In langen Ketten durchschneiden die felsigen Ausläufer des Kleinen Kaukasus Armenien. Die Berge ziehen sich von Georgien nach Südosten hin - der Grenze entgegen, die die Armenische Sozialistische Sowjetrepublik vom Iran trennt. Wie Domkuppeln ragen die gigantischen Gipfel bis hinauf in die Wolken.
Die kahlen, roten Kalksteinfelsen der südlichen Abhänge sind der unerschöpfliche Reichtum der Industrie Sowjetarmeniens. Sie werden von wilden Ziegenherden durchstreift, deren Schlupfwinkel in den Felsspalten noch von keinem Menschen betreten wurden. Die Täler aber, die sich zu Füßen der Berge erstrecken, leuchten smaragdgrün. In den Kolchos gärten füllen sich die Trauben mit süßem Saft, und wie ein üppiger Teppich breiten sich Baumwollplantagen aus.
Dunkle, dichtbelaubte Wälder bedecken die nördlichen Abhänge der Gebirgskette. Noch heute hausen Bären und Rotwild in dem undurchdringlichen Dickicht dieser Wälder. Die Tiere leben von dem Überfuß der Natur: sie finden Eicheln, Nüsse, Kornelkirschen, wilde Äpfel, Birnen, Pflaumen, Granatäpfel, ja selbst Weintrauben... Auf den Wiesen weiden riesige Kolchosherden.
Hoch oben in den Bergen liegt in einem gigantischen von Felsen gebildeten Kessel der Sewan-See. Die Berge nehmen den Sewan in ihren Schoß auf, und in seinem Wasser spiegelt sich das Panorama ihrer schneebedeckten Gipfel. Sie haben sich wie steinerne Riesen Schulter an Schulter aufgestellt, haben sich die Hände gereicht und halten Wacht.
Nur an einer einzigen Stelle ist zwischen den Bergen ein Durchgang offen geblieben - hier ist der Reigen unterbrochen; vielleicht hatten die gigantischen Tänzer nicht mehr die Zeit, einander die Hände zu reichen... Die Sanga hat dies ausgenutzt und braust als reißender Strom zwischen ihnen dahin.
Heute ist der Sanga-Fluß gebändigt; er speist die an seinen Ufern erbauten Elektrizitätswerke, und mit seinen Wassern werden die Gärten und Baumwollplantagen der Ararat-Ebene bewässert.
Der Sewan ist einer der größten Süßwasser-Gebirgsseen. Seine Oberfläche umfaßt 1400 Quadratkilometer. Dreißig Flüsse und Flüßchen, die von den Bergen rings um den Sewan herabfließen, führen dem See im Jahr siebenhundertzwanzig Millionen Kubikmeter Wasser zu. In diese Mengen sind die als Regen niedergehenden Wassermassen nicht eingerechnet. Die Sanga übernimmt von dieser Wasser-menge jährlich nur fünfzig Millionen Kubikmeter. Das übrige verdunstet und verwandelt sich in Wolken, die vorn Winde weggetragen werden.
Sowjetische Wissenschaftler und Ingenieure haben einen Weg gefunden, die unaus genutzten Wassermassen des Sewan der Volkswirtschaft des Landes nutzbar zu machen. Durch einen Tunnel wird bald ein weiterer Teil des Wassers in die Sanga geleitet werden. Der Wasserspiegel wird allmählich fallen, die Oberfläche kleiner werden, und damit wird sich die Verdunstung verringern. Nach etwa fünfzig Jahren wird es soweit sein, daß der See den Elektrizitätswerken und den Feldern Armeniens jährlich Hunderte Millionen Kubikmeter Wasser liefern kann. Die Wasserversorgung der Elektrizitätswerke aus dem Sewan gehört zu den bedeutendsten Anlagen, die im Zuge der sozialistischen Fünfjahrpläne errichtet wurden. Diese Anlagen werden in der Wirtschaft und im kulturellen Leben der Sowjetrepublik einen völligen Umschwung herbeiführen und neue mächtige Energiequellen für das moderne Armenien erschließen.
In dem Süßwasser des Sewan leben edelste, an das kalte, klare Wasser der Gebirgsbäche gewöhnte Fische. Weit über die Grenzen ihrer Heimat hinaus sind sie berühmt geworden. Wie köstlich diese Fische sind, bezeugen allein schon die Bezeichnungen, die ihnen von alters her der Volksmund gegeben hat: Juwel, Fischkönig und so fort...
