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Endlich hatte er seine Wohnung erreicht. Er schlüpfte in den Stall und versteckte den Sack in einem Verschlag.

Als es dämmerte, sagte er zu seiner Frau:

»Du warst doch schon lange nicht mehr bei unserem Töch-terchen. Du solltest mal hingehen und nachsehen, wie es dort geht.«

»Du hast recht«, pflichtete ihm die alte Nargis bei. »Ich will hingehen und mal nachsehen.«

Seine Frau war kaum weg, da nahm der Großvater einen Krug Wasser, eine Schüssel und eine Laterne und ging in den Stall. Nachdem er die Tür sorgfältig von innen verbarrikadiert hatte, zog er den Sack mit seinen Schätzen aus dem Verschlag, goß Wasser in die Schüssel und wusch den Honig, der an den Kostbarkeiten klebte, fein säuberlich ab.

Jetzt strahlten die Stücke einen solchen Glanz aus, daß es die Augen förmlich blendete. Die Edelsteine in den Armbändern und den Ringen glänzten in so vielen Farben, daß es dem alten Manne vorkam, als wäre es ein Schatz aus einem Märchenschloß.

Ein Geräusch im Hof! Hastig löschte er das Licht in der Laterne aus und horchte. Nein, er hatte sich geirrt, es kam niemand. Vielleicht war Tschambar draußen vorbeigelaufen. Großvater Assatur konnte es noch immer nicht fassen. Solche Kostbarkeiten hatte er in seinem ganzen langen Leben noch nie zu Gesicht bekommen.

Da er fürchtete, seine Frau würde bald wieder zurückkehren, tat er den Schmuck wieder in den Sack, hob in aller Eile in einer Stallecke ein Loch aus und grub den Schatz ein.

Als er dann auf den Hof hinaustrat, blickte er sich ängstlich nach allen Seiten um. Nein, es war niemand zu sehen. Er machte die Stalltür zu, schob den Riegel vor und ging ins Haus zurück. Auf der Polsterbank sitzend, sog er gierig an seiner Pfeife.

Seine Gedanken kreisten um den Fund. Einerseits freute er sich darüber, andererseits hatte er ein schlechtes Gewissen. Ängstlich horchte er auf jedes Geräusch. Würde jemand kommen und den Diebstahl aufdecken?

Wieso denn Diebstahl? überlegte er. Wen habe ich denn bestohlen, und weshalb schlägt mein Gewissen?

Da hörte er Schritte auf dem Hof. Nargis war zurückgekommen.

Als sie ihren Mann sah, fragte sie ganz erschrocken:

»Was ist denn mit dir? Du siehst ja ganz blaß aus und zitterst am ganzen Leibe. Bist du etwa krank?«

»Ich fühle mich nicht ganz wohl«, log der Alte. »Mach mir das Lager zurecht. Ich will schlafen gehen.« Und er begann sich schnaufend auszuziehen.

Von diesem Tage an machten die Kolchosarbeiter die Beobachtung, daß Großvater Assatur immer finsterer und reizbarer wurde und daß er neuerdings, ganz gegen seine Gewohnheit, den Leuten aus dem Wege ging. Selbst bei den Bienen ließ er sich nicht sehen. Meist saß er, das Gewehr zwischen den Knien, im Kolchos auf der Tenne.

Eines Tages kam Grikor ganz entsetzt zu Kamo gelaufen und sagte:

»Großväterchen Assatur muß den Verstand verloren haben. Komm bloß mal mit. «

Behutsam schlichen die beiden Jungen zur Tenne. Hinter einer Heumiete verborgen, beobachteten sie den Alten. Er hatte die Arme ausgestreckt und hob die Hände abwechselnd bald in die Höhe, bald ließ er sie sinken, als halte er etwas darin, dessen Gewicht er zu ermitteln suchte. Dabei bewegten sich seine Lippen, als führe er ein Selbstgespräch. Bei dem leisesten Geräusch zuckte er zusammen und blickte sich ängstlich nach allen Seiten um.

»Was ist nur mit ihm?« flüsterte Kamo.

»Es kommt wohl vom Alter«, meinte Grikor.

»Nein, das hat mit dem Alter nichts zu tun. Er ist doch sonst noch sehr rüstig. Es muß einen anderen Grund haben. . . « Kamo war recht besorgt, denn er hatte seinen Großvater sehr lieb. Grikor bemerkte, daß Tränen in den Augen des Freundes standen. Das war etwas ganz Ungewöhnliches. »Wollen wir ihn anrufen?«

»Nein, lieber nicht. Komm, wir gehen wieder.«

Und die Jungen entfernten sich ebenso leise, wie sie gekommen waren.

