Zu Beginn des Frühlings brachten die Kinder in ihrer Versuchsfarm die Brutöfen in Ordnung und beschafften Akkumulatoren. Während des Winters hatte sich alles so verändert, daß es gar nicht wiederzuerkennen war. Aus dem ersten primitiven Stall war eine richtige große Geflügelfarm geworden. Die Vögel waren in verschiedenen Ställen und Käfigen unter-gebracht, und auch die Futterrationen waren unterschiedlich, je nachdem, ob es sich um junge Vögel, um Enten oder Wasserhühner handelte.
An einem sonnigen Tage machte Asmik die Tore weit auf, und alle ihre Schützlinge, ganz gleich welcher Art, eilten unter lautem Geschnatter und Gegacker dem Teiche zu. Alle sahen sie durchweg gut genährt und gesund aus.
Asmik war außer sich vor Freude, als sie sich mit ihrem krakeelenden Völkchen auf den Weg zum Wasser machte.
»Seht nur, wie die sich rausgemacht haben«, rief sie glückselig ihren Freunden zu.
»Ja, deine Vögel sehen gesund und munter aus«, bestätigte Grikor. »Aber auch du hast dich herausgemacht, Asmik, du bist tüchtig gewachsen, weißt du das?«
Lachend zauste Asmik den dichten Haarschopf des Freundes. »Laß los«, schrie Grikor, »du reißt mir ja alle Haare aus! «
Grikor hatte recht. Asmik war im Laufe des vergangenen Jahres viel größer geworden. Auch die Jungen waren in die Höhe geschossen. Kamo war ein richtiger junger Mann geworden; auf seiner Oberlippe war schon der Hauch eines dunklen Bärtchens zu sehen. Seine Stimme klang ein wenig brüchig. Armjon, noch schüchterner als bisher, war schlank und groß geworden. Nur Grikor schien sich nicht viel verändert zu haben. Sein Gesicht hatte den kindlich-naiven Ausdruck behalten, und in seinen schwarzen Augen tanzte immer noch der Schalk.
Die wilden Vögel der Versuchsfarm fingen an, Eier zu legen. Es waren etwa hundertundzwanzig Hennen. Nun brauchten die Kinder nicht mehr mühselig im Schilf nach Eiern zu suchen.
Eines Tages kam Asmik glückstrahlend aus dem Stall, in dem die Wasserhühner untergebracht waren; sie hielt ein längliches gesprenkeltes Ei in der Hand:
»Guckt mal«, rief sie, »das erste Ei von unseren Wasserhühnern. Ist es nicht hübsch?«
»Zeig mal«, rief Grikor, »ich will mit den Zähnen probieren, wie hart es ist. Erinnerst du dich, wie hart die Eierschalen des Wasserhuhns sind?«
Asmik erschrak.
»Nein, du bekommst es nicht. Du wirst es zerbrechen«, und sie drückte das Ei zärtlich an ihre Wange.
»Wir wollen es wiegen«, schlug Armjon vor.
Grikor holte eine kleine Apothekerwaage, die in einer Ecke hing.
»Es wiegt ebensoviel wie ein gewöhnliches Hühnerei«, sagte Armjon, als er das Ei gewogen hatte. »Siebenunddreißig Gramm. — In ein oder zwei Jahren, wenn die Vögel aus-gewachsen sind, werden sie größere Eier legen. Jetzt kommt es darauf an, eine Kreuzung zwischen dem wilden Geflügel und unserem Hausgeflügel zu versuchen. Was meinst du dazu, Asmik?«
»Wir haben doch keine zahmen Gänse oder Enten, höchstens Hühner, und ob das geht?«
»Wir könnten ja einen Teil unseres wilden Geflügels gegen zahmes eintauschen«, schlug Kamo vor, »und warum soll es nicht gehen?«
Als die Kinder dann zum Kolchosvorsitzenden Bagrat kamen und ihn baten, ihnen einige wilde Vögel gegen zahmes Geflügel einzutauschen, war er sofort einverstanden. Der Vorsitzende hatte zu seinen jungen Naturforschern Vertrauen gefaßt.
Auf Bagrats Anordnung hin durften sie in der Kolchosfarm zehn Vögel abholen — fünf Gänse und fünf Enten.
»Und unsere Vögel will Onkel Bagrat nicht haben?« fragte Kamo.
»Der Vorsitzende hat nichts davon gesagt«, erwiderte der Verwalter.
Nun wurden die zahmen Vögel zu ihren wilden Artgenossen in den Stall gesetzt. Nachdem auch die Gänse und Enten an-gefangen hatten zu legen, waren die Kinder davon überzeugt, daß die Kreuzung zwischen dem zahmen und dem wilden Geflügel gelungen war.
