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Grikor beugte sich, so weit es ging, über den Abgrund und schrie den Freunden zu:

»Die Bienen haben hier alles mit Honig gefüllt.« Außer sich vor Freude, hüpfte Grikor auf seinem gesunden Bein dicht am Rande des Abgrundes, so daß Asmik entsetzt die Augen schloß und laut aufschrie:

»Du wirst abstürzen, sei doch bloß vorsichtiger.«

Grikor aber war schon wieder auf dem Wege zur Höhle. Er hatte entdeckt, daß kleine Vögel darin herumflatterten, die Jagd auf die Bienen machten. Der aufgeweckte Junge blieb ganz erstaunt stehen.

Ist es zu glauben, dachte er, daß die Bienen auch Feinde haben?

Die kleinen buntgefiederten Vögel — Bienenfresser genannt — verfolgten die Bienen tatsächlich und verschlangen sie im Fluge.

Nachdem Grikor dieses neue Wunder der Natur bestaunt hatte, trat er wieder an den Abgrund und rief in die Schlucht hinab:

»Armjon, könnt ihr die Schaufel des Gevatters Mukel entdecken?«

Asmik lachte hellauf.

»Das hast du verwechselt; sie gehörte nicht Gevatter Mukel, sondern dem Jäger Karo!« rief sie hinauf. »Sie ist rechts von dir zu sehen, ganz in deiner Nähe.«

Vorsichtig trat Grikor noch einen Schritt vor und spähte nach rechts. Tatsächlich, dort ragte ein langer Stiel durch einen Spalt der benachbarten Höhle hervor. Von der Felsenplatte, auf der Grikor stand, führte ein schmaler Pfad zu dieser Höhle. Grikor mußte sich mit den Händen an den Felsvorsprüngen fest-klammern und vermied ängstlich, in die Tiefe zu blicken, um nicht schwindlig zu werden. Mit einiger Mühe erreichte er den Pfad und gelangte darauf bis zum Eingang der benachbarten Höhle. Es war nur ein tiefer Spalt, aus dem wirklich der dicke Stiel einer Schaufel herausragte. Sie stak fest in den Waben, die, wie es schien, die ganze Höhle ausfüllten. Mit vieler Mühe gelang es Grikor, die Schaufel herauszuziehen. Er mußte sich lange Zeit damit herumquälen. Als sie sich aber schließlich doch lockerte und es ihm endlich gelang, sie durch den Spalt zu zwängen, sah er, daß sie ganz mit Wachs und Honig verklebt war. Ganze Wolken aufgescheuchter, angriffslustiger Bienen umsummten den Knaben, und rasch mußte er sich den Schleier, den er sich vorsorglich eingesteckt hatte, zum Schutz um den Kopf binden.

»Großväterchen«, rief er in die Schlucht hinab, »paß auf, ich werfe dir die Schaufel zu.« Und schon flog sie, von aufgeregten Bienen umsummt, nach unten.

Großvater Assatur zeterte ängstlich:

»Was stellt dieser Tollkopf an? Gleich werden ihn die bösen Geister in den Abgrund stürzen.«

Grikor war aber schon wieder zur Höhle zurückgekrochen und besah sich staunend dieses wilde Bienenparadies. So etwas gab es wohl auf der ganzen Welt nicht ein zweites Mal; es war ein riesiges Bienenhaus, und noch nie hatten Menschenhände daran gerührt. Im Innern der Höhle mußten gewaltige Mengen süßen Bienenhonigs angesammelt sein. Grikor überlegte. Wie konnte man an das süße Zeug, das er so gern aß, rankommen, und wie konnte es ins Dorf gebracht werden?

Er schrie in die Schlucht hinab: »Großväterchen, wir brauchen Eimer für den Honig. Laß schnell Eimer holen! «

Nachdem Grikor das ,Honiglager' ausgiebig untersucht hatte, kehrte er auf dem gleichen Pfade, auf dem er gekommen war, in die erste Höhle zurück...

Aram Michailowitsch und Kamo waren gerade dabei, ihre kostbaren Funde an einem langen Seil in die Schlucht hinab-zulassen.

Großvater Assatur war ganz überwältigt, als er die Schätze erblickte. Auch Armjon und Asmik sahen sich alles staunend an und stießen laute Freudenrufe aus.

