»Bis dahin gebe ich euch das Futter nur als Vorschuß heraus. Einverstanden? «
»Und der Tagelohn für die Arbeiter?« wollte Kamo wissen, und der Schalk guckte ihm aus den Augen.
»Was? Tagelohn?« schrie Bagrat, der auf den Spaß des Jungen hereingefallen war. »Bis ich die Küken nicht mit eigenen Augen gesehen habe, ist kein Gedanke an Tagelohn! «
Im Kolchosstall
Wann werden die Küken ausschlüpfen? Werden die Eier nicht kalt werden? Das waren die Fragen, die Asmik ständig beschäftigten und ungeduldig machten.
Bis zum Mittag hielt Grikor, der erst nachmittags Unterricht hatte, für gewöhnlich beim Stall Wache und beaufsichtigte die Glucken. Nach Schluß des Vormittagsunterrichts wurde er so-fort von Asmik abgelöst, die direkt von der Schule zum Stall eilte. Sie blieb bis zum Abend und machte sogar ihre Schularbeiten dort.
Es kam dann vor, daß ihre Mutter sehr ungehalten angelaufen kam, und sie schalt:
»Was soll das heißen, Töchterchen? Du hast noch nicht zu Mittag gegessen und mußt doch sicher hungrig sein.« Als sie aber merkte, daß Asmik von den Brutöfen nicht fort wollte, kehrte sie wohl oder übel heim und holte das Essen für sie.
Eines schönen Tages kam Großvater Assatur zum Stall. Er sagte den Kindern, jemand anderes müsse an seiner Stelle wachen, denn es sei Zeit, mit den Fischern zum Fischfang auf den Sewan-See hinauszufahren.
»Was machen wir jetzt?« rief Asmik ganz entsetzt. »Wer soll denn abends nach den Glucken sehen, und wer soll in der Nacht bei ihnen bleiben? Kamo hat mit der Schule und mit dem Jugendverband genug zu tun, außerdem sein Dienst bei den Jungpionieren. Was fangen wir nur an?«
»Deine Mutter wird uns helfen, ich werde mit ihr reden«, erbot sich Grikor.
Aber als sie zu ihr kamen, hob Anaid abwehrend die Arme:
»Wo denkt ihr hin, Kinder? Ich weiß ja so schon vor Arbeit weder ein noch aus. Ich habe im Kolchos genug zu tun... Bin ja auf meinen Tagelohn angewiesen...«
Grikor gab sein Vorhaben nicht so leicht auf.
»Tante Anaid, andere haben ihr Leben eingesetzt«, mahnte er. Tante Anaid nahm Grikors Einwand ernst. Er tat ihr weh, denn auch Asmiks Vater war an der Front gefallen.
Das Lächeln, das bis dahin ihr anziehendes, gebräuntes Gesicht verschönt hatte, verschwand. Sie wurde ernst, und in ihren großen schwarzen Augen schimmerten Tränen.
»Haben wir denn keine Opfer gebracht, Grikor? Warum sagst du mir so etwas?« wandte sie sich in vorwurfsvollem, aber warmem Ton an den Jungen. »Du weißt doch, daß wir beide, Asmik und ich, auf meinen Verdienst angewiesen sind . . . «
In einem anderen Falle hätte Grikor sicher mit einem Scherz geantwortet, doch diesmal bekamen seine Augen einen ernsten, nachdenklichen Ausdruck. Es wurde ihm beklommen ums Herz. Er wandte sich um und ging schnell aus dem Zimmer. Anaid und Asmik sollten nicht sehen, daß auch seine Augen feucht geworden waren.
Wer stiehlt die Eier?
Am Abend fand sich Grikor im Stall ein. Er hatte sich eine alte Matratze zum Schlafen mitgebracht.
»So«, erklärte er, »ich werde nachts hierbleiben, solange der Großvater fort ist.« In einer Ecke schüttete er Stroh auf, um sich ein Lager zurechtzumachen.
»Vielleicht ist es gar nicht mehr nötig? Es ist ja nur noch kurze Zeit...« , meinte Asmik.
»Doch!« erklärte Grikor bestimmt. »Du hast selber gejammert, weil Eier verschwunden sind. Wer stiehlt sie? Wir müssen das rauskriegen... Schau her, was ich mir für ein schönes Plätzchen zurechtgemacht habe«, fügte er mit zufriedenem Blick auf sein Lager hinzu.
Asmik versuchte zu lächeln. Den ganzen Tag über war sie niedergeschlagen gewesen und hatte auch in der Schule nicht richtig aufgepaßt. Als die sonst so tapfere Mutter geweint hatte, war sie ganz erschrocken, es tat ihr weh.
Grikor trat dicht an sie heran und griff nach ihrer Hand. Er sagte tröstend:
»Asmik-dshan, liebes Schwesterlein, gräm dich nicht, mußt nicht traurig sein... Ich war gestern häßlich zu deiner Mutter... es tut mir leid... will's nicht wieder tun.. .«
Asmik sah den Freund erstaunt und zärtlich an: Dabei haben wir ihn immer für so oberflächlich gehalten! dachte sie.
