Kamo sperrte vor Erstaunen Mund und Nase auf. Er war so verdutzt, daß er es sogar beinahe versäumt hätte, von diesem drolligen Bild eine Aufnahme zu machen. So was hatte er noch in keinem Buch gesehen.
Das ist ein komischer Vogel, dachte Kamo. Und wie schlau der ist, baut sich sein Nest wie ein Schiff, damit die Feinde nicht an die Küken rankommen. Genug zu fressen findet er unterwegs: junges Schilfgrün, Insekten, Wasserlinsen.
Gleich darauf sah Kamo, wie zu einem anderen Nest ein Enterich geflogen kam und seiner Gefährtin etwas zum Fressen brachte. Sofort flog er wieder davon, um mehr zu holen.
Wie die Tiere füreinander sorgen! dachte Kamo.
Plötzlich fiel ein großer schwarzer Schatten auf das Wasser. Aufgeregt lärmend verkrochen sich die Vögel im Schilf, und die Kormorane krächzten ängstlich. Ein riesiger Seeadler schoß vom Himmel herab, direkt auf das schwimmende Nest zu.
Das Wasserhuhn schrie und schlug wie rasend mit den Flügeln um sich.
»Ksch, ksch, ksch!« Kamo schwenkte die Arme, um den Seeadler zu verscheuchen. Doch er hatte nicht aufgepaßt, verlor plötzlich das Gleichgewicht, schwankte und stürzte hin.
Was er soeben noch befürchtet hatte, war geschehen. Das Pflanzengewirr unter ihm war gerissen, und er stand im nächsten Augenblick bis zur Brust im Wasser.
Nichts war in der Nähe, wonach er hätte greifen können. Er riß den Apparat herunter und warf ihn aufs Trockene. Dann tastete er nach dem Schilf und versuchte sich daran hochzuziehen, vor allem aber seine Füße aus dem Gewirr der Pflanzen zu befreien. о weh, wie kam er hier heraus? Verzweifelt bemühte er sich, einen Halt zu finden, sank aber statt dessen immer tiefer ein. Sollte er die Freunde rufen? Sie würden ihn wohl gar nicht hören.
Von Sekunde zu Sekunde sank Kamo tiefer. Er hatte sich mit beiden Händen am Schilf festgeklammert. Es bot ihm nur wenig Halt, bog sich und gab nach. Kamo merkte, wie das kalte Wasser schon seine Schultern umspülte.
Muß ich wirklich hier ertrinken? dachte er. Sein Herz schlug bis zum Hals. Dem immer mutigen Kamo wurde angst und bange. Verzweifelt sah er sich nach allen Seiten um, da fiel sein Blick auf das schwimmende Nest, das immer noch an der gleichen Stelle schaukelte. Das Wasserhuhn saß mit erhobenem Köpfchen auf seiner Brut.
Als Kamo das sah, erwachte sein Mut wieder; er nahm alle seine Kräfte zusammen und versuchte, sich in die Höhe zu schwingen. Das Schilf hielt jedoch sein Gewicht nicht aus. Nun versuchte Kamo es auf andere Weise. Er ließ bald mit der einen, bald mit der anderen Hand das Schilf los, brach ganze Büschel davon ab und versuchte, sie unter seinen Füßen festzutreten; vielleicht konnte er auf diese Weise einen Halt finden. Es ging nicht. Er sank immer tiefer, und bald reichte ihm das Wasser bis zum Halse.
Jetzt erst rief er um Hilfe. Er erschrak vor seiner eigenen Stimme.
»Grikor, Armjon, zu Hilfe«, schrie er immer wieder, so laut er konnte.
Er zitterte vor Angst und Kälte. Mußte er hier wirklich ertrinken?
Die Kameraden hatten Kamos Rufe nicht gehört. Aber Tschambar war plötzlich unruhig geworden. Er winselte und sprang aufgeregt an Asmik hoch, lief davon und kam schnell wieder zurück. Das wiederholte sich ein paarmal.
»Es muß was mit Kamo sein«, rief Asmik plötzlich. »Der Hund hat es gemerkt. Der täuscht sich bestimmt nicht.«
»Vielleicht ist er in den See gestürzt?« rief Grikor erschrocken. »Sicher braucht er unsere Hilfe!«
»Was du dir einbildest. Kamo ist so stark und geschickt, ihm geschieht nichts«, sagte Asmik, um ihre Angst zu unterdrücken.
Aber Armjon hatte keine Ruhe mehr.
»Komm, Grikor! Wir wollen ihm nachgehen.« Und er begann, sich auf Kamos Spuren durch die Schilfwand hindurchzuarbeiten.
Grikor kroch hinter ihm her.
