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Ein Morgen am Ufer des kürzesten Flusses der Welt

»Großväterchen, erlaub mir's doch... Laß mich mal das Netz auswerfen«, quälte der kleine Kamo den Großvater.

»Ach, Kindchen, dazu gehört doch Übung! Du verstehst es noch nicht, wirst die Fische nur erschrecken und vertreiben!« meinte der alte Jäger in seiner etwas umständlichen Art.

Aber Kamo ließ nicht locker.

Schließlich gab der Großvater nach:

»Nun gut. Aber warte — ich mach's dir erst vor... Sieh mal, ein Schwarm ist aufgetaucht! «

Geschickt und mit Schwung warf der Großvater das Netz aus.

»Laß mich helfen! Laß mich rausziehen«, bettelte Kamo. »Nein doch, Kindchen«, lehnte der Großvater brummend ab, »auch das Herausziehen muß verstanden sein. Zieht man zu scharf an, dann sind die Fische auf und davon! Das muß gekonnt sein.«

Er packte das Ende des Netzes und zog es vorsichtig zu sich heran. Das Netz straffte sich.

»Gefangen!« jubelte Kamo. »Sieh nur, wie viele es sind! .. . Armjon, komm schnell her, hilf uns! «

Armjon, Kamos Freund, der in der Nähe auf einem Stein gesessen hatte, kam angelaufen, und mit vereinten Kräften zogen der Alte und die Jungen das volle Netz ans Ufer.

Große silberne Fische mit blutroten Pünktchen an den Seiten wanden sich auf dem zarten Grün der Uferwiese und sperrten luftschnappend ihre Mäuler weit auf.

Armjon griff sich ein winziges Fischchen aus dem Gewimmel heraus und warf es ins Wasser zurück. Das weiße Bäuchlein nach oben gekehrt, blieb es einen Augenblick reglos liegen, machte dann ein paar zuckende Bewegungen, schlug mit der Schwanzflosse, kehrte den Rücken nach oben und verschwand in der Tiefe. Mit strahlenden Augen hatte Armjon dieses Schauspiel beobachtet.

»Gib mir noch mehr von den kleinen«, bat er Kamo, »wir wollen sie freilassen, sie sollen leben und wachsen.«

»Wenn's nach dir ginge, kämen die großen auch wieder ins Wasser«, rief Kamo lachend.

Der Großvater, der die Fische einsammelte und in Körbe tat, meinte belehrend:

»Aus zu weichherzigen Menschen können keine guten Jäger werden. Das wäre mir ja ein rechter Fischer. ..«

»Ei-ei-ei!« tönte da plötzlich eine lustige Stimme hinter ihnen. »Habt ja schon in aller Frühe was Leckeres gefangen!«

Auf seinem einen gesunden Bein hüpfte Armjons und Kamos Freund Grikor herbei und schwang dabei unbekümmert seinen langen Krückstock. Als kleiner Junge war er einmal vom Baum gefallen und hatte sich das Bein gebrochen; seitdem lahmte er. Trotzdem war Grikor immer lustig und zu Späßen aufgelegt.

Dem Großvater rief er munter zu:

»Wirf noch mal das Netz aus! Wirst sehen, ich bring' dir Glück. Und wenn du noch so viele Fische fängst — Ehrenwort: ich esse sie alle auf einmal auf! «

Doch der Großvater schien keine Lust zu haben.

»Ach nein, Kinder«, meinte er kopfschüttelnd, »das hat nicht viel Sinn. Vielleicht müßte man ... « Er stockte: »Seht nur, die vielen Menschen da drüben auf dem Felde!«

Mit der flachen Hand beschattete er seine Augen und ließ den Blick über die weite Ebene am Fuß des Gebirges schweifen.

Traktoren und Pflüge ratterten lärmend über die Acker und brachen das Erdreich auf; in gleichmäßigen Reihen zogen sich die frischen, dunklen Furchen über die graugrüne Fläche.

»Ach ja«, nahm der Großvater den Faden wieder auf, »mit einem einfachen Netz und mit den Händen allein kann man so viele Menschen nicht satt machen. . . « Dann fiel ihm etwas ein, und er rief Kamo zu: »Los, zieh dich aus, Junge.«

Kamo war gleich bereit. Rasch streifte er seine Kleider ab. In der Kühle des Frühlingsmorgens bekam er sofort eine Gänse-haut, doch die prickelnde Morgenfrische tat ihm wohl, und munter sprang er um den Alten herum.

