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Für sie war der Gilli-See ja nur eine zufällige Rast auf ihrer langen Reise. Sie kannten seine Absonderlichkeiten nicht und erschraken ebenso wie die Kinder.

Keiner sagte etwas. Gespannt starrten die Knaben auf die Stelle im See, an der, wie Kamo gesagt hatte, eine Wassersäule hochgeschossen war. Sie hatten Angst, aber ihre Neugierde überwog, und sie warteten, was nun passieren würde. Die Minuten vergingen, und nichts geschah. Bei jedem leisesten Plätschern, bei jedem Vogelschrei zuckten die Kinder zusammen.

»Nimm den Apparat, Armjon, und halte ihn bereit«, sagte Kamo. о wie froh war er, daß er daran gedacht hatte, den Apparat vor seinem unfreiwilligen Bad aufs Trockene zu werfen. Sonst wären alle schönen Aufnahmen verdorben und der Apparat unbrauchbar geworden.

»Nimm du ihn, Kamo, und mache du die Aufnahme«, bat Armjon. »Deine Hand wird bestimmt nicht zittern.«

Die Jungen mußten lange warten. Als wolle er ihre Geduld auf eine harte Probe stellen, ließ sich der ,Wassermann' weder hören noch sehen.

Grikor wurde ungeduldig.

»Asmik ist allein zurückgeblieben«, sagte er. »Sie wird Angst haben. Wollen wir nicht zurückgehen?«

»Sie ist tapferer als du«, behauptete Kamo. »Du hast ja selber Angst und willst nur ausbüchsen.«

Grikor sah beschämt zur Erde, sagte aber nichts.

Der See lag ruhig da, als würde dieser entlegene Winkel nie von einem Windhauch berührt. Über dem blauen Wasserspiegel tummelten sich die Vögel.

Plötzlich aber stieg eine riesige Wassersäule hoch! Dabei krachte und dröhnte es, und die Luft erzitterte unter dem furchtbaren Brüllen des ,Wassermanns', wie die Kinder den ,Drachen' nun getauft hatten.

Grikor stürzte sich voller Angst ins Dickicht. Armjon war kreideweiß geworden. Nur Kamo stand wie betäubt da und umklammerte den Fotoapparat; er hatte den Auslöser ganz mechanisch herabgedrückt. Tschambar forderte den unsichtbaren Feind durch wütendes Bellen zum Kampf heraus...

Ohne ein weiteres Wort zu wechseln, kehrten die Knaben zu ihrem Boot zurück, wo sie Asmik voller Aufregung schon ungeduldig erwartete.

»Was habt ihr gesehen? Warum hat Grikor kein Hemd an? Bist du ins Wasser gefallen, Kamo?« bestürmte sie die Jungen mit Fragen.

Asmik beruhigte sich schnell. Die Freunde waren ja alle da. Keinem war etwas geschehen. Als sie dann aber an Kamos Händen Blut entdeckte, geriet sie erneut in Aufregung.

»Woran hast du dir die Hände verletzt? Am Schilf? Du bist also doch ins Wasser gefallen? Bist ja noch ganz naß. Ich sehe es euch an, daß was passiert ist.« Fragend blickte sie von einem zum anderen. Weshalb sahen die Jungen so rot aus, weshalb waren sie so erhitzt und aufgeregt?

»Jetzt geht's nach Hause«, sagte Kamo und schnitt damit alle weiteren Fragen ab. »Wart's ab, wir erzählen dir alles der Reihe nach. Außerdem ist hier im Kasten eine Antwort auf deine Fragen. « Und Kamo hielt triumphierend den Fotoapparat hoch. »Du siehst doch, wir sind gesund und munter, und im Boot sind die vielen Eier. Nun gib schon Ruhe.«

Asmik gab sich zufrieden.

Durch unzählige Kanäle und Seen, vorbei an der schwankenden Schilfinsel, steuerte Kamo das Boot durch die engen Wasserstraßen und über die Seen zurück zur Fischerhütte des Großvaters.

Wie gut war es, daß sie auf der Hinfahrt Zeichen angebracht hatten, jetzt konnten sie sich danach richten. So fanden sie den Rückweg ohne große Mühe.

Es wurde Abend. Die Sonne neigte sich bereits, und der See wechselte von Minute zu Minute seine Farben; bald leuchtete das Wasser rotgolden, bald grün, bald war das Schilf in der untergehenden Sonne in flammendes Rot getaucht. Schwärme von Wildenten, Gänsen und Krickenten kehrten von den Feldern zurück und suchten zum Schlafen ihre Nester auf den verzauberten Inseln auf.

Die Kinder waren müde; sie hatten für die herrliche Abendstimmung kein Auge mehr. Nur der eine Gedanke beschäftigte sie: Was hatte Kamo für Bilder in seinem Kasten? Würden sie das Rätsel des ,Wassermanns' lösen?

