ihn noch immer als den kleinen Frechdachs, der sich an dir vorbei aus der Schleuse stehlen wollte, damals als die Eisfresser kamen und der Träumeträumer erwachte. Dieser bemerkenswerte Tag scheint mir jetzt so schrecklich weit zurückzuliegen. Ebenso wie Hreshs Kindheit.“

„Alles war so seltsam“, sagte Torlyri. „Etwa, daß der Alte Mann des Stammes noch nicht einmal Ht genug sein sollte zum Tvinnern.“

„Glaubst du, es wird ihn verändern, wenn er mal damit anfängt?“

„Ihn verändern? Wieso denn das?“

„Wir sind so stark von ihm abhängig“, sagte Koshmar. „In seinem merkwürdigen kleinen Kopf steckt so viel Wissen. Aber Kinder verändern sich manchmal, sobald sie erst einmal mit dem Tvinnr beginnen. Hast du das denn vergessen, Torlyri? Und Hresh ist ja wirklich noch ein rechtes Kind. Das dürfen wir nämlich niemals vergessen. Sobald er einen Tvinnr-Partner gefunden hat, könnte es geschehen, daß er sich für viele Monate ganz und gar dem Tvinnr hingibt und darin völlig aufgeht, und was geschähe dann mit der Erforschung von Vengiboneeza? Es wäre durchaus möglich, daß Hresh sogar schon Interesse an Kopulation zeigte.“

Mit einem Achselzucken sagte Torlyri: „Na und? Wenn schon! Was wäre denn daran so schlimm?“

„Er hat Verantwortung, Torlyri.“

„Er ist ein Junge, der auf dem Sprung steht, Mann zu werden. Beabsichtigst du etwa, ihm seine Jugend zu verweigern? Soll er doch tvinnern, soviel es ihm Spaß macht. Und soll er doch kopulieren, wenn es das ist, was er möchte. Von mir aus soll er doch sogar kopulieren und Kinder zeugen!“

„Kinder zeugen? Der Stammeschronist soll eine Partnerin nehmen und Kinder zeugen?“

„Koshmar, wir leben im Neuen Frühling. Es besteht keinerlei Notwendigkeit, ihn durch veraltete Bräuche in Fesseln zu legen.“

„Aber der Alte Mann des Stammes soll keine Familie gründen“, sagte Koshmar störrisch. „Genauso wenig wie der Häuptling oder die Opferfrau. Tvinnr-Beziehungen, das ja. Kopulieren, sofern einer danach Verlangen hat, ja. Aber einen ehelichen Partner nehmen? Wie könnte dies geschehen? Wir sind von den Göttern Erwählte, und damit sind wir abgesondert von den anderen und ihnen enthoben.“ Koshmar schüttelte den Kopf. „Aber wir sind abgeschweift. Wann hattest du vor, Hresh zu initiieren?“

„In zwei Tagen, oder in dreien. Falls er keine zuwiderlaufenden anderen Pflichten hat.“

„Gut“, sagte Koshmar. „Dann erledige es, so rasch wie möglich. Aber sag mir Bescheid. Und danach müssen wir ihn im Auge behalten und aufpassen, daß er sich nicht verändert.“

Lächelnd sagte Torlyri: „Ich bin sicher, er wird hinterher kein anderer sein. Vergiß nicht, er besitzt den Barak Dayir, Koshmar. Was könnte die Tvinnr-Einweihung ihm bringen, was der Wunderstein ihm nicht längst fünfzigfach tiefer geschenkt hat?“

„Vielleicht. Ja, vielleicht.“

Das Schweigen lastete lange und war schon unbehaglich.

„Koshmar?“ sagte Torlyri schließlich.

„Ja?“

Torlyri zögerte. „Möchtest du jetzt noch — tvinnern?“

„Aber selbstverständlich“, sagte Koshmar. Auf einmal wieder weicher gestimmt und eifrig.

„Bevor wir anfangen, noch eine Frage.“

„Sprich!“

„Du sagtest, die Opferfrau sollte keinen Ehemann haben.“

Koshmars Blick wurde starr. Ihr war nicht bewußt gewesen, daß die Lage dermaßen ernst sei.

