»Woher wissen Sie davon?« staunte Kamo.
»Woher wir das wissen? Nun, dazu sind wir doch da. Ist es nicht unsere Pflicht, den Pionieren zu helfen, wenn ihnen die nötige Unterstützung versagt wird? Wie ist es also, bekommt ihr jetzt Futter?«
»Ja, und außerdem haben wir Land bekommen und ernten bald selbst.«
Der Redakteur lächelte.
»Na, und sonst? Womit hapert's in eurer Farm? Oder habt ihr euch noch was Neues ausgedacht?«
Kamo erzählte ausführlich von ihrem Ausflug auf den Tschantschakar, von den Höhlen und von dem, was sie dort gesehen hatten.
Als Kamo zu Ende war, sagte der Redakteur:
»Das ist sehr interessant. Schade, daß ich keine Zeit habe, sonst würde ich selber hinkommen, um zu sehen, was das für Höhlen sind. Wie kann sich der Tschantschakar erdreisten, solchen Burschen wie euch Widerstand zu leisten? Richtige Draufgänger seid ihr j a ! Schwierigkeiten müssen überwunden werden, und Aram Michailowitsch tut gut daran, daß er euch hilft. Ich habe aber gehört, daß ihr zuweilen den Mut sinken laßt. Das ist natürlich zu verstehen. Es ist keine Kleinigkeit, den Tschantschakar zu besteigen oder die Geheimnisse des Gilli-Sees und der Schwarzen Felsen zu lüften. Auch mit eurer Geflügelfarm habt ihr ja noch Sorgen. Die Schwierigkeiten sind sicher groß; doch das schadet nichts! Der Kampf mit der Natur soll der Lebensinhalt junger Menschen sein.«
Als der Redakteur hörte, weswegen Kamo nach Jerewan gekommen war, nahm er sogleich den Telefonhörer auf und wählte eine Nummer. Er sagte jemandem am anderen Ende der Leitung, daß eine Alpinistenausrüstung gebraucht würde.
Sein Gesprächspartner schien sich ablehnend zu verhalten, denn in den schwarzen Augen des Redakteurs blitzte es zornig auf.
»Woher sollen Pioniere Geld haben?« entrüstete er sich. »Die Ausrüstung werden Sie mir leihen und auch von mir zurückerhalten... Nun also, das ist etwas anderes... Gewiß, gewiß. . . « Der Redakteur nickte zustimmend.
Nachdem er den Hörer wieder aufgelegt hatte, sagte er befriedigt zu Kamo:
»So, das hätte geklappt. Du wirst alles bekommen, was d brauchst! «
Dann ließ er seinen Sekretär kommen und gab ihm folgend Anweisung: »Höre dir den Bericht dieses jungen Freundes an. Schreib dir aber alles auf. Dann halte bitte in der Zeitung eine Spalte für einen Artikel über die Geflügelfarm frei, die von den Pionieren des Dorfes Litschk gegründet wurde ... Und du, Kamo schreibe auch selbst einen Artikel, den wir an die ,Pionerskaja Prawda' einsenden werden. Das ganze Land soll von den Versuchen unserer Pioniere aus dem Dorfe Litschk erfahren.«
Kamos Bericht wurde angehört und alles aufgeschrieben. Anschließend wurde er fotografiert und dann in das Amt für Sportangelegenheiten geschickt. Dort bekam er die erbetene Ausrüstung.
Noch am gleichen Abend wurde Kamo in den ,Palast der Pioniere ' geführt, wo er über die Vogelfarm, auf der Wildvögel gezüchtet wurden, berichten mußte.
Zwei Tage später sauste er in einem Kolchos-Auto wieder heimwärts. Er hatte eine Strickleiter, Stöcke mit Haken und andere von Alpinisten benötigte Ausrüstungsgegenstände bei sich. Außerdem hatte er die neueste Nummer der Pionierzeitung mitgenommen; auf einer Seite unter der Überschrift ,Neue Wege junger Pioniere im Dorfe Litschk' war ein langer Artikel abgedruckt. In der Mitte des Artikels stand Kamos Bild.
Armjon wälzte sich die ganze Nacht schlaflos von einer Seite auf die andere — die Eindrücke des verflossenen Tages ließen ihn nicht zur Ruhe kommen. Auch die anderen Kinder hatten eine unruhige Nacht gehabt.
Auf den Spuren der einstigen Bewohner der Tschantschakar-Höhlen
Einen Tag nach Kamos Abreise nach Jerewan kamen Armjon und Grikor morgens in die Farm. Asmik war nicht dabei - sie hatte die Küken zum Teich getrieben, allerdings war nur noch ein Rest trüben Wassers darin. Die Hitze nahm ständig zu. Seit einem Monat hatte es nicht mehr geregnet, und das am Dorfe vorbeifließende Flüßchen war gänzlich ausgetrocknet. Auch der Teich war beinahe trocken.
