Bagrat, dem die Dürre schwere Sorgen machte, zog ärgerlich die Stirn kraus, und seine Antwort klang nicht gerade liebenswürdig.
»Schaffen Sie uns Wasser her, ob es von einem Zaren oder vom Teufel stammt, ist uns gleich. Sagen Sie uns, wo es Wasser gibt und wie es unseren Feldern zugute kommen kann. Das ist es, was wir brauchen. Ihr Gelehrten müßt es wissen. Wenn die Wissenschaft dem Kolchos in solcher Not nicht helfen kann, wer soll uns dann helfen?«
Der Professor schien ein wenig beleidigt, doch er erwiderte nichts.
»Nun, wir wollen sehen, was sich machen läßt«, wandte er sich an Aram Michailowitsch.
Die Expedition setzte sich in Marsch. Großvater Assatur er-öffnete den Zug. Tschambar hielt sich dicht an seinen Fersen. Professor Sewjan, seine Mitarbeiter, der Kolchosvorsitzende und der Lehrer folgten. Den Abschluß bildeten die jungen Naturforscher.
Als der alte Professor den Stein erblickte, lag ein ernster, besorgter Ausdruck auf seinem klugen, gütigen Gesicht. Er kniete nieder und prüfte die Inschrift so andächtig, daß alle unwillkürlich verstummten.
Lautlos bewegte der Professor die Lippen. Man sah ihm an, daß er angestrengt an einer schwierigen Aufgabe arbeitete. Endlich hob der alte Mann den Kopf. Er lächelte befriedigt.
»Ich habe die Inschrift entziffert«, sagte er, »und werde sie Ihnen vorlesen.« Zuerst las er die Worte in der urartischen Sprache und übersetzte sie dann in das Armenisch der Gegenwart:
»Ich, Sardur, Zar des Landes Nairi (das ist die frühere Bezeichnung für Armenien), habe diesen Kanal geschaffen. Fluch demjenigen, der ihn zerstört. ..«
Die Umstehenden schwiegen.
Nach geraumer Weile flüsterte Asmik:
»Das war sicher ein sehr grausamer Mann!«
»Ja, die Zaren behandelten das einfache Volk grausam«, sagte der Professor. »Ihr alle habt von der Ararat-Ebene gehört. Blühende Gärten und üppige Felder bedecken sie heute, so weit das Auge reicht. In alten Zeiten aber war dort eine Wüste, in der es kein Wasser gab. Es wuchsen nur Disteln. Wasser bedeutet Leben. Die Sonne des Südens versengt alles erbarmungslos. Ist Wasser vorhanden, dann füllen sich die Früchte in der Sonnenglut mit süßen Säften. Überall und zu allen Zeiten ist das Wasser der Quell des Lebens, der Quell allen Glücks. In früheren Zeiten haben die Reichen dem Volke das Wasser mißgönnt. Vor etwa tausend Jahren hat zum Beispiel eine Fürstin im Sjunikiki-Gebiet einen Kanal angelegt, der das Wasser aus dem Fluß Basar-Tschai nach Daralagös leitete und die Felder bewässerte. Sie hat den Bauern unter Androhung der Todesstrafe verboten, Wasser aus dem Kanal zu entnehmen. Das alleinige Recht zur Benutzung des Kanals wurde einem Kloster zugesprochen. Die ,Heiligen Väter' stellten an dem Kanal einen Stein mit der Inschrift auf, daß jeder Bauer, der Wasser daraus nähme. Tod und Verdammnis zu erwarten habe. Im Jahre 1866 wandten sich die Armenier an die zaristische Regierung mit der Bitte, ihnen die Wiederherstellung des Etschmiadsinski-Kanals zu gestatten. Die Erlaubnis dazu wurde erst im Jahre 1913 erteilt, also ein halbes Jahr-hundert später... In der Nähe des Dorfes Karbi gibt es am Fuße der Berge ergiebige Quellen. Die Bewohner von Karbi und den benachbarten Dörfern haben die zaristischen Behörden vierzig Jahre hindurch, Jahr für Jahr, um die Erlaubnis gebeten, das Quellwasser ihren Gärten zuführen zu dürfen. Die Erlaubnis ist nie erteilt worden. Erst unter der Sowjetmacht wurde die Nutzbarmachung des Wassers für die Bauern in vierundvierzig Tagen verwirklicht. Das Quellwasser wurde durch entsprechende Anlagen gehoben und dann durch die Kanäle in die Ebene zu den Gärten geleitet... Nun möchten Sie wissen, ob es hier einen Kanal gegeben hat? Daran ist nicht zu zweifeln. Von wo aus der Kanal gespeist wurde und wie es zu seinem Versiegen kam, wissen wir nicht. Wenn wir der Inschrift glauben wollen, die Sie in einem Krug gefunden haben, so ist die Quelle nach einem Erdbeben versiegt. Das ist ein Rätsel, das nur die Geologen lösen können. Sie allein sind auch imstande, Ihnen zu Wasser zu verhelfen. Wir werden also Geologen nach hier entsenden, und zwar sofort.«
Dann bat der Gelehrte noch, den Drachen und die Steinplatte mit der Inschrift auszugraben und nach Jerewan bringen zu lassen. - Sodann kehrte die Abordnung zu dem Flugzeug zu-rück, das sie nach Jerewan brachte.