„Das ist nie der Brauch gewesen“, sagte sie kühl. „Weder der Stammesführer, noch der Alte Mann, noch die Opferpriesterin. Kopulieren, das ja. Tvinnr — selbstverständlich. Aber eine Ehepartnerschaft mit Kindern. niemals! Wir sind besondere Leute!“

„Ja. Schon gut, das weiß ich ja.“

Und wieder trat Schweigen ein. Ein häßliches diesmal.

Schließlich sagte Koshmar: „Erbittest du die Erlaubnis, Lakkamai als deinen festen Zeugungspartner zu nehmen, Torlyri?“

„Wir würden gern feste Ehepartner werden, ja“, antwortete Torlyri ausweichend.

„Und du bittest mich um die Einwilligung.“

Torlyri schaute sie mit festem Blick an. „Wir leben im Neuen Frühling, Koshmar.“

„Willst du damit sagen, daß ihr meine Zustimmung überhaupt nicht mehr braucht? Sag, was du denkst, Torlyri! Sprich aus, was in deiner Seele ist!“

„Ich habe nie zuvor derartige Gefühle gehabt.“

„Das ist zweifellos richtig“, erwiderte Koshmar scharf.

„Aber was soll ich denn tun, Koshmar?“

„Deine Pflichten und Aufgaben gegenüber den Göttern und dem Volk erfüllen“, sagte Koshmar. „Führe Hresh weg und weihe ihn ein! Vollzieh deine täglichen Opferrituale! Spende denen um dich von deiner Güte, wie du dies stets getan hast!“

„Und — Lakkamai?“

„Mit Lakkamai verfahre so, wie du es wünschst.“

Und zum drittenmal versank Torlyri in Schweigen. Koshmar ließ es gewähren, und es dauerte und dauerte.

Schließlich fragte Torlyri: „Möchtest du vielleicht jetzt, Koshmar?“

„An einem anderen Tag“, sagte Koshmar. „Um die Wahrheit zu gestehen, ich fühle mich heute abend sehr erschöpft, und ich glaube, es würde kein gutes Tvinnr werden.“ Damit wandte sie sich ab. Dann sagte sie noch bedrückt: „Ich wünsche für dich nur Freude, Torlyri. Du verstehst das doch? Ich wünsche nichts anderes, als daß du glücklich bist.“

Inzwischen machte Hresh sich mehr und mehr allein in die Ruinen auf, als wolle er Koshmar zu einem Verbot herausfordern; doch die schien sich darum nicht zu kümmern, ja vielleicht bemerkte sie es gar nicht. Meistens war sein Ziel die Große Welt. Diese plumpe Maschine mit den vielen Hebeln und Knöpfen im Kellergewölbe unter dem Platz der Sechsunddreißig Türme übte auf ihn eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus.

Inzwischen wußte er, daß der steinerne Schwebeblock, der ihn nach unten trug, automatisch nach einer gewissen Zeitspanne aus der Kellerhöhle wieder aufwärts fuhr; also hatte er nun Haniman oder sonst jemanden nicht länger nötig, um den Abwärtsmechanismus in Gang zu setzen. Und wenn es da irgendwelche Gefahren gab, so war er gern bereit, sich auf sie einzulassen, wenn er dabei nur verhindern konnte, daß andere an seinen Reisen in die ferne Vergangenheit teilnahmen. Die Große Welt, das war seine ganz persönliche Schatzhöhle, und er wollte in ihr herumstöbern, wie es ihm gerade gefiel.

Die Prozedur war jedesmal dieselbe. Man aktivierte den schwarzen Steinquader; man stieg zu der Maschine hinab; man ergriff den Barak Dayir mit dem Sensororgan; man faßte an die Hebel. und die Große Welt erwachte blitzschnell, greifbar nahe, lebendig und bestürzend zum Leben.

Er trat niemals zweimal zum gleichen Zeitpunkt in diese Welt ein. Die äußere Struktur der Stadt schien jedesmal anders zu sein. Es war, als habe diese Maschine die lange Geschichtsdauer des sagenhaften Vengiboneeza in sich gespeichert, diese ganzen hundertmal tausend Jahre des Wachstums und der Verwandlungen, und als böte sie ihm willkürlich beliebige Vergangenheitsschnipsel. manchmal aus dem Früh-Vengiboneeza, das noch in den Anfängen der prachtvollen Entfaltung steckte, manchmal aber war es auch eine Variante der Stadt, die zweifellos aus den allerletzten Jahren datierte, denn, so ähnlich war die Struktur dem Aufrißplan der Ruinenstadt.