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„Nein!“ sagte Hresh plötzlich. „Das sind keine Feinde.“

Verwirrt schaute Koshmar ihn an. Dann brach sie in ein rauhes Lachen aus. „Recht hast du, Hresh. Es sind nichts weiter als Gäste. Sachkor hat sie herbeigeführt, sie und ihre kleinen Schoßtierchen, um uns mal zu besuchen, und sie werden mit uns das Abendmahl teilen und morgen wieder abziehen. Ist es das, was du glaubst?“

„Sie sind nicht zum Kampf gekommen“, sagte Hresh. „Richte dein Zweites Gesicht auf sie, Koshmar. Sie kommen in friedlicher Absicht.“

„Friedlich!“ sagte Koshmar verächtlich und spuckte aus.

Doch in Hreshs Gesicht sah sie einen ihr völlig neuen Ausdruck, einen Ausdruck von derartiger Festigkeit und Eindringlichkeit, daß er ihr durch und durch fuhr. Plötzlich hatte sie das Gefühl, es wäre vielleicht unklug, sich Hresh in dieser Sache zu widersetzen, denn manchmal schaute er Dinge, die kein anderer sonst zu sehen vermochte. Mühsam beruhigte sie sich, zwang die brodelnde Kampfeslust in ihrer Seele nieder und sandte ihr Zweites Gesicht der heranrückenden Horde entgegen.

Und Hresh hatte die Wahrheit gesprochen.

Sie vermochte dort keine Feindschaft auszumachen, keinen Haß, keinerlei Bedrohung.

Doch selbst nun brachte Koshmar es nicht über sich, dem Willen des Knaben nachzugeben. Zornig schüttelte sie den Kopf. „Eine List“, sagte sie. „Verlaß dich da auf mich, Hresh. Du bist weise, aber du bist noch jung und weißt nichts von der Welt. Diese Leute da haben eine Methode, den Schein zu erwecken, als brächten sie keine Gefahr. Doch betrachte dir doch die Rüstungen, die sie tragen! Sieh die Ungeheuer, auf denen sie reiten! Nein, die sind gekommen, um uns zu töten, Hresh, und um uns Vengiboneeza zu entreißen.“

„Nein!“

„Und ich sage, ja! Und ich sage, wir müssen sie schlagen, ehe sie uns vernichten!“ Und Koshmar stampfte wütend mit dem Fuß auf den Boden. „Harruel! Wo ist Harruel? Er würde das verstehen! Der wäre jetzt bereits dort vorn mitten unter ihnen und würde sie von ihren Tieren schleudern!“ Sie blickte alle der Reihe nach an, von Orbin zu Konya, von Konya zu Staip, von Staip zu Lakkamai. Dann sprach sie: „Nun? Wer von euch kommt mit mir? Wer kämpft an meiner Seite? Oder muß ich allein in den Kampf gehen und sterben?“

„Siehst du denn nicht, Koshmar?“ Hresh zeigte an ihrer Schulter vorbei.

Sie wandte sich um. Das donnernde Stampfen der großen schwarzkralligen Beine hatte aufgehört. Die anrückende Horde hielt vielleicht hundert Schritt, vielleicht etwas weniger vor ihnen auf dem Boulevard an. Eins nach dem anderen begannen die riesenhaften roten Tiere niederzuknien, wobei sie ihre seltsam konstruierten Knie auf bizarre Art knickten. Die behelmten Reiter sprangen ab. Und schon strebte ein Halbdutzend der Eindringlinge mit Sachkor in ihrer Mitte über den großen Boulevard auf sie zu, als wollten sie verhandeln.

„Koshmar?“ rief Sachkor.

Sie hielt den Speer angriffsbereit. „Was haben sie dir getan? Wie haben sie dich gefangen? Haben sie dich gefoltert, Sachkor?“

„Du verstehst das falsch“, sagte Sachkor ruhig. „Sie haben mir kein Leid getan. Und sie haben mich auch nicht gefangen genommen. Ich bin aus der Stadt gezogen, um sie zu suchen, weil ich glaubte, daß sie irgendwo in der Nähe sein müßten, und als ich sie schließlich fand, empfingen sie mich mit Freuden.“ Seine Stimme klang ganz fest. Er sah älter aus, weiser, gesetzter, als er es bei seinem Verschwinden zu Beginn des Jahres gewesen war. „Diese Leute sind das Beng-Volk“, sprach er weiter, „und sie haben ihren Kokon schon viel füher verlassen als wir. Sie kommen von einem fernen Ort am anderen Ufer des großen Flusses, an dem wir einst lebten. Sie sind anders als wir, doch sie hegen gegen uns keinen Haß.“

Hresh nickte dazu. „Er spricht die Wahrheit, Koshmar.“

Koshmar begriff noch immer gar nichts. Sie hatte ein Gefühl, wie wenn sie hilflos von einem dahinschießenden Sturzbach davongerissen würde. Krieg und Kampf konnte sie begreifen, das da aber nicht.

