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Kamo, der auf die Entschleierung dieses Geheimnisses versessen war, versuchte mit finsteren Blicken das Schilf zu durchdringen.

»Wir wollen hier weg«, schlug Grikor nicht allzu mutig vor.

Aber Kamo war dagegen:

»Nein, im Gegenteil, wir wollen dahin rudern, wo das Brüllen herkommt.«

Armjon wollte widersprechen, doch das mutige Verhalten seines Freundes verschloß ihm den Mund.

Das Geheimnis des Gilli-Sees

Armjon hatte sich in die Karte vertieft. »Wir sind da«, sagte er, »hinter dieser Schilfwand muß noch mal ein großer See liegen, das ist dann der letzte. Hinter dieser mit Schilf bewachsenen Fläche vor uns liegen schon die Torffelder.«

»Seht doch«, rief Asmik, »wie unruhig die Vögel hin und her flattern, und hört mal den Lärm, den sie hinter der Schilfwand machen.«

»Wie kommen wir aber dahin?« fragte Armjon ungeduldig. »Alles ist Sumpf hier und das Schilf so dicht, daß man nicht durchkommt. «

»Sicher ist noch keiner vor uns hier gewesen! Was mag nur hinter der Schilfwand sein? Vielleicht gibt es da richtige Wundertiere, wie im Märchen«, meinte Asmik ganz aufgeregt.

»Oder die Wassergeister, von denen Großvater Assatur erzählt hat«, fügte Grikor hinzu und zog den Kopf ein.

Schon wieder erdröhnte das Gebrüll jenseits der Schilf-wand. Jetzt waren die Kinder ihrer Sache sicher. Dort war die Lösung des Rätsels.

Mit dem Boot kamen sie jedoch hier nicht weiter. Kamo beschloß, sich allein nach der anderen Seite durchzuarbeiten. Die Kameraden sollten fürs erste nicht an dem gefahrvollen Abenteuer teilnehmen. Auch ihm selber war nicht ganz geheuer zumute, aber der brennende Wunsch, das Geheimnis aufzudecken, besiegte seine Furcht.

Er nahm Armjons Fotoapparat, raffte allen Mut zusammen, und das Schilf mit den Armen teilend, arbeitete er sich vorwärts.

»Ich bin bald zurück«, rief er den Gefährten noch zu. Asmik hatte die Augen weit aufgerissen und war ganz starr vor Entsetzen.

Stumm und besorgt blickten die Kinder dem Freunde nach.

Asmiks Herz klopfte so laut, daß es das Rascheln des Schilfs übertönte. An den schwankenden Rohrspitzen sahen die Kinder, welche Richtung Kamo eingeschlagen hatte.

Unter Kamos Füßen gluckste das Wasser. Um nicht zu versinken, sprang er behende von einem Schilfhügel zum anderen. Doch es wurde immer sumpfiger. Kamo durfte nicht einen Augenblick stehenbleiben, wenn er nicht sofort einsinken wollte. Nur wenn er das Schilf in ganzen Garben niederbog,

fanden seine Füße etwas Halt. Auf diese Weise kam er aber nur langsam vorwärts.

Das Kreischen der Vögel und das Plätschern des Wassers rückten immer näher. Kamo brannte darauf, rascher ans Ziel, endlich hinter das Geheimnis des ,Drachen' zu kommen.

Es machte ihn müde, das Schilf immer wieder niederzutreten. Versuchte er aber, ohne diese Schilfbrücken auszukommen, versank er sogleich mit beiden Füßen bis zu den Knien im Morast und hatte alle Mühe, von dem Gewirr der Wurzeln wieder los-zukommen.

Langsam beschlich ihn doch die Angst. Was sollte er machen, falls er plötzlich an eine tiefere Stelle geriet und wirklich versank? Würde es ihm da gelingen, ohne Hilfe wieder aufs Trockne zu kommen und einen festen Halt für seine Füße zu finden?

Plötzlich hörte Kamo dicht neben sich das zufriedene Geschnatter einer Wildgans. Das Schilf vor ihm lichtete sich. Er bog das Rohr aueinander und hätte beinahe vor Freude los-geschrien. Eingebettet in üppiges Grün, breitete sich vor ihm in unbeschreiblicher Schönheit ein See aus.

Kamo blickte sich um. Hier reihte sich Nest an Nest - ein wahres Vogelparadies!

Geschickt baute er sich aus dürrem Schilfrohr erst einmal einen festen Stand. Dann wandte er sich um und rief mit lauter Stimme den Zurückgebliebenen zu:

»He, Armjon, Grikor! Kommt schnell!«

Kamos Herz bebte vor Freude. Er ließ seine erstaunten Blicke über den sonnenbeschienen Wasserspiegel schweifen. Zahllose Vögel belebten die stille Wasserfläche: rotgefiederte Enten, graue Wasserhühner, Enteriche mit grünen Köpfen, graue und weiße Reiher, die auf ihren langen Beinen am Ufer entlang stelzten oder, wie zu Bildsäulen erstarrt, reglos dastanden.

