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Ihre Erregung wuchs von Minute zu Minute.

»Da müssen Menschen gehaust haben!« rief Kamo. »Aber wie sind sie da hingekommen?«

»Das ist ein richtiges Satansnest. Wie sollten denn Menschen da hinkommen?« zweifelte Grikor. »Der Großvater hat sicher recht mit seinen Geistern. Und auch das Bienennest ist Teufels-werk«; dabei schmunzelte er und sah die Freunde erwartungsvoll an, ob sie auf seinen Spaß eingingen.

Armjon begann richtig zu phantasieren.

»Wie schön wär's, wenn wir jetzt eine Schiebeleiter von der Feuerwehr hier hätten und damit über die Schlucht kämen... Mit so 'ner Leiter würde das sicher gehen.«

»Ja«, seufzte Kamo, »das wäre wie eine richtige Brücke.« Grikor aber meinte recht kläglich

»Wie soll ich denn aber mit meinem lahmen Bein über so eine Brücke kommen?«

Als Asmik das hörte, wie von einer Brücke gesprochen wurde, beugte sie sich zum erstenmal vor und blickte in die Tiefe.

»Oh, wie tief«, schrie sie, »man kann gar nicht bis auf den Grund der Schlucht sehen. Wollen wir nicht lieber umkehren?«

»Wie kann ich umkehren?« Grikor tat so, als müsse er gleich losheulen, und schnitt eine komische Grimasse. »Ich bin ganz betäubt von den Honigmengen. Mein Herz würde schmelzen, sollte ich umkehren, ohne von dem Honig gekostet zu haben!«

Ganz erfüllt von den merkwürdigen Dingen, die sie gesehen hatten, kehrten die Kinder auf demselben Pfad, auf dem sie gekommen waren, wieder zurück.

Armjon fand auf dem Rückweg eine alte, verrostete Patronenhülse und steckte sie in die Tasche.

Der Großvater erwartete sie im Schatten der alten Eiche. Er hatte sich bereits Sorgen um die Kinder gemacht. Als er sie endlich kommen sah, war er außer sich vor Freude, daß ihnen nichts zugestoßen war.

»Alle wieder da — und alle heil und gesund?« rief er. »Ist euch nichts zugestoßen? Ein Wunder ist das, einfach ein Wunder!

Ihr wagt euch in die Höhle des Satans und kommt, ohne Schaden zu nehmen, zurück! «

Großvater Assatur strahlte vor Glück, und die Kinder bemerkten, daß ihr Ausflug in die Höhle des Satans seinen Glauben an diese dunklen Mächte doch stark ins Wanken gebracht hatte.

»Infolge der Hitze haben die bösen Geister ihren Höllenbetrieb während der Sommermonate geschlossen«, erklärte Grikor verschmitzt. »Sie sind in ihr Sommerhaus auf der Spitze des Dali-Dagh gezogen. Du hast ja gesehen, die Erde hat nicht gebebt, und kein Sturm hat gewütet.«

Der Großvater blickte ungläubig drein.

»Nun erzählt mir nur, was ihr dort alles gesehen habt! Habt ihr euch denn zurechtgefunden in dem Teufelskram?« fragte er, nachdem er sich ein wenig beruhigt hatte.

»Was wir alles gesehen haben, Großväterchen! Was wir alles gesehen haben!« jubelte Asmik. »Solche Wunder, wie sie noch niemand gesehen hat... Es ist einfach wie im Märchen! «

Aufgeregt durcheinanderschwatzend, berichteten die Kinder dem Großvater von allem, was sie in den Höhlen entdeckt hatten.

»Alles, was in den Höhlen ist, haben Menschen dort zurückgelassen, das ist sicher«, sagte Armjon bestimmt. »Wir müssen nur noch rauskriegen, wie die Menschen da raufgekommen sind. Das ist das einzige ,Wunder' an der ganzen Sache, und dem werden wir auch noch auf die Spur kommen.«

»Sag mal, Großväterchen, hast du dies vielleicht mal verloren, als du in deiner Jugend auf die Jagd gegangen bist?«

Der alte Jäger nahm die Patronenhülse in die Hand und betrachtete sie aufmerksam.

»Ich habe euch ja erzählt, daß der Jäger Karo hier in die Berge hinaufgestiegen ist - Friede seiner Asche«, sagte der Großvater ganz feierlich, wie er das so gerne tat. »Das war ein verwegener Jäger! In unserer Gegend hat auch nur er ein solches Gewehr gehabt - die Hülse stammt sicher von ihm. Zu seiner Zeit gingen die Menschen noch mit Steinschloßflinten auf die Bärenjagd. Da kam es wohl vor, daß der Stein herausfiel oder kein Feuer schlug — dann war das Unglück groß! Der gereizte Bär richtete sich hoch und ging auf den Jäger los.