Nur Großvater Assatur schien mit dem Ergebnis nicht zufrieden zu sein:
»Werden unsere Felder jetzt bald Wasser bekommen?« fragte er den Vorsitzenden. »Ich kenne mich in der Wissenschaft nicht aus. Da wird ein alter Tonkrug gefunden, und alle freuen sich. Es wird in der Zeitung darüber geschrieben. Aber werden wir dadurch Wasser erhalten?«
Bagrat blickte finster drein. Er wußte zwar, daß Großvater Assatur nich recht hatte, doch auch ihn bedrückte es, daß nochmals Zeit verstreichen mußte.
Bereits am nächsten Tage gab Bagrat ein Telegramm nach Jerewan auf und bat um schleunigste Entsendung von Spezialisten. Die Antwort ließ nicht auf sich warten.
»Das Ministerium für Wasserbewirtschaftung hat beschlossen, dem Dorfe Litschk Soforthilfe zu bringen«, lautete die Antwort aus der Hauptstadt.
Indessen durchstreiften die jungen Naturforscher das Gebiet der Schwarzen Felsen und überlegten ständig, wie man wohl die versiegte Quelle auffinden könne...
Fünf Tage, nachdem der Professor Litschk besucht hatte, hielt vor dem Hause, in dem Aram Michailowitsch wohnte, ein Personenauto, dem zwei junge Männer entstiegen. Sie trugen derbe Arbeitsstiefel und Anzüge aus wetterfestem Stoff. Es waren die aus Jerewan entsandten Geologen.
Der eine von ihnen, ein hagerer, sehniger Mann, machte einen sehr energischen Eindruck. Er hatte erst wenige Worte mit Aram Michailowitsch gesprochen, als er auch schon mit Feuereifer an die Ausführung der übertragenen Aufgabe ging.
»Vor allem möchte ich Sie bitten«, sagte er, »mir solche Dorfbewohner zu nennen, die das Gebirge gut kennen, Jäger, Hirten und so weiter. . . «
Aram Michailowitsch führte die Gäste sogleich zu dem Großvater Assatur. Auf dem Wege zu ihm begegnete ihnen Kamo.
»Rufe deine Kameraden«, sagte der Lehrer, »und komm mit ihnen zum Großvater.«
Kamo eilte davon. Aram Michailowitsch wandte sich an den jungen Geologen:
»Aschot Stepanowitsch, ich fürchte, Sie werden meinen Schülern eine Enttäuschung bereiten.«
»Inwiefern?« wunderte sich der Geologe. »Ist es denn an-gängig, daß bei geologischen Forschungen die Hilfe von Kindern in Frage kommt?«
»Diese Kinder haben sich seit langem mit der Lösung schwieriger Probleme befaßt. Sie sind sehr aufgeweckt und sind sich der Bedeutung ihrer Aufgabe voll und ganz bewußt... Geben Sie der bisherigen Arbeit der Kinder eine Richtung, aber tun Sie es unauffällig. Der Kolchosvorsitzende und ich, wir wenden diese Taktik schon lange mit gutem Erfolg an.«
»Ich habe Sie verstanden«, sagte der junge Mann. »Ich will es gern auf die gleiche Weise versuchen.«
Indessen waren sie bei dem Hause des Großvaters angelangt. Fast gleichzeitig mit ihnen trafen auch die Kinder bei dem Jäger ein.
Der Alte geriet durch den Besuch eines Fremden in große Verwirrung: Sollte man etwas von seinem Schatz erfahren haben? Als er aber den Zweck seines Kommens erfuhr, gewann er schnell Vertrauen zu dem jungen Geologen.
»Mein verstorbener Gevatter Mukel — Friede seiner Asche — hat oft gesagt, die Alten hätten sich erzählt, daß es früher hier viel Wasser gegeben hat. . . Aber wann und wo das gewesen ist, das weiß niemand. Nur eine Legende hat sich erhalten, darin heißt es, die Menschen haben Wasser gehabt, aber ein böser Drache ist gekommen und hat ihnen das Wasser weggenommen. . .«