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»Hier müssen auch Frauen gewesen sein!« rief er bald dar-auf. »Ich habe Ohrringe gefunden.«

»Sie sind aus Silber«, sagte der Lehrer, der die Ohrringe ein-gehend betrachtete. »Aber wieso meinst du, daß es Frauenohrringe sein müssen? Vielleicht haben sie Männern gehört — die armenischen Fürsten trugen zu jener Zeit auch Ohrringe... Seht nur, wie kunstvoll sie gearbeitet sind. Ihr müßt wissen, daß in unserem Lande, und namentlich in der alten Stadt Wan, die Goldschmiedekunst in früheren Zeiten sehr hoch in Blüte stand.«

Die drei Forscher stöberten weiter in der Höhle herum. Ihre Augen hatten sich bereits an das Halbdunkel gewöhnt.

»Seht nur«, jubelte Grikor, als er in einer Ecke auf die Über-reste eines zerfallenen Feuerherdes stieß. »Hier liegen Brat-spieße, Steine, Kohlen, sogar Asche... Und hier Gerippe — Knochen! Unsere Vorfahren haben aber leckere Braten gegessen. Kann man an diesen Knochen nicht feststellen, von welchen Tieren sie stammen, Aram Michailowitsch? Sieht der hier nicht aus wie der Knöchel von einem Reh?«

Inzwischen hatte Kamo an der Wand einen großen, schweren Kupferkessel entdeckt, den er keuchend ans Tageslicht schleppte.

Der Lehrer war über diesen Fund nicht weniger aufgeregt als seine Schüler. Hätten sie an Stelle dieser verrosteten, einfachen Gerätschaften aus Eisen, Kupfer und Bronze einen ganzen Berg Gold gefunden, sie hätten nicht glücklicher sein können. Diese uralten Gegenstände erzählten von den Menschen, die vor Jahrhunderten hier gelebt und gekämpft hatten, die hier gestorben waren und denen diese Dinge zum Gebrauch gedient hatten.

»Seht einmal her, Kinder«, rief der Lehrer, »das hier ist ein Ringpanzer.« Er zeigte den Jungen ein aus Eisenringen zusammengesetztes Kleidungsstück, das Ähnlichkeit mit einer langen Weste hatte.

»Und was ist das?« fragte Kamo und hob vom Boden der Höhle einen flachen runden und etwas gewölbten Gegenstand auf, der, wie die Oberfläche einer türkischen Trommel, mit Leder überzogen war und wie eine große Schüssel aussah.

»Das ist ein Schild. Seht her, an der Innenseite hat er einen Griff.«

»Und die Pfeile haben das Leder nicht durchbohrt?« wunderte sich Kamo. »Die haben aber wenig Durchschlagskraft gehabt. Wenn man sich dagegen vorstellt, daß moderne Geschosse vierzig Millimeter starke Panzerungen glatt durchschlagen.«

»Naß auf gespannte Ochsenhaut wird, wenn sie wieder trocken ist, sehr widerstandsfähig«, erklärte der Lehrer, »die Pfeile konnten sie nicht durchbohren. Als die Araber Ende des neunten Jahrhunderts eine Insel im Sewan belagerten, waren sie mit solchen Schilden ausgerüstet. Die Insel war von den Kriegern des armenischen Zaren Aschot besetzt.«

»Ist er auf der belagerten Insel ums Leben gekommen?« erkundigte sich Grikor.

»Nein, er unternahm einen Ausfall und schlug die Araber. Im ganzen nahmen vielleicht hundert Krieger an dem Ausfall teil... «

»Nur so wenig?« staunte Kamo.

»In den Kriegen der damaligen Zeit spielte das Wetter eine wichtige Rolle. In dem Augenblick, in dem Aschot mit seinen Kriegern zum anderen Ufer übersetzte, ging die Sonne auf; ihre Strahlen blendeten die Araber so stark, daß sie die Fahrzeuge des Zaren kaum sehen konnten. Daher fielen ihre abgeschossenen Pfeile ins Wasser. .. Ist es nicht wunderbar«, fuhr der Lehrer fort, »wie gut sich hier alles erhalten hat? Die Höhle läßt die Sonne herein, sie ist ganz trocken. Kommt, Kinder, wir wollen unsere kostbaren Funde nach unten bringen. Hole das Seil, Kamo, und du, Grikor, lege alles behutsam in diesen Sack.«

Während die beiden Jungen die gefundenen Gegenstände sorgfältig in dem Sack verstauten, war der Lehrer noch tiefer in die Höhle eingedrungen. Die Kinder hörten ihn rufen:

»Kommt vorsichtig hinter mir her! Ich habe einen Gang gefunden, der weiter ins Innere des Felsens führt.«

Kamo und Grikor eilten ihrem Lehrer nach. Wirklich, im Hintergrund der Höhle war eine Öffnung, die einen schmalen Gang freigab. Kamo leuchtete mit seiner Taschenlampe hinein. Erstaunt rief er dem Lehrer zu:

»Dieser Gang muß von Menschen angelegt worden sein. Sehen sie nur die Spuren an den Wänden, sie stammen sicher von einer Spitzhacke oder so etwas Ähnlichem.«

»Ihr müßt euch bücken, Kinder, sonst stoßt ihr euch die Köpfe«, sagte der Lehrer. »Der Gang ist sehr niedrig.«

Von den beiden Knaben gefolgt, kroch Aram Michailowitsch in den Gang hinein.