Einstmals breitete sich an der Stelle, an der der See liegt, eine weite, blühende Ebene aus. Die Sanga nahm ihren Anfang nicht dort, wo der Reigen der steinernen Riesen unterbrochen ist — sie floß zu jener Zeit von den fernen östlichen Gipfeln der Gebirgskette herab und war dreimal länger als jetzt. Der Fluß durchquerte die Ebene und floß zwischen den Abhängen hin, die jetzt kahl und öde daliegen, die aber vor vielen Jahrhunderten mit dichten, üppigen Wäldern bedeckt waren. In den Wäldern hausten Bären, und auf den Gebirgswiesen weideten Rudel edler kaukasischer Hirsche und Auerochsen. Die Skelette dieser Tiere werden nicht selten von Archäologen gefunden, die an den Ufern des Sewan Ausgrabungen vornehmen. Auch in den Netzen der Fischer verfangen sich zuweilen große Geweihe längst aus gestorbener Wildarten.
Das alte Flußbett wurde auf dem Grunde des Sewan entdeckt. Sowjetische Archäologen haben hier am Sewan auch das Grab eines Urmenschen freigelegt. Es handelt sich um einen Jäger, der mitsamt seiner primitiven Waffe und einem Baummarder bestattet worden ist. Die Baummarder leben nur in dichten Wäldern mit starkem, altem Baumbestand. Dieser Fund bestätigt die Annahme, daß die Abhänge, die das Tal einsäumen, einstmals mit Wäldern bedeckt waren.
Wie aber kam es, daß die blühende Ebene überschwemmt wurde? Wie ist hier der See entstanden?
Einer der gewaltigen Berge in der Umgebung war vulkanisch - er bebte, grollte und stieß zuweilen Rauch und Asche aus. Dali-Dagh -»Tobender Berg« - nannten ihn die Menschen. Eines Tages züngelten Flammen zum Himmel; glühende Lava, die seit Jahrhunderten tief im Innern des Berges gebrodelt hatte, brach hervor und ergoß sich in feurigen Strömen über die Abhänge. Die La.va drang in die Ebene, staute den Flußlauf der Sanga, erkaltete, und die Gebirgsflüsse und -bäche, die bis dahin die Sanga gespeist hatten, überschwemmten allmählich die Ebene.
Man erzählt, daß in jenen Zeiten, als der Dali-Dagh ausbmch und die Ebene mit flüssiger Lava überschüttete, am Fuße des Berges ein weltverlorenes Dörfchen gelegen habe. Entsetzen packte die von dem Unglück heimgesuchten Bewohner. Sie verkrochen sich ängstlich in die entferntesten Winkel. Diese namenlose Angst vor der Allgewalt der Natur, vor ihren zerstörenden Kräften, blieb für immer in ihren Herzen und in den Herzen ihrer Kinder und Kindeskinder zurück.
Die Menschen, die nicht fähig waren, die Vorgänge in der Natur zu verstehen, unterwarfen sich demütig den dämonischen Gewalten. Sie beteten sowohl den Dali-Da,gh als auch den stürmischen, durch den Ausbruch des Vulkans entstandenen See als überirdische Mächte an. Sie beteten den See an, wenn er aufbegehrte, ihre Boote zerschlug und die Menschen verschlang, und wenn er in dunklen Nächten brüllte und sich aufbäumte wie ein verwundetes Tier; sie beteten ihn aber auch an, weil er ihr Dörfchen an manchem friedlichen Frühlings-morgen mit einem stillen und klaren Lächeln anzublicken schien. Sie liebten den See, weil er sie ernährte und für sie die Quelle des Lebens war.
Die Menschen beteten auch die sogenannten Schwarzen Felsen am Abhange des Dali-Dagh an, weil sie im Laufe der Jahrhunderte vielerlei Heimsuchung über das kleine Dorf brachten. Wenn der Himmel der Erde zürnte, zog er seine Wolken über den bizarren Gipfeln der Schwarzen Felsen zusammen und vernichtete durch Hagelschlag die kargen Ernten der Bauern, und aus dem Innern des Dali-Da,gh war immer wieder ein ohrenbetäubendes Getöse zu hören; glühende Asche fiel auf die Erde und versengte die Felder und Wiesen. Diese Nöte und Leiden schrieben die Menschen den Schwarzen Felsen zu.
Im Innern dieser Felsen befindet sich eine Höhle mit einem engen Zugang. Grabeskälte schlägt einem entgegen, und aus der Tiefe läßt sich ein schweres, dumpfes Stöhnen und Seufzen vernehmen. Die Menschen glaubten, dies sei die » Höllenpforte«, und angstvoll mieden sie die Höhle.
Vor noch nicht allzulanger Zeit wurden die alten Leute im Dorfe Litschk, das an Stelle des längst versunkenen Dörfchens entstanden ist, von Ängsten geplagt, die sie bis in ihre Träume hinein verfolgten. Da kam die Sowjetjugend von Litschk auf den Gedanken, den Kampf mit den »Geistern« aufzunehmen. Wie sie das machte und wie sie ihn siegreich bestand, erzählt unsere Geschichte.