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Vielleicht handelte es sich um eine der ersten Feuerwaffen, deren Anwendung, wie Aram Michailowitsch wußte, die Armenier von den Arabern gelernt hatten.

Inzwischen hatten sich Kamo und Grikor zu dem ziemlich hoch angebrachten Adlerhorst geschlichen.

Kamo hatte sich an die Wand gestellt. Grikor mußte auf seinen Rücken steigen.

»Versuche mal einen oder zwei der Vögel aus dem Nest zu nehmen«, befahl er.

»Sie werden mich beißen«, erwiderte Grikor. »Wozu brauchen wir denn junge Adler?«

»Für unsere Versuchsfarm«, entgegnete Kamo. »Wir werden ihnen einen großen Käfig bauen.«

Grikor griff in das Nest, doch einer der jungen Vögel hackte böse nach seiner Hand. Grikor schrie auf, verlor das Gleichgewicht und stürzte zu Boden.

»Was ist denn los?« wollte Kamo wissen.

»Einer hat mich gebissen«, empörte sich Grikor und hielt seinen blutenden Finger hoch.

»Und du willst ein Mann sein!« spottete Kamo. »Stell du dich jetzt mal hin, ich werde auf deinen Rücken klettern.«

»Du bist mir zu schwer«, widersprach Grikor, »aber immer noch besser, als daß ich diese Biester noch mal anfasse.«

Kamo, der geschickter war als Grikor, warf seine Mütze auf einen der jungen Vögel, packte ihn und sprang von Grikors Rücken herab. Er betrachtete seine Beute genauer, hielt aber dem jungen Adler dabei den Schnabel zu. Er war ungefähr so groß wie ein stattliches Huhn. Seine Federn waren um einen Ton heller als die der Alten; aber auch er hatte struppige Hosen an.

Kamo hatte noch nicht Zeit gehabt, sich den jungen Adler richtig anzusehen, als ein schriller Pfiff erscholl und die Adlermutter flügelschlagend in die Höhle schoß. Mit ihren mächtigen Schwingen schlug sie auf Grikor ein. Kamo war mit seiner Beute in den Hintergrund geflüchtet. Aram Michailowitsch hatte so-fort geistesgegenwärtig eine verrostete Spitzhacke ergriffen und war Grikor zu Hilfe geeilt.

Der schrie wie am Spieß und hielt Arme und Hände schützend vor das Gesicht, obwohl die Adlermutter schon längst wieder davongeflogen war.

Sie blieb in der Nähe des Höhleneingangs sitzen, schlug aufgeregt mit den Flügeln und war entschlossen, ihren Jungen, die angstvoll piepten, sofort zu Hilfe zu eilen, sollte sich nochmals jemand an sie heranwagen.

Kamo aber hatte seinen gefangenen Adler so fest in seine Jacke gewickelt, daß er sich nicht bemerkbar machen konnte. Die Adlermutter, die nichts von dem Raub wußte, verzichtete auf weitere Angriffe.

Nachdem sich die Aufregung über den Zwischenfall gelegt hatte, mußte Kamo doch herzlich lachen. Gutmütig neckte er den Freund:

»Nun, Grikor, wie geht's? Lebst du noch?«

»Die ganze Schulter hat mir das Biest zerfetzt«, jammerte Grikor und nahm, wie immer, den Mund sehr voll.

Aber Kamo lachte nur.

»Nichts von Bedeutung«, rief er, als er die Schulter untersucht hatte. »Nur ein paar Schrammen. Denke nur, wie sie im Dorfe staunen werden, wenn wir mit einem jungen Adler ankommen. So etwas ist eine Seltenheit. Da kann man ruhig ein paar Kratzer mit in Kauf nehmen.«

Kamo band seinem Gefangenen die Füße zusammen und trug ihn in die dunkelste Ecke der Höhle. Dabei hatte ihm der junge Raubvogel doch noch die Hände blutig gekratzt und das Hemd gehörig zerfetzt.

Der Junge trat dicht an den Rand des Abgrundes:

»Asmik, Armjon«, schrie er in die Schlucht hinunter, »wir haben einen jungen Adler gefangen!«

Asmik rief zurück: »Laß ihn sehen!«

»Warte, ich hole ihn gleich!« versprach Kamo. Als er dann aber die Adlermutter sah, die über der Schlucht kreiste, hielt er es doch für klüger, seinen gefangenen Raubvogel nicht zu zeigen.

Die Jungen kehrten nun zu Aram Michailowitsch zurück, der noch immer im Hintergrund der Höhle herumstöberte und nach neuen Schätzen suchte.

In diesem Augenblick entdeckte Grikor ein menschliches Skelett, das in sitzender Stellung an der Wand lehnte.

