Die Jungen mußten lachen. Nur Armjon meinte ernsthaft:
»Kluge Menschen können das alles ändern. Sie brauchen die wilden Vögel nur ein paar Jahre gefangenzuhalten und sie mit unserm zahmen Federvieh zu kreuzen, so daß es halb zahme, halb wilde Vögel gibt. Die nehmen dann ganz neue Gewohnheiten an.«
Kamo dachte bereits an etwas anderes.
Er galt bei seinen Freunden für sehr erfinderisch. In seinem unruhigen Geist entstanden immer neue kühne Ideen. Auch jetzt war ihm ein guter Einfall gekommen.
»Wißt ihr was, wir wollen wilde Vögel aufziehen, in einer Farm, oder wie das heißt. Wäre das nicht fein?«
»Großartig! Aber wie machen wir das?«
»Ganz einfach: Wir sammeln die Eier im Schilf und lassen sie ausbrüten.«
»Du bist ein Teufelskerl, Kamo!« schrie Armjon. Auch Asmik war sofort begeistert dabei.
»Schöne bunte Vögel werden wir aufziehen«, jubelte sie. »Wo sind denn die Eier, die du gesammelt hast?« fragte Grikor.
»Drüben im Schilf. «
Kamo sprang sofort ins Boot, ruderte zur Insel hinüber und kam bald mit einem Korb voll Eier zurück.
»Schau her, Großväterchen, wieviel Eier Asmik gesammelt hat! Und was für hübsche Dinger!«
Asmik strahlte. Tschambar wedelte mit dem Schweif und sah ebenfalls neugierig in den Korb.
»O-ho-ho, was für ein Ei!« rief Grikor und prüfte mit den Zähnen ein hartes Gänseei.
Großvater Assatur sah die Eier aufmerksam durch.
»Das hier sind Möweneier. Aus ihnen werden hübsche weiße Vögel ausschlüpfen«, sagte er und zeigte dabei auf rotbraun gesprenkelte Eier, die etwa so groß wie Hühnereier waren. »Aber die Möwen fressen viele Fische. Jede Möwe frißt im Jahr zwei bis drei Pud[1] junge Fischchen auf, aus denen mindestens hundert Pud große Fische geworden wären!«
»Und was sind das für Eier, Großväterchen?« fragte Kamo und zeigte auf grünliche, wie mit Sand bestreute Eier.
»Aus ihnen schlüpfen die grauen Reiherküken aus. Diese Eier muß man aussortieren und ebenso wie die Möweneier beim Fischtrust abliefern. Man bekommt dafür eine ansehnliche Prämie.«
»Was ist denn das für ein Ei?« fragte Armjon erstaunt und deutete auf ein plattes, längliches rotbraunes Ei. »Wie mit geronnenem Blut beschmiert sieht es aus und hat lauter kleine dunkle Pünktchen auf der Schale.«
»Auch die kann man nicht essen. Es sind die Eier vom Steißfuß; das Fleisch dieser Vögel riecht und schmeckt nach Fisch, und die Eier auch. Legt sie beiseite«, sagte der Großvater.
Nachdem alle als unbrauchbar bezeichneten Eier herausgesucht waren, lagen im Korb noch die spitzen, grauweißen Eier, der wohlschmeckenden Stockente, auch Eier von Krickenten, Spießenten und von mancher anderen Entenart.
Der Großvater wußte nicht nur, wie die Eier der verschiedenen Vögel aussahen, er wußte noch manches andere und erzählte in seiner scherzenden, ein wenig prahlerischen Art den Kindern davon:
»Warum sind wohl fast alle diese Eier gelblichgrün, ungefähr so wie das Schilf, in dem ihr sie gefunden habt? Was meint ihr wohl? Unser zahmes Federvieh legt doch nur weiße Eier. Wie kommt das? Na, heraus mit der Sprache, ihr gelehrten Schüler!«
Asmik warf Armjon einen verstohlenen Blick zu und antwortete zögernd:
»Das Federvieh im Stall braucht seine Eier nicht zu verstecken. In der Freiheit ist das anders. Da müssen die Eier ebenso aussehen wie die Blätter und die Erde ringsherum, damit die Eierdiebe sie nicht sehen können.«
»Bravo, Töchterchen! « rief der Alte erfreut und strich Asmik über das Haar, »und Eierdiebe gibt es auch unter den Tieren.«
»Die großen Eier hier stammen wohl von der Rotente - sie ist doch so groß«, meinte Grikor und bereute diese vorschnelle Behauptung sogleich.