Auf den Hund hatte in der Aufregung keiner geachtet. Er war schon vorausgelaufen.
Nur noch Kamos Kopf sah aus dem Wasser heraus. Die Wasserpflanzen lasteten auf seiner Brust und seinem Rücken. Kamo hatte das Gefühl, zwischen zwei eisernen Platten eingezwängt zu sein. Er bekam kaum noch Luft. Nur noch kurze Zeit, und er müßte ersticken. Auch rufen konnte er nicht mehr.
Er stöhnte nur noch ganz leise. Seine Finger wurden klamm, und die Arme erschlafften. Er konnte sich kaum noch am Schilf festhalten. Seine Glieder gehorchten ihm nicht mehr.
Doch der Lebenswille in dem ermatteten Körper flammte immer wieder auf. Kamo preßte nochmals das Schilf zusammen, spannte alle Kraft an, und es gelang ihm wirklich, Kopf und Schultern etwas anzuheben. In diesem Augenblick wurde er von hinten gepackt und aus dem Wasser gezerrt. Er spürte das spitze Schilfrohr in seinem Rücken. Nur mit ungeheurer Anstrengung brachte er es fertig, sich herumzuwälzen. Nun lag er auf dem Bauche, die Brust gegen das Schilf gepreßt... Grade noch zur rechten Zeit, Grikor... dachte er; dann wurde ihm schwarz vor den Augen.
Er lag in das Schilf gebettet und kam nur sehr langsam wieder zu sich. Es dauerte noch eine geraume Weile, bis er kaum hörbar flüstern konnte:
»Grikor — danke — daß du gekommen bist! — Noch ein paar Augenblicke — und es wäre aus gewesen. — Zieh mich ein bißchen weiter. . .«
Er bekam keine Antwort. Mühsam richtete er sich auf und sah sich um; und er blickte in die großen leuchtenden Augen des Hundes.
»Tschambar! —Mein Lieber!« flüsterte Kamo erschöpft. »Du bist es — Tschambar — du hast mich gerettet? — Und ich dachte — Grikor war es.«
Tschambar winselte vor Freude und leckte Kamo das Gesicht.
Nun hörten sie, wie es im Schilf raschelte. Das Wasser gluckste, und Grikor kroch auf allen vieren heran, um dem Freunde zu helfen.
»Kamo«, schrie er schon von weitem, »was ist? — Lebst du?« Hinter Grikor tauchte auch Armjon auf.
Mit vereinten Kräften hoben sie Kamo hoch und trugen ihn an eine Stelle, an der mehr Schilf wuchs. Hier war der Untergrund fester.
Die beiden Jungen brachen ganze Arme voll Schilf ab, schichteten es zu einem kleinen Haufen, setzten Kamo darauf und hockten sich neben ihn.
»Du bist ja patschnaß«, sagte Grikor, zog Kamo das durchnäßte Hemd aus und gab ihm sein eigenes. »Warst du denn richtig im Wasser? Wie bist du rausgekommen?«
Kamo war noch zu matt, um zu antworten, mit einer Kopfbewegung wies er auf den Hund.
»Tschambar?« fragte Grikor erstaunt. »Komm her, Tschambar, laß dir einen Kuß geben!«
Und Grikor nahm den Kopf des Hundes in seine Hände und küßte ihn.
Tschambar wedelte mit dem Schwanz, und aus seinen klugen Augen strahlte eine solche Freude, als hätte er verstanden, was da von ihm gesagt wurde.
Der »Wassermann«
Armjon hatte grade etwas fragen wollen, als er von dern Gebrüll des ,Drachen’ unterbrochen wurde.
Die Kinder sahen sich erschrocken um.
Der Wasserspiegel vor ihnen war derart in Wallung geraten, als sei in der Tiefe des Sees eine Explosion erfolgt. In der Mitte der Wasserfläche bildeten sich weite Kreise, die sich langsam nach den Ufern hin verliefen.
»Habt ihr gesehen... was war das?« stammelte Grikor mit vor Schreck blutleeren Lippen.
»Hast du denn etwas sehen können?« erkundigte sich Armjon bei Kamo.
»Ja, eine Wassersäule ist aus dem See hochgeschossen...« Sie sprachen im Flüsterton, als hätten sie Angst, es könne sie jemand hören.
Die Vögel flogen ganz ruhig über den See hinweg; sie suchten ihre Nester auf. Das unheimliche Brüllen hatte auf sie offenbar gar keinen Eindruck gemacht: sie waren anscheinend daran gewöhnt. Nur die Flamingos am jenseitigen Ufer schwangen sich schwerfällig in die Luft und kreisten über dem See, dabei baumelten ihre langen Beine herab. Es sah sehr komisch aus.