Als Großvater Assatur einige Tage später Armjon kommen sah, winkte er ihn zu sich heran und flüsterte ihm geheimnisvoll ins Ohr:

»Armjon, was tätest du, wenn du Gold gefunden hättest?« »Gold? Wenn ich Gold gefunden hätte, würde ich es dem geben, dem es gehört«, antwortete Armjon ohne zu zögern. »Hrn. .. aber wem gehört es denn?« fragte der Großvater. »Dem Staat, Großväterchen, dem Volk.«

Der alte Mann schien erstaunt. »Die Menschen bringen sich des Goldes wegen gegenseitig um, und du sagst, es gehört dem Volk. «

»Bei uns in der Sowjetunion bringt man sich des Goldes wegen nicht um«, widersprach Armjon. »Das war früher so, zu deiner, zu der alten Zeit, jetzt gibt es so was nicht mehr. Höchstens in Amerika werden wegen Dollars noch Menschen umgebracht. «

»Wenn du Gold findest, dann gehört es dir«, entrüstete sich der Alte und war bemüht, die mahnende Stimme in seinem Inneren zu unterdrücken. »Weshalb soll man es einem anderen geben?«

»Was tut das, ob ich Gold finde oder ein anderer, es bleibt doch Eigentum des Staates. Und der einzelne hat kein Recht, es zu behalten. Du redest doch sonst immer von der Gerechtigkeit und der Ehre, ein Sowjetmensch zu sein; und jetzt sprichst du so? Ich kann dich nicht verstehen. Was soll deine Fragerei überhaupt bedeuten?«

Um seine Erregung zu verbergen, schrie der Großvater, der sehr verlegen geworden war, Armjon an:

»Schwatz keinen Unsinn, du Grünschnabel. Willst du etwa dem Jäger Assatur Anstand und Ehrlichkeit beibringen?« ... Und wütend ging er nach Hause.

Sein erster Weg war in den Stall. Er schloß die Tür hinter sich ab, riegelte von innen zu und grub den Sack aus. Lange saß er so - in tiefes Nachdenken versunken - da, und starrte mit leeren Augen den Schatz an...

Ja, der Junge hat recht - die Ehre geht über alles! Ich habe nie etwas Unrechtes getan und werde es auch jetzt nicht tun. Kurz entschlossen warf er den Sack über die Schulter und wollte damit zur Kolchosverwaltung gehen, doch die Beine versagten ihm den Dienst.

Er setzte den Sack ab, band ihn auf und machte sich daran, die Kostbarkeiten noch einmal zu betrachten. Wenn er früher als junger Jäger in den Bergen herumstreifte, hatte er immer davon geträumt, Gott müsse sich seiner Armut erbarmen und ihn einen Topf voll Gold finden lassen. Mehr als fünfzig Jahre hatte er diesen Traum in seinem Herzen gehegt. Wie oft war er während der Jagd auf der Suche nach Schätzen in die Berg-höhlen gekrochen; aber immer mußte er enttäuscht und mit leeren Händen nach Hause zurückkehren.

Oft hatte er sich die Berichte der Alten, die von vergrabenen Schätzen erzählten, mit angehört und hatte auch des Nachts davon geträumt. Dabei hatte ihm im Traum meist jemand zugeraunt: ,Da drüben, wo das alte Dorf gestanden hat, liegt unter einem Hügel ein Schatz vergraben. Grabe ihn aus, er soll dir gehören.' Doch der tief eingewurzelte Aberglaube, die Angst vor der Rache der Geister hatte ihn abgehalten. ,Wer einen Schatz ausgräbt', hieß es, ,verschuldet den Tod seiner Angehörigen.' Zuweilen aber hatte die Gier nach Gold doch die Oberhand gewonnen, und in mondhellen Nächten hatte sich der Jäger Assatur häufig aufgemacht und hatte allem Aberglauben zum Trotz nach Schätzen gegraben. Doch seine Träume hatten ihn genarrt — Gold hatte er niemals gefunden. Enttäuscht hatte er es aufgegeben und sich dann meist darangemacht, die Fang-eisen für die Füchse aufzustellen.

Der alte Mann dachte an seine Jugend zurück. Was für herrliche Träume hatte er gerade in der Zeit gehabt, als er Nargis heiratete. Im Herbst, wenn der erste Schnee gefallen war, hatte er oft zu seiner Frau gesagt:

,Glaube mir, Frau, jetzt werden wir es bald gut haben!' ,Ach, du Prahlhans', hatte sie erwidert, ,ich möchte den sehen, der durch die Jagd reich geworden ist!'