»Ist ja schon gut, Grikor. . . « , begütigte sie. »Weißt du, ein Mensch kann die Eier nicht gestohlen haben«, fuhr sie nachdenklich fort. »Ein Dieb hätte sicher mehr genommen; es fehlten immer nur ein paar — mal eins, mal zwei. Ich hab's zuerst nicht mal gemerkt. Der Kasten mit den Eiern steht ja ruhig an der Wand und ist zugedeckt. Als ich zufällig mal den Deckel hochhob, kam es mir vor, als wären es weniger Eier geworden. Wer kann denn mit den Eiern etwas anfangen? hab' ich mir gedacht.«
»Hast du nicht auch gedacht, außer Grikor gibt's im ganzen Dorf keinen, der solche Eier essen würde?«
»Ja, wahrhaftig. Du hast recht. Du ekelst dich wirklich vor nichts; du hast ja auch am See welche gegessen, aber daß du sie stiehlst, glaube ich nicht... Als ich dann wieder nachsah, fehlten viele Eier. Du mußt sie alle durchzählen, dachte ich. Na und dann hab' ich sie gezählt. Weißt du noch, wie viele Eier wir als Futter für die Küken zurückgelassen hatten?«
»Ja, einhundertunddreiundsechzig.«
»So, einhundertunddreiundsechzig.«. . . Ich habe nachgezählt, jetzt sind es aber nur noch einhunderteinundvierzig. Am meisten fehlen Möweneier. Wer stiehlt sie, was meinst du?«
»Ich werde es schon noch rauskriegen, Asmik. Verlaß dich drauf. Ich schlafe ja wie ein Hase, mit offenen Augen.«
In den nächsten Tagen erzählte Grikor den Kameraden so komische Geschichten, daß sie nicht wußten, ob sie wahr oder erfunden waren, denn Grikor dachte sich gern Märchen aus. Armjon und Asmik waren eines Tages noch vor Schulbeginn für einen Augenblick in den Stall gekommen, um nach ihren Schützlingen zu sehen.
»Na, Grikor, wie hast du geschlafen?« fragte Kamo den Freund.
»Mein Lager ist herrlich weich«, antwortete Grikor fröhlich, »aber in dieser Nacht habe ich nicht geschlafen. Eine der ,eisernen' Glucken hat die ganze Nacht über so gelärmt, daß mir ganz bange wurde. Wenn sie nur nicht krank ist ...« , und Grikor lächelte verschmitzt. »Sieh mal nach, Armjon, ob sie nicht erhöhte Temperatur hat... Dann belauschte ich das Gegacker der Glucken - und was höre ich da? ,Wir wollen', sagten sie, ,diese eisernen Hennen erwürgen! Wenn sie hundert Küken auf einmal ausbrüten, was bleibt uns Armen dann noch zu tun übrig? Wir werden zugrunde gehen... Man wird uns nicht mehr auf die Eier setzen, wird uns unser Mutterrecht rauben.' Ganz verzweifelt sind sie gewesen, die Ärmsten.«
Die Kinder lachten.
»Ja«, fuhr Grikor - nun bereits in ernstem Tone - fort, »werdet ihr's mir glauben, wenn ich euch sage, daß ich diese Nacht die Eierdiebe ertappt habe?«
»Du hast die Diebe erwischt?« fragten die Kinder aufgeregt. »Wer ist es denn?«
»Mäuse sind es.«
»Unsinn!« rief Asmik. »Wie können Mäuse Eier stehlen? Ich würde dir ja schließlich noch glauben, daß eine Maus ein Ei angeknabbert und ausgetrunken hat. Wie soll aber eine Maus ein ganzes Ei wegschleppen?«
»Es ist aber so - ein ganzes Ei! So wie es da ist, schleppen sie es in ihr Loch und machen dort Rührei für ihre Jungen draus. Es sind ja Mütter, auch sie haben ein weiches Mutter-herz... Hört zu: Seht euch mal den Kasten an, sie haben an der Rückwand ein Loch durchgenagt. Durch dieses Loch holen sie sich die Eier. In der Nacht hörte ich etwas rascheln. Ich wurde hellwach und horchte. Vor dem Kasten mit den Eiern hüpften Mäuse umher. Ich konnte im Mondlicht, das durch die Ritzen dringt, alles sehr deutlich sehen. Die Mäuse führten um die Eierkiste wahre Tänze auf. Ich war ganz erschrocken. Nun hört weiter. Stellt euch vor, rollten doch die Mäuse ein Ei fort! Dann legte sich eine von ihnen auf den Rücken und streckte die Beinchen in die Luft, die andern stupsten das Ei mit dem Kopf und mit den Pfötchen weiter... Auf diese Weise haben sie es dem auf dem Rücken liegenden Mäuschen auf den Bauch gekullert. Das Mäuschen umklammerte es mit seinen Krällchen und drückte es mit seinem langen Schwänzchen noch fester an sich; es sah genauso aus, als hätte sich ein Mensch auf den Rücken gelegt und ein kleines Faß auf die Brust genommen. .. «