Man mußte mutig sein, um in einem solchen Augenblick nicht den Kopf zu verlieren. Damals gab es noch viele Bären in diesen Bergen.«

»Hier kommen doch Gemsen und Ziegen kaum durch«, staunte Kamo, »wie konnten denn Bären diese schmalen Pfade hochklettern? «

»Dafür sind es eben Bären — der Honig lockt und benebelt sie. Blindlings gehen sie dem Honigduft nach.«

»Es geht ihnen wie mir«, sagte Grikor und lachte.

Doch der Großvater konnte sich nicht über den ungewöhnlichen Fund beruhigen. Immer wieder untersuchte er die Patronenhülse und murmelte vor sich hin:

»Ach, Karo, Karo, was hast du doch für ein gutes Herz gehabt. Was warst du für ein treuer Freund! « Er hatte die Kinder offenbar ganz vergessen und schien sich im Geiste mit seinem Freunde Karo zu unterhalten. Dicke Tränen kullerten über seine runzligen Wangen.

Die Kinder unterhielten sich so lebhaft über alles, was sie gesehen und erlebt hatten, daß sie im Dorf anlangten, ehe sie sich's versahen.

Armjon und Kamo gingen gleich zu Aram Michailowitsch, um ihm zu erzählen, was sie alles gesehen hatten. Er hörte seinen Schülern erst gelassen zu, aber schließlich wurde auch er von ihrer Aufregung angesteckt.

»Ausgezeichnet, ausgezeichnet«, rief er. Und als sie ihren Bericht beendet hatten, stand der Lehrer auf und ging ein paarmal im Zimmer auf und ab. Dann blieb er vor ihnen stehen und fragte:

»Was wollt ihr nun machen? Auf welche Weise wollt ihr zu den Höhlen gelangen?«

Armjon und Kamo blickten sich an, und Armjon sagte unsicher:

»Wir haben gedacht, es ginge vielleicht mit einer Feuerwehrleiter... als Brücke über die Schlucht...«

Der Lehrer lächelte.

»An einer Leiter kann man hinaufsteigen, aber als Brücke läßt sie sich nicht verwenden. Wieviel Meter mögen es von der Felsenspitze bis zum Höhleneingang sein?«

»Ungefähr sechzig Meter«, meinte Kamo.

»Man müßte eine Strickleiter von dieser Länge auftreiben oder anfertigen und sich an ihr von oben herunterlassen. Kamo, du mußt nach jerewan fahren — du bist dort bekannt und wirst am ehesten finden, was gebraucht wird. — Wir wollen Kamo schicken«, entschied der Lehrer.

Am Tage darauf fuhr Kamo nach Jerewan.

Ein Land verändert sein Gesicht

Kamo war nach dem Kriege die Strecke noch nicht wieder gefahren. Vieles hatte sich in diesen Jahren verändert!

Von den Ufern des Sewan-Sees bis unmittelbar nach Jerewan verlief die Chaussee parallel zur Sanga; bald näherte sie sich dem Fluß, bald machte sie eine Biegung und schlängelte sich am Fuße der Berge entlang, die bis zum Flußufer hinabreichten.

Aus einer Schlucht klang das Rattern von Maschinen. Von Zeit zu Zeit wurden Felsen gesprengt. Der ganze Berg schien zu beben.

»Es wird ein Kanal für den Sangafluß gebaut«, erzählte einer der Reisegefährten. »Bald wird man von hier nach Jerewan auch zu Wasser fahren können.«

Der Autobus, in dem sie fuhren, blieb stehen: ein Zug kam vorüber. Auf einem Gleis, das eigens zu diesem Zweck gelegt worden war, wurden Bagger und andere Geräte für die im Bau befindlichen Kraftwerke herangeschafft.

Als der Zug vorüber war und der Autobus den letzten Ge-birgskamm erreichte, breitete sich vor Kamos Blicken in ihrer ganzen Schönheit die Ebene des Ararat aus. An der einen Seite der fruchtbaren grünen Ebene zog sich die Kette der Ausläufer des Kaukasus hin, und ihnen gegenüber stiegen die armenischen Berge empor.

In weiter Ferne, tief unten im Tal, glitzerte wie ein silbernes Band, das sich im Zickzack hinschlängelte, der Fluß Aras.