»So, nun nimmst du das Netz und steigst ins Wasser! Nur keine Bange«, ermunterte ihn der Großvater und reichte ihm das eine Ende des Netzes, während er das andere selber festhielt.

Kamo blieb einen Augenblick zögernd stehen. Dann schloß er die Augen und sprang kurz entschlossen ins Wasser.

Rasch durchschwamm er den Fluß und befestigte das obere Ende des Netzes an eingerammten Pflöcken. Der untere Netzrand war mit schwerem Senkblei versehen und wurde davon auf den Grund gezogen. Das Netz durchschnitt den Fluß und versperrte den Fischen den Weg.

»Nun paßt mal auf, wieviel Fische sich im Netz fangen werden«, sagte der Großvater und strich zufrieden über seinen langen weißen Bart. Dieser prächtige Bart hatte ihm im Dorfe den Namen »Langbart Assatur« eingebracht.

»He, Kamo«, schrie er jetzt, »mach, daß du aus dem Wasser kommst. Du wirst dich erkälten!«

Während sich Kamo wieder anzog und dabei eifrig auf den Großvater und Grikor einsprach, freute sich Armjon an dem schönen Frühlingsmorgen. Ein leiser Windhauch fuhr spielend durch sein Haar und fächelte sein erhitztes Gesicht.

Im Tal, zu Füßen der den Sewan-See umgebenden Berge, lag noch dichter Morgennebel; doch die einzelnen Berggipfel, die Zuckerhüten glichen, zeichneten sich in ihrem Silberglanz bereits deutlich vom blauen Himmel ab. Der See, der während der Nacht still und friedlich in seinem geräumigen Bett geschlafen hatte, begann sich zu rühren. Die Oberfläche kräuselte sich leicht; leises Plätschern war zu hören. Das Spiel der Wellen, die in ununterbrochener Folge das Ufer benetzten, begann. Sie brachen sich leise rauschend am sandigen Strand und weckten mit ihrem eintönigen Tschlup-tschlup, Tschlupt-schlup die gefiederten Schilfbewohner.

Tschto-tschilt, tschto-tschilt! zirpte ein Sumpfvogel aufgeregt und flog zu einem anderen Sandhügel hinüber.

Krja-krja, krja-krja! klang es von der anderen Seite. Ein Enterich rief laut nach seiner Gefährtin.

Fern am Horizont tauchten die Rauchsäulen kleiner Frachtdampfer auf, die eiligst den Anlegestellen zustrebten. Fischer-boote durchschnitten kreuz und quer den Wasserspiegel des Sees. Fischer warfen ihre Netze aus.

Die Geräusche des beginnenden Tages scheuchten Schwärme wilder Enten auf, die flügelrauschend davonflogen.

Es wurde immer heller, und der See wechselte ständig die Farbe; ausgehend vom dunklen Grau der Morgenfrühe, nahm die Wasserfläche allmählich eine immer leuchtendere, hellgrüne Tönung an. Weiße Schaumkämme krönten die heranflutenden Wellen, die sich in langen Reihen am Ufer brachen.

Als dann die Sonne hinter den Bergen aufstieg, wurde der See von ihren gleißenden Strahlen förmlich in Glut getaucht. Es schien, als hätten unsichtbare Hände zahllose Diamanten darüber ausgestreut, die nun mit ihrem strahlenden Glanze die Augen blendeten.

Der Großvater und Kamo standen am Ufer und beobachteten aufmerksam die Strömung und den Zug der Fische. Plötzlich huschte ein Schatten über das Gesicht des Alten, und er griff nach seiner im Grase liegenden Flinte.

»Was ist?« fragte Kamo flüsternd.

»Pscht! ... Ein Otter. .. Er ist hinter den Fischen her!«

An einer Stelle wirbelte das Wasser hoch, und sekundenlang tauchte etwas Großes, Dunkles an der Oberfläche auf.

Der Großvater legte an und schoß. Ein wenig später trieb eine Forelle, den weißen Bauch nach oben, auf der Wasserfläche. Langsam wurde sie von der Strömung weitergetragen.

Den Großvater hatte das Jagdfieber gepackt.

»Entwischt!« murrte er.

Sein Herz schlug so heftig, daß der Lauf seines Gewehrs im gleichen Takt lebhaft hin und her sprang.