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Daher bezwang er sich und sagte:

»Es ist gut, Onkel Bagrat, ich bin bereit. Nur möchte ich noch um die Erlaubnis bitten, die Sachen statt in Jerewan in Tbilissi kaufen zu dürfen.«

»In Tbilissi?« wunderte sich Bagrat. »Warum in Tbilissi? Gibt es denn in Jerewan keine Radioapparate?«

»Natürlich gibt es welche, Onkel Bagrat. Aber bis Tbilissi ist es nicht weiter als bis Jerewan, und in Tbilissi habe ich einen Onkel. Er wird mir bei meinen Einkäufen behilflich sein.«

»Also schön, dein Onkel kann dir helfen. Gut, fahre nach Tbilissi. Morgen kannst du das Geld und die Ausweise abholen und losfahren«, sagte der Vorsitzende und gab Seto einen Zettel mit der Anweisung.

Kaum hatte Seto die Tür hinter sich geschlossen, als er aus dem Zimmer die Stimme Artjoms hörte:

»Willst du den Wolf zum Hirten machen?«

Einen Augenblick blieb Seto wie angewurzelt stehen. Das Blut schoß ihm in den Kopf. Doch er bezwang sich. Er dachte an die Gänse, die er gestohlen hatte, dachte an seine übrigen Missetaten — und schluckte die Kränkung herunter. Er würde beweisen, daß man ihm getrost Geld anvertrauen konnte, und sogar große Summen...

Natürlich hatten ihn Artjoms Worte verletzt. Sie fielen ihm immer wieder ein. Wenn er jedoch umgekehrt wäre, hätte er hören können, was der Vorsitzende von ihm sagte:

»Wie kannst du Seto mit einem Wolf vergleichen? Wie kann jemand ein Wolf sein, der im Kolchos geboren und aufgewachsen, der bei uns zur Schule gegangen ist? Überleg dir mal, wer sein Vater war? Der Fischer Chetscho — der ertrunken ist, als er Fische für den Kolchos fangen wollte. .. Ich gebe zu, die Mutter hat keinen guten Charakter, sie hat an dem Jungen manches verdorben. Aber was haben wir beide zu seiner Erziehung beigetragen? Meinst du, wir haben keine Schuld, daß aus ihm beinahe ein Taugenichts und Faulenzer geworden wäre? ... Ich habe auch mit dem Lehrer gesprochen. Er findet es richtig, daß wir ihm diesen Vertrauensbeweis geben.«

Zu Hause fiel Seto seiner Mutter um den Hals:

»Mütterchen, die Kolchosverwaltung schickt mich nach Tbilissi und gibt mir viel Geld mit ... «

»Nach Tbilissi? Warum denn das? Was sollst du da?«

»Ich soll für Kamo, Armjon, Asmik, Grikor und den Großvater Assatur Geschenke einkaufen.«

Zuerst ärgerte sich Sona:

»Der Teufel soll sie alle holen«, fluchte sie, »ich muß mich von früh bis spät abrackern, und das Pack bekommt Geschenke.«

Aber sie beruhigte sich bald und hielt es schließlich für ganz nützlich, daß ihr Sohn nach Tbilissi fahren sollte.

»Na schön, fahre, du wirst den Onkel besuchen — er wird dich nicht mit leeren Händen zurückkommen lassen«, meinte sie.

Sonas Bruder Arat, der vor der Revolution in großer Armut gelebt hatte, war nach Tbilissi gezogen und hatte dort als Arbeiter in der Holzindustrie Beschäftigung gefunden. Jetzt, unter der Sowjet-Regierung, ging es ihm gut.

»Vielleicht wird er für seine Schwester ein Paar Schuhe und ein Kleid kaufen, wenn er schon sonst nichts für uns tut... Seine Frau ist zwar eine böse Sieben! Sie hat eine spitze Zunge, wie eine Natter... Und sie ist auch schuld, daß der Onkel sich nicht um uns kümmert. Die Krätze wünsche ich ihr an den Hals . . . «

Seto wußte darauf nichts zu erwidern, aber seine Freude war nicht mehr so groß wie zuvor. Das hatte Sona mit ihren gehässigen Bemerkungen zuwege gebracht.

Setos Geheimnis

Eines Tages entdeckte Armjon durch einen Zufall das Geheimnis, weshalb Seto ein ,Faulpelz' war und was ihn so oft vom Schulunterricht abgelenkt hatte. Armjon war zu Seto gegangen, um ihn nach einem Buch zu fragen.

