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Als sie die Rampe hinabzuschreiten begannen, sagte Hresh urplötzlich: „Ich habe über die Götter nachgedacht, Torlyri.“

Das kam ihr überraschend. Er sollte in diesem Augenblick ans Tvinnrn denken, und nicht an sowas. Aber eigentlich überraschte sie ihre Überraschung gar nicht. Vieles von dem, was Hresh von sich gab, war überraschend. Und Hresh tat selten das, was irgendwer von ihm erwartete.

„Hast du das?“ fragte sie sanft.

„Bei meinen Nachforschungen habe ich etwas gesehen“, sagte er. „Eine Maschine der Uralten, die mir Tiere zeigte, wie sie in der Zeit der Großen Welt gelebt haben. Manche waren den heutigen Tieren ziemlich ähnlich, aber trotzdem waren sie anders. Die Tiere, die durch die Zeiten hindurch aus der Großen Welt überlebten, haben auf deutlicher oder weniger deutliche Art viele Veränderungen erfahren.“

„Ja, vielleicht ist es so“, sagte Torlyri und überlegte, wohin dieses Gespräch führen mochte.

„Ich fragte mich also, welche der Götter derartige Veränderungen bewirkt“, fuhr Hresh fort. „Also, es ist Dawinno, der sie verwandelt hat. Er ist es doch, Torlyri, nicht wahr? Der im Ablauf der Jahre alle Wesen verwandelt? Dawinno schafft neue Formen aus den alten.“

Torlyri blieb auf der Rampe stehen und blickte Hresh prüfend und verwundert an. Dieser kleine Junge, der heute zum Mann werden sollte — und dann schwirren ihm derartige Gedanken durch den Kopf. wahrlich, es gab keinen so wie Hresh und sicherlich hatte es auch nie zuvor einen wie ihn gegeben!

„Dawinno nimmt das Alte weg, ja“, sagte Torlyri behutsam. „Er schafft Platz für das Neue.“

„Nein, er bringt das Neue aus dem Alten hervor.

„Ist das deine Lesart der Sache, Hresh?“

„Ja. Ja — Dawinno ist der Verwandler der Formen!“

„Also gut“, sagte Torlyri, die immer weniger begriff.

„Aber Verwandlung ist eben nichts weiter als Verwandlung“, sagte Hresh. „Es ist keine Schöpfung.“

„Ja, vermutlich ist es so.“

Seine Augen leuchteten nun beinahe fiebrig.

„Aber wo beginnt dies alles? Bedenke doch nur, Torlyri, welche Götter wir verehren. Wir beten zum Ernährer und zum Tröstergott, zum Heilgott. Und zum Schützer und zum Zerstörer. Aber es gibt keinen Gott, den wir als den Erschaffenden — den Schöpfer bezeichnen würden. Wem also verdanken wir unser Leben, Torlyri? Wer hat die Welt gemacht? Ist es Yissou?“

Seit Beginn des Gespräches hatte Torlyri sich unbehaglich gefühlt, doch jetzt steigerte sich dieses Gefühl rasch und in bedenklichem Maße.

„Yissou ist der Beschützer“, sagte sie.

„Eben. Aber nicht der Schöpfer. Wir wissen ganz einfach nicht, wer der Schöpfer ist. Wir denken sogar überhaupt nie daran. Hast du dir je Gedanken darüber gemacht, Torlyri? Hast du?“

„Ich vollziehe die Riten. Ich diene den Fünf Erhabenen.“

„Und diese Fünf müssen einem Sechsten dienen! Aber wer ist er? Wieso haben wir für ihn keinen Namen? Warum gibt es keine Riten, ihn zu ehren? Er hat die Welt gemacht und alles, was in ihr ist. Dawinno verwandelt die Welt schließlich nur. Und wenn ich mir so die Beweise für seine Umgestaltung anschaue, beginne ich eben mich zu fragen, wie die Ur-Gestaltung war, verstehst du mich? Es gibt einen höheren Gott als Dawinno — und wir wissen gar nichts von ihm. Siehst du das ein, Torlyri? Begreifst du? Er entzieht sich uns, hält sich vor uns verborgen. Aber bei ihm ist die höchste Macht. Er besitzt die Schöpferkraft. Er kann etwas aus dem Nichts machen. Und er kann alles in jegliches andere umgestalten. Ja, es könnte sogar sein, daß er sich derartig widerwärtige und hirnlose Bestien nimmt wie diese Affen, die uns dermaßen quälen, und sie zu etwas verwandelt, das. das fast menschlich ist. Er kann alles, was er will, Torlyri. Er ist der Schöpfer! Ja, vielleicht hat er sogar die Erhabenen Fünf erschaffen!“

Sie starrte ihn entsetzt an.