Zu Tode erschrocken, wich er zurück, stolperte und fiel auf die Kissen.

Und nun geschah etwas sehr Merkwürdiges. Die Kissen und Teppiche, die doch eben noch dagewesen waren, die sie alle deutlich gesehen hatten, waren zu Staub zerfallen.

Kamo stand wie versteinert; Aram Michailowitsch aber war sehr ungehalten.

»Ich habe doch gesagt, seid vorsichtig«, schimpfte er ärgerlich. Doch als er Grikors Blicken folgte, erschrak auch er— so unheimlich war der Anblick des hier seit Jahrhunderten modernden Skeletts, das auf den Knien ein riesiges Schwert liegen hatte.

Auch dem sonst so unerschrockenen Kamo lief es kalt über den Rücken.

Als sich Grikor wieder aufgerichtet hatte, stand er eine ganze Weile völlig verstört da. Er brachte zunächst kein Wort heraus. Schließlich fragte er angstvoll flüsternd:

»Was ist eigentlich passiert? Weshalb ist alles verschwunden? «

Auch Kamo wollte wissen, ob es richtige Betten gewesen waren.

»Natürlich«, erwiderte Aram Michailowitsch. »An dieser Decke kannst du es sehen. Sie ist noch unversehrt. Sieh nur, wie sich sogar die Farben frisch erhalten haben. Unsere Vorfahren gewannen ihre Farben aus Pflanzen. Das Geheimnis der Zubereitung ist uns leider unbekannt.«

»Aber wieso ist denn alles in Staub zerfallen?« fragte Kamo verwundert. »Es war schon alles zerfressen und mürbe. Solange diese Dinge von niemand berührt wurden, behielten sie Form und Farbe, doch die geringste Berührung genügte, wie ihr eben gesehen habt, um alles in Staub aufzulösen.«

Grikor, dem das Erlebnis mit dem Skelett noch in den Gliedern saß, dachte sehnsüchtig an das Honigparadies. Wortlos verschwand er in einem der Seitengänge.

Als er zu der Stelle kam, an der die Gänge sich gabelten, schlug er den anderen Weg ein, der nach seiner Meinung zur Bienenhöhle führen mußte.

Es war finster und feucht in dem Gang. Kälte schlug ihm entgegen, und die Wände trieften vor Nässe. Eine schleimige, klebrige Masse überzog sie. Es wurde dem Jungen recht unheimlich zumute, und fast wäre er umgekehrt. Aber Grikor dachte nur noch an den Honig: er mußte ihn finden, mag kommen was wolle. Also blieb Grikor nichts anderes übrig, als auf den Knien weiterzurutschen. Er arbeitete sich in der Dunkelheit langsam vorwärts, dabei schürfte er die Ellenbogen ab, daß sie bluteten. Endlich schimmerte von weitem ein wenig Licht. Grikor kroch weiter und sah nun eine breite Öffnung, die von zahllosen Bienen umschwärmt wurde.

In der Honigfabrik der bösen Geister

Hurra, da wären wir«, triumphierte Grikor laut, um sein Angstgefühl, das ihn immer noch nicht verlassen hatte, loszuwerden, »hier ist ja der Honig!«

Vorsichtig drang er in der großen Höhle weiter vor, in der es von Bienen wimmelte.

Die Bienen, die offenbar Menschen gar nicht kannten und noch keine schlechten Erfahrungen mit ihnen gemacht hatten, achteten nicht auf Grikor und ließen ihn unbehelligt. So konnte er die Bienenhöhle genauer untersuchen. Er fand eine Reihe größerer und kleinerer Tongefäße, mit und ohne Henkel, doch alle hatten weite Öffnungen. Vielleicht hatten die Menschen früher Milch und Käse darin aufbewahrt. Ein rußgeschwärztes Tongefäß brachte Grikor auf den Gedanken, daß die Menschen, die einst hier gehaust hatten, es zum Kochen gebraucht hatten. Doch jetzt waren alle diese irdenen Gefäße, ob groß, ob klein, zu Wohnungen für die Bienenvölker geworden; sie enthielten durchweg kunstvolle Waben und waren mit dickem goldgelbem Honig gefüllt. Grikor war über all das sehr verwundert, und er wollte das gleich jemandem erzählen. Vorsichtig kroch er bis zum Rande der Felsenplatte und spähte in die Schlucht hinab. Seine Freude war groß, als er Armjon und Asmik sah, die unten standen und sich schier die Hälse verrenkten. Dicht neben ihnen stiegen blaue Rauchwölkchen hoch. Das mußte Großvater Assaturs Pfeifchen sein. Er selber war von hier oben nicht zu sehen.