In Setos Zimmer lagen die Fensterbretter, die Tische, die Schemel, die Regale, die Schränke, jedes Fleckchen voller Steine. Steine lagen haufenweise auf dem Fußboden, waren an den Wänden aufgestapelt, häuften sich in den Ecken: Steine in jeder Größe, in allen Farben und Formen...

Armjon war in dem Augenblick zu Seto gekommen, als Sona gerade die übliche Flut der Verwünschungen über den verlorenen Sohn' ergoß. Es wurde ihm recht unbehaglich, als er sie schimpfen hörte.

»Der Kuckuck soll dich holen mitsamt deinen Steinen. — Was willst du mit dem Zeug?« Sie wandte sich an den eben eingetretenen Armjon und fuhr fort: »Andere Leute gehen aufs Feld, arbeiten, verdienen, der Bengel aber denkt immer nur an seine Steine... Nicht genug Schuhzeug und Kleider kann ich heranschaffen... Immer klettert er in den Bergen rum. Und was bringt er mit? Nichts als Steine. Hol sie der Henker alle-samt! Keinen Schritt kann man mehr machen, so voll liegt das ganze Haus. . . «

Auf dem Höhepunkt ihres Zornes angelangt, fing Sona damit an, die Steine einfach zum Fenster hinauszuwerfen.

Seto hielt ihren Arm fest und sagte, indem er sie auf die Polsterbank drückte, ruhig, aber bestimmt:

»Warum schimpfst du? Jetzt arbeite ich doch. Warum ärgerst du dich?«

»Arbeiten tut er jetzt, das ist wahr«, gab die Mutter etwas milder gestimmt zu, »aber mit seinen Gedanken ist er doch immer bei den Steinen. . . Eine wahre Strafe ist das mit ihm... Seinem Bruder hat er auch schon den Kopf verdreht ... denkt aber nicht an die tausend Nöte, die wir haben!«

So klagte Mutter Sona noch lange und laut über ihr ,bitteres Los' und über den ,Taugenichts von Sohn'. Schließlich wischte sie sich mit dem Schürzenzipfel die Tränen ab und ging hinaus.

Die im Zimmer haufenweise umherliegenden Steine und das Gezeter der Mutter Setos hätten auf Armjon unter anderen Umständen wohl einen trostlosen Eindruck gemacht. Jetzt freute er sich und dachte: Und wir haben Seto für einen unverbesserlichen Faulpelz gehalten! Dabei hat er sich mit solchen ernsten Dingen abgegeben.

Armjon wurde auf einmal alles klar. Bis dahin hatte niemand Seto verstanden; niemand hatte etwas von seinen Neigungen gewußt und hatte ihm daher auch nicht helfen können, seine Begabung in die richtigen Bahnen zu leiten. Setos frühere Streiche gewannen in Armjons Augen ein anderes Aussehen. Auch seine Unaufmerksamkeit beim Unterricht war ihm jetzt verständlich, und das Schuleschwänzen konnte er sich nun auch erklären. Seto streifte in den Bergen umher, um Steine zu suchen, darüber hatte er die Schule vergessen...

Armjon nahm einen schweren, unförmigen Stein in die Hand. Er war mit kleinen Pünktchen besetzt, die wie Glühwürmchen leuchteten.

»Ist das etwa Gold?« fragte Armjon.

»Nein, das ist Kupfererz... Den hab' ich an den Schwarzen Felsen gefunden.«

»Und der da, der so glänzt?«

»Das ist schwarzer Schiefer. Aus dem wird man später Flaschen für das Narsanwasser[10] machen. Ich habe den Stein nämlich ganz in der Nähe der Narsanquellen gefunden.«

»Und dieser rostige, bröcklige Stein? — Ist das nicht versteinerte Erde?«

»Nein, das ist keine Erde«, sagte Seto, »das ist Eisen.« »Es sieht aber doch gar nicht aus wie Eisen.«

»Das braucht es auch nicht. Aschot Stepanowitsch sagt, daß die rohen Erze gar keine Ähnlichkeit mit den Dingen haben, die daraus gemacht werden... Guck-mal hier den Klumpen Lehm an. Siehst du den glänzenden Streifen darauf? Als ob eine Raupe darübergekrochen wäre und ihre Spur hinterlassen hätte. Aus diesem Lehm wird Aluminium gemacht ... Und sieh mal, wie dunkel und stumpf dieser Stein aussieht. In Wirklichkeit ist es schneeweißer Marmor. So dunkel geworden ist er vom Regen und vom Frost, von der Sonne und von der Hitze...«

Seto war ganz in seinem Element. Seine schwarzen Augen blitzten. Er ereiferte sich immer mehr und zeigte Armjon voller Stolz seine kostbaren Funde.

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10

Narsanwasser = kaukasisches Mineralwasser.