Kamo sah auch große weiße Vögel mit rosafarbenen Flügeln und sehr langen roten Beinen.

»Flamingos!« rief er begeistert aus. Bisher hatte er solche Vögel nur auf Bildern gesehen.

Schade, Asmik müßte hier sein, um das zu sehen! Und was würde Grikor sagen? Er wundert sich doch über jede Kleinigkeit so sehr. Und in der Schule werden sie staunen, dachte Kamo. Aufgeregt tastete er seine Taschen ab. Er mußte Papier und Bleistift bei sich haben. Wenigstens in groben Strichen wollte er das herrliche Bild festhalten.

Dabei berührte seine Hand den auf der Brust hängenden Fotoapparat. Auf dem mühseligen Wege durch den Sumpf hatte er ihn ganz vergessen. Seine Freude war groß, und er begann eifrig zu knipsen. Vor allem hatte er es auf die Flamingos abgesehen, die sich auf ihrem langen Flug gerade diesen Winkel zu einer Rast ausgesucht hatten.

Kamo war hingerissen vor Begeisterung.

Neben den Flamingos stolzierten weiße Pelikane umher, sie waren fast so groß wie ausgewachsene Schafe. Sie tauchten ihre breiten Schnäbel ins Wasser und angelten mit erstaunlicher Behendigkeit Fische heraus; dann schleuderten sie ihre Beute hoch, um sie in der Luft wieder aufzufangen.

Das sah ja merkwürdig aus. Kamo hatte schon gehört, daß diese komischen Vögel auf solche Weise die Fische in der Luft einen Salto machen ließen, um sie mit dem Kopfe zuerst verschlucken zu können. Vom Schwanzende aus ging das nicht, weil die Flossen nicht durch den Schlund rutschten. So hatte die Natur vorgesorgt.

Kamo fotografierte auch Vogelnester, die aussahen wie riesige, umgestülpte Pelzmützen. Darin hatten Seeraben ganze Berge von Fischen aufgehäuft. Eine Reserve, dachte Kamo, wie klug und vorsorglich!

In einiger Entfernung sah er im Schilf das Nest eines Wasservogels. Das Weibchen saß brütend auf den Eiern. Da kam das Männchen angeflogen. Nun stand das Weibchen auf und flog weg — vielleicht hatte es Hunger —, das Männchen nahm sofort ihren Platz ein und setzte sich auf die Eier.

Wie komisch, dachte Kamo, unser zahmer Haushahn denkt gar nicht dran, die Henne auf dem Nest abzulösen. Nach einigem Nachdenken fand er eine Erklärung. Das ist ja gar nicht nötig, überlegte er, die zahme Henne wird ja von der Hausfrau gefüttert. Wer soll aber die wilde Vogelmutter versorgen?

Plötzlich hörte Kamo von der Mitte des Sees her einen markerschütternden Schrei. Er sah, wie eine kleine graue Wildente immer wieder versuchte, sich in die Höhe zu schwingen. Sie reckte den Kopf und schlug mit den Flügeln um sich, sank aber immer wieder auf die Wasserfläche zurück, als hingen schwere Gewichte an ihren Füßen. Als das Entlein dann noch eine letzte Anstrengung zum Auffliegen machte, wurde unter ihr für Sekunden der glänzende Kopf eines Otters sichtbar. Unter Wasser hatte er sich an sein Opfer herangeschlichen... und da, wo die Ente eben noch so vergnügt herumgeschwommen war, stiegen wenige Augenblicke später ein paar Blasen auf, und einige graue Federn schwammen auf dem Wasserspiegel umher. Die Blasen zerplatzten, verteilten sich im Wasser und waren bald ganz verschwunden. Der See lag wieder friedlich und ruhig da, als sei nichts geschehen, als habe sich nicht soeben ein kleines Drama abgespielt.

In diesem Augenblick — scheinbar um Kamos Erstaunen noch zu vergrößern — schwamm ganz dicht vor seinen Füßen ein Nest vorbei — ein regelrechtes schwimmendes Nest, das aus Schilfblättern und Schlinggewächsen kunstvoll geflochten war. Als das im Nest sitzende Weibchen — es schien ein Wasserhuhn zu sein — Kamo am Ufer stehen sah, reckte es den Hals und schien erst davonfliegen zu wollen. Dann aber blieb es doch. Sein Bruttrieb war stärker. Und nun beobachtete Kamo etwas ganz Merkwürdiges. Das Wasserhuhn tauchte einen ihrer mit Schwimmhäuten versehenen Füße ins Wasser und fing hurtig an, damit zu rudern. Das schwimmende Nest machte zusammen mit seinem Insassen eine Kehrtwendung und entfernte sich rasch.