Aber das Experiment brachte neben den neuen Hoffnungen auch neue Sorgen mit sich.
Gewiß, Futter hatten sie genug; die Gerste auf Armjons Feld war gut aufgegangen und grünte bereits. Doch je näher der Sommer herankam, desto größer wurde die Angst vor der bevorstehenden Dürre. Böse Vorahnungen erfüllten die jungen Freunde.
Seit seinem Bestehen hatte das Dorf Litschk schon manche Gefahren überstanden. Vor heranrückenden Feinden waren früher die Bewohner in die Berge geflüchtet. Doch wohin sollte man vor der Dürre flüchten? Die Acker des Dorfes lagen fast ausnahmslos auf steinigem, der prallen Sonne ausgesetztem Gelände und zum Teil sogar an den wasserarmen Berghängen. Die Kolchoswirtschaft pflügte im Sommer und speicherte da-durch während der Wintermonate Feuchtigkeit auf. Im Herbst wurden gegen Trockenheit unempfindliche Getreidearten aus-gesät. Hierdurch hatten sich die Ernten im Gebiet des Sewan erheblich verbessert. Doch die Dürre blieb nach wie vor der ärgste Feind dieses an Wäldern und an Feuchtigkeit armen Gebietes.
»Das ist eben unser Unglück«, sagte Armjon zu Asmik und wies auf die kahlen Berghänge. »Wir sind von allen Seiten von Bergen eingekesselt. Vom Schwarzen Meer her ziehen Wolken heran. Doch diese Berge hindern sie, ihren Regen bei uns ab-zuladen.«
»Und unser ,Meer'?« fragte Asmik.
»Unser Sewan ist nicht groß genug, um die Wolkenbildung zu beeinflussen... Das weiß ich aus der Naturkunde. Im Frühjahr schießen die jungen Triebe aus dem Erdreich. Sie wachsen zwei Handbreit und müssen dann aus Wassermangel verwelken. «
Auch die Bienen fanden während der Dürre nicht genug Nahrung, denn auf den Feldern gab es weder Gras noch Blumen.
Am meisten aber litten die Wasservögel unter der Trockenheit. Sie schlichen ermattet umher, magerten ab und verkamen.
Asmik führte ihre Schützlinge einige Male bis zum Gilli-See. Das klägliche Aussehen der Vögel und ihr schmutziges, struppiges Gefieder machten das Mädchen ganz traurig.
»Hast du gesehen, wie viele Risse im ausgedörrten Boden unseres Teiches sind?« fragte sie Grikor.
»Der arme Teich, auch er will trinken«, antwortete Grikor.
Eines Tages bat Armjon den Kolchosvorsitzenden um einen Wagen. Er wollte Wasser aus dem See holen. Bagrat, der die jungen Naturfreunde mit der Zeit liebgewonnen hatte, willigte sofort ein. Sein Lieblingswort ,Anarchie' war schon lange nicht mehr im Zusammenhang mit den Kindern gefallen.
Von der Konsumgenossenschaft entliehen die Jungen ein paar leere Bierfässer und fuhren damit zum Gilli-See.
Als sie die Fässer gefüllt hatten, machten sie auf dem Rückwege bei den Bienen Station, um auch ihnen Wasser zu bringen.
»Zehn Millionen Bienen brauchen weniger Wasser als ein einziges Kalb«, sagte lachend Großvater Assatur. »Die Bienen sind es gewöhnt, aus dem Bach zu trinken. Sie werden von euren Bierfässern nichts wissen wollen. Aber die Bäche sind jetzt oft versiegt. Könnt ihr für sie nicht neue machen?«
»Wir wollen es versuchen. Aber das Wasser wird trübe und abgestanden sein. Wird es ihnen denn schmecken? Wir hatten es vor allem für den Klee geholt.«
Behutsam wurde eines der Fässer vom Wagen gehoben und auf den Boden gestellt. Nun bekam der welk gewordene Klee-streifen längs des Zaunes, an dem die Bienenkörbe standen, tüchtig zu trinken.
Die Bienen, die das Wasser witterten, schwirrten herbei und machten sich über den Klee her.
»Das ist gut«, sagte Armjon, »die Bienen können die Wassertröpfchen von den Kleeblättchen abtrinken, im Bach würden sie vielleicht ersaufen.«
Plötzlich rannte Grikor Hals über Kopf nach Hause; ihm war ein Gedanke gekommen.
Dort stand in einer Zimmerecke seit Jahr und Tag ein alter Samowar mit einem verbogenen Hahn. Grikor ergriff ihn und eilte wieder hinaus.
»Junge«, rief seine Mutter, »wohin willst du mit dem Samowar? «