„Sie belügen dich“, murrte sie störrisch. „Es ist eine Hinterlist.“

„Nein, Koshmar. Keine List. Und kein Trug.“

Sachkor wies auf zwei der Behelmten, und diese traten vor und stellten sich an seine Seite. Der eine war alt und hatte pfiffige Augen, und er wirkte irgendwie vertrocknet und runzlig, was Koshmar ein wenig an Thaggoran, ihren Stammeschronisten, erinnerte. Sein Pelz war fahlgelb, beinahe weiß; er trug einen spitzkegeligen Helm, der sich aus prächtig punzierten verschiedenfarbenen Metallreifen zusammensetzte und in einer gerundeten Spitze endete. Gewaltige schwarze Metallohren sprangen an den Seiten hervor wie Flügel.

„Dies ist Hamok Trei“, sagte Sachkor. „Er ist ihr Häuptling.“

„Der? Ein Mann als Häuptling?“

„Ja“, sagte Sachkor. „Und dieser hier ist ihr Weiser Mann, also was wir den Chronisten nennen würden. Sein Name lautet Noum om Beng.“ Er deutete auf einen wuschelbärtigen Mann, beinahe so alt wie Hamok Trei, aber noch verhutzelter und verwitterter als dieser. Er war erstaunlich hochgewachsen, weit größer als Harruel, doch dermaßen schlank und zerbrechlich, daß er kaum kräftiger als ein Schilfrohr wirkte. Noum om Beng stand nach vorn gekrümmt da. Sein Helm war ein verbluffendes Ding aus schwarzem Metall mit Büscheln grober schwarzer Haare, und ein Paar langer gekrümmter blauroter Auswüchse, vielgliedrig und gezackt und irgendwie an Fledermausflügel erinnernd, ragte seitlich nach oben.

Noum om Beng trat ein, zwei Schritte dichter an Koshmar heran und schlug eine Reihe Zeichen in die Luft vor ihr, die beinahe die Zeichen der Großen Fünf hätten sein können, nur daß sie es eben nicht waren. Die Gesten waren verschieden und ergaben für Koshmar keinen begreifbaren Sinn. Irgendwelche heiligen Symbolzeichen waren es gewiß, aber sie mußten zu einer vollkommen anderen Götterschar gehören.

Aber, wie denn das? Wie konnte es andere Götter geben? Der Gedanke ergab keinen Sinn. Und sie erinnerte sich, wie Hresh es ihr damals zu erklären versucht hatte, als sie den Behelmten zu befragen versucht hatten, daß der Fremdling vielleicht eine andere Sprache spreche — also andere Wörter als sie benutze, auch wenn deren Bedeutung die gleiche sei. Widerstrebend hatte Koshmar diese Möglichkeit zugegeben, so verwirrend sie auch sein mochte. Aber auch noch andere Götter? Fremde Götter? Es gibt keine anderen Götter als die Fünf. Und dieses Volk da würde kaum zu nicht-existierenden Göttern beten, außer es war ein Volk von Verrückten. Und dafür hielt Koshmar die Behelmten nicht.

So sprach sie zu Sachkor: „Woher kommt dir Kunde von ihren Namen und ihrem Rang? Kannst du mit ihnen reden?“

„Ein wenig“, sagte Sachkor. „Anfangs konnte ich sie überhaupt nicht verstehen, und sie mich auch nicht. Doch ich stürzte mich in die Aufgabe, und nach und nach gelang es mir, ihre Sprache zu erlernen.“ Er lächelte. Er schien sich Mühe zu geben, aber keine allzu gewaltige, nicht zu zeigen, wie zufrieden er mit sich war.

„Dann sage diesem Häuptling da, er soll etwas zu mir sprechen.“

„Der Häuptling spricht selten. Noum om Beng spricht an seiner Stelle.“

„Dann bitte diesen.“

Sachkor wandte sich dem gespenstischen Greis zu und sagte etwas zu ihm, das für Koshmars Ohren wie das Gebell einer Bestie klang. Noum om Beng runzelte die Stirn und zupfte an seinem schütteren weißen Bart. Sachkor bellte noch einmal, und darauf nickte der Alte und bellte etwas zurück. Und mit großem Nachdruck sprach Sachkor ein drittesmal. Aber was er diesmal gesagt hatte, war wohl nicht ganz richtig gewesen, denn Noum om Beng wandte taktvoll den Blick ab, während die anderen in der Parlamentärgruppe der Behelmten in scharfes Gelächter ausbrachen. Sachkor wirkte beschämt; Noum om Beng lehnte sich schwankend zur Seite und sprach flüsternd mit Hamok Trei, dem Häuptling.