Die Küken der Wasservögel waren herangewachsen - bald mußten ihnen die Flügel beschnitten werden. Die jüngsten Gänschen, die noch vor kurzem ein gelber Flaum bedeckt hatte, stolzierten jetzt im weißgrauen Gewande einher. Sie waren beweglicher, flinker, aber auch ängstlicher als die Jungen der Hausgänse. Obwohl sie von Anaid und Asmik beaufsichtigt wurden und Großvater Assatur immer aufpaßte, schraken sie bei jedem verdächtigen Geräusch zusammen und waren ständig auf der Hut. Sie waren vorsichtig und mißtrauisch; der an-geborene Instinkt wilder Vögel war ihnen deutlich anzumerken. Im Teich benahmen sie sich ebenso wie die Hausgänse - sie schnatterten miteinander und besprachen sich in ihrer Gänse-sprache, zuweilen zischten sie auch wütend. Der Flaum der jungen Wasserhühnchen war, als sie ausschlüpften, hellbraun, und die winzigen Flügelchen waren an den Rändern mit weißen Pünktchen bedeckt. Jetzt begann sich ihre Farbe merklich zu verändern. Ihr Federkleid wurde dunkler, und sie nahmen nach und nach das Aussehen ihrer Mütter an. Ihr Gefieder hatte meist einen schiefergrauen Farbton, der auf dem Kopfe etwas dunkler, auf der Brust und dem Bäuchlein heller aussah. In dem dunklen Gefieder leuchteten ihre hellroten Augen. Auch Asmiks übrige Pflegebefohlenen nahmen allmählich die Farbe ihrer Eltern an.
In dem Tümpel, zu dem der Teich infolge der Dürre geworden war, fanden nicht mehr alle Küken Platz. Oft gab es ein großes Gedränge, und die kleinen Vögel machten einander geräuschvoll die besten Plätze streitig.
Armjon und Grikor gingen zu Asmik.
»Was meinst du«, fragte Armjon, »sollen wir gar nichts unternehmen, solange Kamo weg ist?«
Anstatt einer Antwort hob Asmik ein verendetes Entenküken an den Beinchen hoch.
»Der Lagerverwalter gibt keine Gerste mehr heraus«, klagte sie, und ihre Lippen zuckten verräterisch.
»Weshalb? Wie kommt er dazu?« brauste der sonst so ruhige Armjon auf.
»Er sagt, sie krepieren doch alle, es ist schade um die Gerste.«
»Und was sagt der Vorsitzende?«
»Wir sollen die Vögel auf den Markt schicken und sie verkaufen. Ohne Wasser sei doch nichts zu machen, sagt er«, erzählte Asmik und fügte hinzu: »Der Lagerverwalter murrt jedesmal, wenn er Gerste rausgeben soll. Er ist schuld daran, daß Onkel Bagrat die Lust an der Sache verloren hat.«
»Weißt du was, Asmik, wir werden zu Aram Michailowitsch gehen«, schlug Armjon vor.
»Ach bitte, tut das, ich werde ins Lager laufen, vielleicht gelingt es mir doch, den Verwalter zu erweichen«, antwortete Asmik. Sie wischte sich rasch die Tränen aus den Augenwinkeln und legte das inzwischen verendete Küken behutsam auf die Erde.
»Laß den Kopf nicht hängen, Asmik, bald ist unsere eigene Gerste reif!« tröstete Armjon.
»Leicht gesagt — laß den Kopf nicht hängen! Werden unsere Vögel es so lange aushalten?« antwortete Asmik und zeigte auf die Küken. »Und du hast aus dem Teich noch so viel Wasser für das Gerstenfeld genommen! Wo soll ich die Küken jetzt schwimmen lassen? Sie sind doch so süß, und sie tun mir so leid . . .«
»Aber die Gerste vertrocknet ja sonst«, rechtfertigte sich Armjon. »Und sie ist doch auch für die Küken... Ich habe nicht geglaubt, daß das Flüßchen so schnell versiegen würde... Aber wenn wir jammern, wird's nicht besser!«
»Geh mal an den See, dann wirst du sehen, wie gut es dort die wilde Sippschaft unserer Entlein und Gänslein hat, wie sie vor Freude piepsen, wenn sie im Wasser herumschwimmen und plantschen und lärmen. Sieh dir nur an, wie ihre Federn glänzen! Unsere sehen ganz räudig aus ...«, klagte Asmik. Anaid war zu den Kindern getreten.
»Armjon, ich habe wohl nicht genug Arbeit gehabt, daß ihr mir noch eine neue Plage aufhalst«, sagte sie mit sanftem Vorwurf. »Seit dem Frühling kennt Asmik kaum noch Schlaf und Ruhe... Immer liegt sie mir in den Ohren: ,Ach, meine Küken sind ohne Wasser! Ach, ein Geier — er wird sich ein Küken holen!' Es braucht sich nur ein Rabe auf die Telegrafenstange zu setzen — schon heißt es: ,Ach, der Räuber! Ich weiß schon, weshalb er dort sitzt, ich weiß, woran er denkt, er will sich ein Küken schnappen! ' — Warum habt ihr nur die Sache mit der Geflügelfarm angefangen? Und nun ist auch noch der Teich ausgetrocknet!... Was soll nun werden?«