Ins Dorf zurückgekehrt, wurde Asmik beauftragt, die Eier zu ihrer Mutter zu bringen. Die anderen gingen voraus, zu Armjon, wo auch Asmik wenige Minuten später aufgeregt und neugierig erschien.

Armjons Mutter, eine hochgewachsene, schlanke Frau mit großen schwarzen Augen, empfing die Kinder sehr freundlich; sie sagte nur vorwurfsvoll zu ihrem Sohn:

»Armjon, wo warst du nur den ganzen Tag? Hast du schon was gegessen? Überall hab' ich dich gesucht.«

»Was Feines haben wir gegessen«, mischte sich Grikor ein. »Wildentenbraten. Keine Sorge, wir sind nicht verhungert!«

»Na, dann bin ich beruhigt«, sagte Armjons Mutter. »Was habt ihr denn noch gegessen?«

»Enten- und Möweneier; die waren lecker.«

Die Frau schüttelte den Kopf. Sicher fand sie die Einfälle der Kinder sehr ungewöhnlich. Sie lächelte aber und forderte sie auf:

»Nun setzt euch und eßt euch satt.« Und sie bestand darauf, daß die Kinder zum Tisch kamen.

Doch Armjon wollte nicht.

»Wir sind noch ganz satt und haben keine Zeit zum Essen, Mutter. Wir müssen zuerst ein paar Aufnahmen entwickeln. Geh du inzwischen ins andere Zimmer. Hier müssen wir die Lampe ausmachen. «

»Wollt ihr nicht lieber erst essen und euch dann mit den Bildern abgeben? Warum habt ihr es denn so eilig?«

»Wir haben den ,Wassermann' fotografiert, der im Gilli brüllt«, erklärte Grikor aufgeregt und zwinkerte seinen Kameraden listig zu.

Armjons Mutter sah ihren Sohn zweifelnd an.

»Na, Grikor, du willst dir wohl einen Scherz mit mir erlauben?«

»Aber nein, so wahr ich hier stehe - den ,Wassermann' haben wir fotografiert«, sagte Grikor eifrig. »Armjon wird Ihnen das Bild zeigen, dann werden Sie es uns glauben. Sie hätten nur hören sollen, wie der ,Wassermann' vor lauter Angst geheult hat, als er mich sah. . . «

Asmik lachte Grikor verschmitzt an; seine Augen funkelten vor Übermut.

»So, Mutter, jetzt mach' ich die Lampe aus«, erklärte Armjon energisch, nachdem er in seinem ,Laboratorium' alles Nötige vorbereitet hatte.

In der Entwicklerlösung, auf die ein matter Lichtschein aus dem kleinen roten Fotolämpchen fiel, wurde der Film schnell schwarz. Langsam zeichneten sich die Umrisse der Landschaft, der Seen, der Schilfinsel und der Vogelwelt darauf ab.

Nachdem Armjon die Negative entwickelt, fixiert und sie in aller Eile getrocknet hatte, schaltete er den Vergrößerungsapparat ein und begann die Aufnahmen abzuziehen.

Mit angehaltenem Atem beobachteten die Kinder ihn bei der Arbeit.

Auf einer der letzten Aufnahmen sahen sie dann endlich den See, der das Geheimnis des ,Wassermanns' seit uralten Zeiten hütete.

»Seht nur, wie sich die Flamingos im Wasser spiegeln«, sagte Armjon und wies auf die im Wasserspiegel langgezogenen und leicht verzerrten Vögel.

»Ach, ist das der See, in dem der ,Wassermann' haust?« rief Asmik und beugte sich neugierig vor. »Bitte, laß mich das mal ordentlich sehen! Wie viele Vögel das sind! Und was ist das da? Sind das Nester? So viele Nester? Und das hier soll Schilf sein? Um den ganzen See herum geht es? Und wie glatt der See ist, wie ein Spiegel!«

»Glatt wie ein Spiegel! Na warte, du wirst gleich sehen, wie glatt der ist«, sagte Armjon und legte einen anderen Filmstreifen in die Entwicklerlösung. »Nein, diese Aufnahme ist es auch noch nicht«, murmelte er, als sich ein sonderbares Gebilde herausschälte. »Was kann denn das aber sein, Kamo? Ein Nest? Welcher Vogel wird denn mitten auf dem See nisten? Oder ist er vielleicht mitsamt dem Nest ins Wasser gefallen?«

Kamo lachte ausgelassen.

»Ja, habt ihr denn geglaubt, ich setze mein Leben für nichts und wieder nichts ein? Du ahnst ja gar nicht, was auf dieser Aufnahme ist. Ihr werdet Mund und Nase aufsperren.« Aufgeregt bestaunten die Kinder das schwimmende Nest.