»Weißt du noch, was ich gesagt habe?« rief Armjon triumphierend. »Jetzt ist mir alles klar. Ich kann dir erklären, wie die Menschen in die Höhlen gekommen sind. Als sie vor ihren Feinden flüchten mußten, vielleicht vor den Türken — denn die Türken haben unser Armenien mehr als einmal überfallen —, stießen sie zuerst auf die hohe Eiche, von der wir nur noch die Wurzeln gefunden haben. Sie hatten keine andere Möglichkeit, sich zu retten, und sind daran hochgeklettert. Die Armenier waren sicher schon in die Höhlen geflüchtet, bevor ihre Feinde herangekommen waren, denn du siehst ja, daß sie ihr Hab und Gut zum Teil da oben verstauten.«

Asmik fragte neugierig:

»Konnten denn die nachfolgenden Feinde nicht auch auf die Eiche klettern und alles umbringen?«

»Natürlich konnten sie das. Aber die Flüchtlinge haben sicher damit gerechnet. Vielleicht haben die letzten, die ins Gebirge flüchteten, den Baum rasch gefällt. Dadurch waren die Verfolger aufgehalten, und wenn sie die Flüchtlinge doch entdeckten, werden diese von oben Steine heruntergeworfen haben. Jedenfalls konnten die Türken nicht bis zu den Höhlen gelangen. «

Asmik hatte aufmerksam zugehört.

»Weiter, weiter«, drängte sie in kindlicher Ungeduld.

»Wie geht die Geschichte weiter?«

»Als dann der Feind abgezogen war, denke ich mir, konnten die Flüchtlinge natürlich nicht mehr zurück, denn den Baum, der die einzige Verbindung nach unten gewesen war, hatten sie ja gefällt. Alle litten unter Hunger und Durst, und die Mütter mußten mit ansehen, wie die kleinen Kinder verhungerten und verdursteten. Die Höhlen, in die die Menschen sich vor ihren Verfolgern gerettet hatten, wurden zu ihren Gräbern. . . «

Während sich die Kinder in der Schlucht so miteinander unterhielten, erscholl plötzlich von oben her Grikors verzweifelte Stimme:

»Ich habe viele Krüge voll Honig aus der Höhle geschleppt. Was soll ich damit machen?«

Großvater Assatur schlug als findiger und praktischer Jäger, der immer einen Ausweg wissen muß, vor:

»Hole Kamo! Dann müßt ihr um die Hälse der Gefäße Stricke schlingen, sie gut verknoten und vorsichtig hier herunterlassen. Wir werden sie ebenso vorsichtig in Empfang nehmen.«

Ärgerlich schlug Grikor nach den Bienen, die ihn wütend umsummten.

»Die lassen mich nicht mal Honig schlecken, diese Biester«, schrie er. »Und dabei riecht es so lecker hier.«

»Du mußt abwarten und nicht so gefräßig sein«, riefen die Kinder herauf. »Später kannst du naschen, soviel du willst. Jetzt laß mal erst die Krüge runter.«

Als Aram Michailowitsch und Kamo sich in der Bienenhöhle einfanden, war Grikor damit beschäftigt, seine süße Beute gegen die Angriffe unzähliger Bienen zu verteidigen.

»Endlich seid ihr da«, rief er ihnen erleichtert entgegen Rasch unterbreitete er ihnen den Vorschlag des Großvaters, wie sie die Krüge in die Schlucht befördern konnten. »Ich habe das Honigparadies des Jägers Karo gefunden«, sagte Grikor, »und seine Schaufel habe ich auch schon rausgezogen.«

Kamo wollte gleich Näheres darüber wissen, aber der Lehrer mahnte:

»Zuerst müssen wir den Honig nach unten bringen.«

Die Krüge waren riesengroß, und auch der Lehrer meinte, sie seien in alten Zeiten zur Aufbewahrung von Wein, Käse, Getreide und ähnlichem verwendet worden.

Diese Krüge hatten sich als Bienenkörbe sehr nützlich erwiesen. Jetzt summten die in Aufruhr geratenen kleinen Bestien angriffslustig umher und waren offenbar entschlossen, mit ihrem Stachel ihr Eigentum gegen die Räuber zu verteidigen.

Die Höhle, in der die Bienen hausten, war so schwer zu er-reichen, daß ihnen bisher kein Honigdieb hatte gefährlich werden können. Auch der weitverbreitete Aberglaube, daß Geister hier ihre Schätze behüteten, hatte die Menschen fern-gehalten. Deshalb konnten sich die Bienen auch ungehindert vermehren und hatten nicht nur die großen Tonkrüge gefüllt, sondern jeden Winkel der Höhle mit honigstrotzenden Waben überzogen.

Die beiden Jungen arbeiteten fieberhaft; sie befestigten die mitgebrachten Stricke an den Krügen, und bald waren diese zur Fahrt in den Abgrund bereit.