Schon nach wenigen Schritten machten sie verblüfft halt: der Gang gabelte sich.

»Welche Richtung sollen wir einschlagen?« überlegte Aram Michailowitsch.

»Gehen wir aufs Geratewohl nach links! « schlug Kamo vor. Der Lehrer bog schweigend nach links ab.

Hier war der Gang noch niedriger, und um vorwärts zu kommen, mußten sie auf allen vieren kriechen.

Nach und nach wurde es heller. Und gleich darauf standen sie in einer neuen Höhle.

Die Jungen jubelten laut.

Am Ausgang der Höhle, dicht an dem Abgrund, hockten zwei riesige Vögel. Es waren Königsadler — die größten und stärksten unter den Adlern. Sie hatten ganz weißes Gefieder. Die Flügelränder waren dunkelbraun und die Spitzen der Schwanzfedern tiefschwarz. Das zottige Federkleid ihrer Beine glich weiten Hosen und war ebenfalls dunkelbraun. Als die Adler das Herannahen der Menschen bemerkten, breiteten sie schwerfällig ihre Schwingen aus und glitten hinab in die Schlucht.

In einer Ecke der Höhle lag Reisig aufgeschichtet, aus dem junge Adler ihre Köpfe mit den krummen Schnäbeln neugierig hervorstreckten. Angst und Verwunderung spiegelten sich in ihren dunkelbraunen Augen.

»Ein Adlernest«, flüsterte Kamo.

»Warum fliegen sie denn nicht weg?« fragte Grikor.

»Sie sind noch zu klein. Sie können noch nicht fliegen.«

»Da sind ja Betten«, rief Kamo. »Ein ganzer Berg Matratzen und Decken!«

Er wollte sich darauf stürzen, doch Aram Michailowitsch hielt ihn am Arm fest.

»Halt, du darfst nichts anrühren!« rief der Lehrer. Er war genauso aufgeregt wie die Kinder.

Seine Hände zitterten, und seine Augen hatten einen ungewöhnlichen Glanz bekommen. Dieser neue Fund mußte offenbar von außergewöhnlicher Bedeutung sein.

»Ja nichts anrühren! « warnte er noch einmal.

Er ließ seine Blicke prüfend in die Runde schweifen. Die Jungen merkten, daß er fürchtete, die geringste Bewegung könnte etwas zerstören.

Es lagen wirklich ganze Berge von Matratzen, Decken, farbigen Geweben und buntgemusterten Teppichen in einer Ecke. Auch über dem dicken Bodenbelag, der anscheinend aus Filz war, lag ein Teppich ausgebreitet, auf dem verschiedene Kissen lagen. Sicher hatten vor vielen hundert Jahren hier Menschen nach orientalischer Sitte mit untergeschlagenen Beinen auf diesem Teppich gesessen.

In der Mitte der Höhle standen die Reste eines zerfallenen Herdes, in dem sich noch Kohlen und Asche befanden. Ein halbverkohlter Holzklotz steckte im Feuerloch. Die Decke und die Wände der Höhle waren rauchgeschwärzt.

»Auch hier ist gekocht und gebraten worden«, meinte Grikor sinnend, als er des Herdes ansichtig wurde. »Und zum Braten ist auch Wein getrunken worden - seht mal, was für ein riesiger Krug da steht. «

Bei näherer Betrachtung stellte sich heraus, daß der ungewöhnlich große Tonkrug bis zum Rande mit glänzenden Glasperlen gefüllt war.

»Darüber wird sich Asmik freuen!« rief Grikor.

»Du findest die merkwürdigsten Dinge«, meinte Kamo ein wenig neidisch.

»Kommt mal her, Kinder!« rief der Lehrer plötzlich. »Seht euch diese Schwerter an - sie sind sehr groß und grob gearbeitet — wahrscheinlich von einheimischen Schmieden in aller Eile geschmiedet, vielleicht sogar erst, als bereits gekämpft wurde und es an Waffen fehlte.«

Wieder hatte Grikor etwas Seltsames, Neues entdeckt: ein kurzes dickes Rohr mit einem Holzgriff. Der Lehrer meinte, der daran befestigte Stein sei ein Feuerstein, und dieses merkwürdige Ding müsse ein primitives Schießinstrument sein, und dabei leuchteten seine Augen vor Freude.