Sie war keine hirnlose Frau, aber es gab für sie bestimmte Bereiche, in die sie lieber nicht fragend vordringen wollte. Niemand tat dies. Es gehörte sich einfach nicht, Spekulationen über die Natur und das Wesen der Götter anzustellen; man hatte einfach zu tun, was sie befahlen. Und so hatte sie es ihr Leben lang gehalten, getreulich und gut. Die Fünf herrschten über die Welt — ihr genügten die Fünf.

Und da war nun dieser Hresh und legte ihr Gedanken vor, die sie als zutiefst beunruhigend empfand. Ein Schöpfergott, sagte er. Nun, es war ja klar, daß alle Dinge einmal ihren Anfang genommen haben mußten, wenn sie jetzt schon wirklich einmal innehielt und darüber nachdachte, aber das mußte vor sehr, sehr langer Zeit gewesen sein, und in welcher Weise konnte es die jetzt und heute Lebenden beeinflussen? Es war einfach töricht, sich über derlei Gedanken zu machen. Die Vorstellung allerdings, daß da vielleicht einmal eine Zeit gewesen war, in der die Himmlischen Fünf selbst noch nicht waren, daß ein anderer sie ins Dasein gerufen haben könnte, das ließ Torlyri den Kopf schwindlig werden. Denn wenn die Fünf einen Erschaffer gehabt hatten, dann hatte ja möglicherweise auch dieser Erschaffer seinerseits wieder einen, der ihn erschaffen hatte, und dieser wieder war womöglich von einem noch höherrangigen Gott erschaffen worden. und. und. und.

Und das hörte nie auf. Ihr Kopf drehte sich.

Und dann noch diese Geschichte mit den zu Menschen werdenden Affen. Was sollte denn das für einen Sinn haben?

Ach, Hresh, Hresh, Hresh!

Ruhig, aber mit Festigkeit sagte sie: „Wir wollen unsere Gedanken jetzt auf das Tvinnr lenken, Hresh.“

„Wenn du so willst.“

„Nicht nur, weil ich es so will. Sondern weil wir aus diesem Grund hierher gekommen sind.“

„Also schön“, sagte er. „Dann tvinnern wir eben heute, Torlyri.“

Sie lächelte ihm zärtlich zu und legte ihm beide Hände in seine Hände. Plötzlich kam es ihr so vor, als sei sie der Neophyt und Hresh derjenige, der die Einweisung vornehmen sollte. Es verwirrte sie wie immer, wenn sie mit diesem Jungen zu tun hatte. Sie sagte sich vor, daß er ja wirklich nichts weiter sei als ein Knabe, ein Junge von nur dreizehn Jahren, und daß er ihr kaum bis zur Brust reichte, und daß der Grund ihres Hierseins seine erste Tvinnr-Erfahrung sei, nicht die ihre.

Also stiegen sie gemeinsam weiter abwärts, bis sie an der niederen Steingalerie und dem Spitzbogen anlangten, der in ihr kleines Tvinnr — Gemach führte. Aber während sie durch die schmale Tür traten, Torlyri mußte sich ein wenig bücken wegen der Höhe, nahm sie plötzlich eine Veränderung in Hreshs Körpergeruch wahr, und sie wußte, daß erneut eine kleine Veränderung der Situation sich ereignete. Kaum hatten sie den Ort betreten, hatte Hresh die Führung übernommen. Aber vielleicht — dachte sie — wird ihm jetzt doch allmählich bewußt, daß er wirklich jetzt zum erstenmal tvinnern soll. Das Ereignis nahm für ihn reale Wucht an. Und von daher rührte dieser Duft von Beklommenheit und Furcht, der von ihm ausströmte. Er mochte gut und gern Hresh-der-Chronist sein, Hresh-der-Weise, doch daneben war er halt auch nur der kleine Junge, und daran begann er sich nun wieder zu erinnern.

Das Tvinnr-Gemach war ein zwölfwandiger Raum, durch Maßwerk aus Blausteinrippen voneinander abgesetzt; diese Rippen stießen an der Decke zu einem komplexen Kreuzgewölbe zusammen, das halb in den Schatten verborgen war. Es war ein kleiner Raum, möglicherweise früher einmal eine Vorratskammer der Saphiräugigen; für den persönlichen Gebrauch von derartig voluminösen Personen, wie sie es waren, zweifellos viel zu winzig. Doch für Torlyris Zwecke genügte der Raum allemal. Sie hatte ein Lager aus übereinander gestapelten Pelzen hergerichtet, und in den Wänden gab es Nischen, in die sie gewisse heilige Gegenstände gesetzt hatte. Von Wandampeln schimmerte flackerndes grüngelbes Licht von Glühbeeren, dünn, jedoch ausreichend.