»Wenn mir die Schüler in der Stadt so was sagen«, rief der Großvater, »dann wäre es nicht weiter schlimm, aber ihr seid ja soviel draußen in der Natur - ihr müßtet wissen, daß die Rotente nicht in Sümpfen nistet!«
»Wo denn sonst?« fragte Kamo. »Alle Enten bauen doch ihre Nester im Schilf oder im Sumpf.«
»Das stimmt, du Schlaumeier, alle, nur nicht die Rotente.«
»Wie komisch. Wo nistet sie denn? «
»Na, zum Beispiel da drüben: auf den Felsen des Dali-Dagh.«
»Auf den Felsen? Eine Ente - auf Felsen? So weit vom Wasser weg?« wunderte sich Armjon.
Die anderen waren nicht weniger erstaunt.
»Warum nistet sie nicht am Wasser? Das wäre doch viel bequemer: dann können die Küken, wenn sie ausgebrütet sind, gleich ins Wasser, und zu fressen hätten sie auch«, meinte Kamo.
»Wie soll ich wissen, warum das so ist?« antwortete der Großvater. Er war offensichtlich bestrebt, seine Kenntnisse vor den Kindern ins richtige Licht zu setzen. »Bücher lese ich nicht - woher soll ich ungelehrter alter Mann die Weisheit schöpfen?«
»Auch ganz kluge Leute, die viel gelernt haben, wissen so was nicht«, rief Kamo, bemüht, der Eigenliebe des Großvaters ein wenig zu schmeicheln.
»Nein? Davon verstehen sie wohl nichts«, sagte der Alte überzeugt und selbstzufrieden. »Nach so etwas müßt ihr die Jäger fragen. Ist ja auch leicht zu verstehen. Wenn man sechzig Jahre lang durch Felder und Wälder streift und die Berge besteigt, dann ist das keine Kleinigkeit... Ihr alle habt solche Enten gesehen und wißt, daß sie vom Kopf bis zu den Füßen rot sind und außerdem viel scheuer als alle anderen Arten.«
»Ja«, sagte Kamo, »und mir ist aufgefallen, daß sich die Rotenten auf dem Sewan-See dem Ufer immer sehr fern halten.«
»Bravo, Kamo! Und was meinst du wohl, warum sie das tun? Ich will es dir sagen: weil Füchse, Wildkatzen oder Ottern sie sofort entdecken würden! Und nun frage ich euch: Kann die Rotente, die mehr als zwanzig Tage auf ihren Eiern sitzt, sie im Schilf ausbrüten?«
»Nein«, rief Asmik, »ihre Feinde würden sie gleich entdecken und auffressen.«
»Sehr gut, Asmik«, lobte der Großvater. »Wenn die Rotente ihre Eier nicht zwischen Felsspalten legte, gäbe es schon längst keine Rotenten mehr auf der Welt... Und wenn ihr für eure geplante Zucht Eier von Rotenten haben wollt, müßt ihr also auf die Felsen des Dali-Dagh klettern«, fügte er hinzu.
»Na, wie ist es, wollen wir so eine Farm gründen?« fragte Kamo ungeduldig.
»Ich gebe alle Eier her, die ich gesammelt habe«, rief Asmik begeistert.
»Das ist fein. Aber die reichen nicht. Wenn schon, dann soll es eine richtige große Geflügelfarm sein, und mindestens ein paar Hundert Vögel müssen wir haben.«
»Da werden ja die Hühner lachen! Hat man je was von einer Farm mit wilden Vögeln gehört?« spottete Grikor.
»Was nicht ist, kann noch werden«, erklärte Kamo entschlossen. »Wir werden so schöne Vögel züchten, daß alle Welt staunen wird, nicht wahr, Großväterchen?« Kamo wurde unterbrochen, denn in diesem Augenblick erscholl wieder das unheimliche Drachengebrüll.
Deutlich klangen die langgezogenen, dumpfen Laute vom See her.
Den Kindern lief es kalt über den Rücken. Sie waren ernst geworden und schauten nachdenklich drein.
»Wir müssen rauskriegen, was das für ein Gebrüll ist«, sagte Kamo mißmutig. Entschlossen wandte er sich dann den Kameraden zu und sagte: »Wir müssen das Geheimnis aufdecken, um jeden Preis. Meint ihr nicht auch?« Und als die Freunde lebhaft zustimmten, schlug Kamo vor: »Wir wollen zu der Stelle rudern, wo die Laute herkommen. Vorwärts, los! «
Wenn Kamo sich etwas vorgenommen hatte, war er nicht zu halten. Dem Alten gefiel der Mut seines Enkels. Nicht umsonst fließt mein Blut in seinen Adern, dachte er und blickte den Jungen zärtlich an. Doch die abergläubische Furcht, die er von seinen Vorfahren geerbt hatte, hemmte ihn noch. So sagte er warnend zu den Kindern: