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Es gab keinen drastischeren Beweis für die lebensstrotzende Dynamik, von der das alte Vengiboneeza beherrscht gewesen sein mußte, als diesen beständigen Wandel, der Hresh hier vor Augen geführt wurde. Selten einmal stieß er auf ihm vertraute Orientierungspunkte und Landmarken — die Hafenboulevards, die sechsunddreißig Türme der Plaza, den Turm, den sein Volk zum Tempel gemacht hatte, die Villenviertel an den Berghängen. Manchmal waren diese Bezugspunkte vorhanden, ein andermal wieder fehlten sie. Die flache, wuchtige, drohende Zitadelle blieb als einziger Ort unveränderlich und unerschütterlich sie selbst, wann immer Hreshs Seele sich über den Abgrund der Äonen zurück in die Vergangenheit schwebte.

Einmal verlor er sich in einer Zeit, in der entlang den Straßen in den tieferliegenden Stadtteilen hohe weiße Palisaden wie Reihen von Speeren errichtet waren und die Stadt voll von Seeherren war, die in Scharen in ihren schimmernden Silberkaleschen vom Uferkai heraufparadierten. Ein andermal wirbelten droben Paniere aus einer unerklärlichen Energie in knisterndem Wirrwarr buntfarbiger Lichter, und eine gewaltige Pilgerschar von Hjjk-Leuten wand sich in den Berg hinab, unzählbare Millionen von ihnen, die hintereinander sich in die Stadt fädelten, die sie in sich aufnahm, als sei ihre Kapazität unermeßlich und unbegrenzt. Oder es zeigte sich Hresh ein Aufzug einer Schar von Menschen — widerwillig gestand er ihnen jetzt diesen Status zu, da er kaum anders konnte, obschon er noch immer verzweifelt hoffte, bei der Auswertung seiner Entdeckungen einer Fehlinterpretation aufgesessen zu sein —, fünfzig, sechzig an Zahl von diesen haarlosen, dünngliedrigen Geschöpfen, die sich dann auf einem weiten Platz der Stadt dicht unterhalb der Zitadelle niederließen. Dort tauschten sie dann stumm ihre Gedanken aus, und er war von dieser Kommunikation völlig ausgeschlossen, so sehr er sich auch bemühte, ihr Geheimnis zu enträtseln.

Doch überwiegend war Vengiboneeza eine Stadt der Saphiräugigen. Sie beherrschten sie. Auf jeweils zehn Angehörige der anderen Rassen, die Hresh erblickte, kamen mindestens hundert von diesen Reptilischen, wenn nicht tausend. Er sah sie, wohin immer er blickte: dickschenkelig, mit langen Kinnbacken, monströs von Körpergestalt, mit funkelnden Augen, Kraft und Weisheit und selbstsichere Gelassenheit ausstrahlend.

Es war für Hresh weiter nicht schwer, in ein Gespräch mit den Wesen zu kommen, denen er in Vengiboneeza begegnete, selbst mit den Meeresherren, selbst mit den Menschen. Jedermann verstand ihn, und jedermann war ausnahmslos höflich. Doch mehr und mehr zwang sich ihm die Erkenntnis auf, daß es sich dabei nicht um reale, wirkliche Unterhaltungen handle. Vielmehr waren es nette Phantasmagorien, Illusionen, die der Apparat erzeugte, der sein Tor in die Vergangenheit war. Er selbst war nicht wirklich dort in der Großen Welt, die vor siebenmal hunderttausend Jahren unter dem Niedersturz der Todessterne gestorben war, sondern war vielmehr nur in irgendeine Projektion verstrickt, ein Faksimile, einen Abklatsch, der zwar höchst lebensecht wirkte, es jedoch nicht war, und der ihn in sich hineinsaugte, als wäre er, Hresh, wirklich auf einer Wanderung durch die gewaltige Stadt.

Besonders deutlich wurde dies, weil er sich natürlich in seiner gewohnten Art und Weise in die Gespräche mit den Bewohnern stürzte: voller Fragen. Aber irgendwie entbehrten die Antworten, die er erhielt, der Substanz. Zwar schienen sie etwas zu bedeuten und auszusagen, doch schien sich dieser Sinn jedesmal zu nichts zu verflüchtigen, wenn er die Antworten in seinem Geist aufzunehmen versuchte; es war wie eine Speise, die man bei einem Traum-Festmahl genießt. Hresh erfuhr überhaupt nichts von denen, die er auf den Straßen des versunkenen Vengiboneeza traf und befragte. Alles war wahrhaftig verloren und versunken und dahin, unzugänglich gemacht für ihn durch die grausame Hürde der Zeit.

Dennoch, was er sah, war atemberaubend, und er reifte daran und wurde reicher — und auch von großer Ehrfurcht erfüllt gegenüber der vergangenen Größe und Pracht.

Die Saphiräugigen tauchten anscheinend im alten Vengiboneeza auf und verschwanden wieder, wie es ihnen beliebte, sie waren da und wieder fort, und das mit verblüffender Geläufigkeit. Pop — da waren sie, und pop, schon waren sie wieder verschwunden.

Für ihre außerstädtischen Reisen besaßen sie ein weiteres Wunderding: Himmelskarossen wie schimmernde rosig-goldene Blasen, die lautlos zu Boden sanken und aus sich wie durch Zauber an den Flanken öffnende Schleusen ihre Fahrgäste entließen. Hresh sah Hunderte solcher Blasenballons droben in der Luft lautlos und rasch dahinreisen. Nie stießen sie gegeneinander, auch wenn sie manchmal sehr dicht zusammenzukommen schienen. Und im Innern saßen die Saphiräugigen, gemächlich und gelassen.

Ein drittes Mittel der Ortsveränderung — sofern es sich dabei um so etwas handelte — bestand in rätselhaften Vorrichtungen, die auf kleinen glatten Plattformen aus grünem Stein montiert waren. Es handelte sich dabei um schmale vertikale Röhren aus dunklem Metall, etwa so lang wie ein voll ausgewachsener Mann, die sich am oberen Ende zu haubenbedeckten glatten Kugeln weiteten, die nicht größer waren als der Kopf eines Menschen. Ein seltsam heftiges Licht, blau und rot und grün, spielte um die Öffnungen an diesen Kugeln, als entströmte es irgendeinem hochenergetischen Apparat in ihrem Innern.

Ab und zu näherte sich einer der Saphiräugigen mit noch gelasseneren und ruhigeren Bewegungen als gewöhnlich einem der Podeste, auf denen diese Apparate standen. Gewöhnlich begleiteten ihn dabei andere Angehörige seiner Art fast körpernah, manchmal sogar, indem sie ihre kleinen Unterarme ihm auf den massiven Leib legten. Aber immer wichen dann diese begleitenden Saphiräugigen zurück und ließen den Abreisenden allein auf die Plattform steigen. Und der schob sich nahe an die Kugel an der Spitze der Röhre heran, bis sein gewaltiges Kinnbackengesicht vom Licht, das aus ihrem Innern kam, hell leuchtete; und dann wurde das Geschöpf plötzlich ins Innere der Kugel gesogen. Hresh sah nie genau, auf welche Weise dies vor sich ging, und er begriff auch nicht, wie da Platz sein sollte für den gewaltigen Körper der Saphiräugigen in solch einer kleinen glühenden Kugel. Es gelang ihm auch nie, den Moment des Übergangs zu erfassen, den Augenblick, in dem der Saphiräugige, der in die Kugel starrte, hineingesogen wurde und dem Blick entschwand.

Doch wohin immer die Reise der Saphiräugigen auch führen mochte, es war offensichtlich eine Reise ohne Wiederkehr: viele gingen in die Kugelgebilde an der Spitze der Tubus ein, doch Hresh sah niemals einen dort herauskommen.

Wie es schien, war keiner dieser Apparate in das moderne Vengiboneeza herübergerettet worden. Hresh schaute sie ausschließlich bei seinen Visionstouren. Im real-existenten Ruinenhaufen der Stadt vermochte er nicht einmal Reste oder Spuren dieser grünen steinernen Plattformen auszumachen, auf denen diese Röhrenkonstruktionen montiert gewesen waren.

Nachdem er aber viele Male das Ritual der Haubenkugeln beobachtet hatte, entschied Hresh sich endlich, es selbst einmal in Augenschein zu nehmen. In einer mondlosen Nacht betrat sein träumender Geist einen verlassenen weiten Platz. Nahebei stand ein Baum, dessen Äste sich unter der Last riesenhafter keilförmiger brauner Nüsse bogen, von denen jede größer war als die Spannweite seiner beiden Hände. Er türmte diese Nüsse übereinander, zu einem Haufen, der hoch genug war, ihm von der Spitze den Blick in die Kugelöffnung zu erlauben. Das war ein ziemlich schwieriges Unternehmen. Die kantenglatt gestapelten Nüsse rutschten und glitten nämlich immer wieder unter ihm weg, und er mußte sich an der Kugelhaube festhalten, um nicht zu stürzen. Und so klammerte er sich fest und schob den Kopf dicht an die Öffnung heran.