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Der leichte Wind brachte das Schilf in Bewegung. Kleine Wellen schlugen mit sanftem Plätschern an das Ufer; Enten-schwärme kehrten von den Feldern heim und ließen sich mit leisem Aufklatschen auf das Wasser fallen.

Am Himmel tauchte der Mond auf; er spiegelte sich sanft schaukelnd im See. Ein kühler Luftzug wehte vom Wasser her und erfrischte die von der Hitze erschöpfte Erde.

Alles in der Natur versank in Schlaf. Nur die Frösche schliefen nicht; sie veranstalteten im Schilf ein immer lebhafteres Konzert. Allenfalls schlich noch ein Fischotter über das Ufer und hinterließ die Spur seiner nassen breiten Pfoten im Sande.

Die Knaben unterhielten sich bis tief in die Nacht hinein; sie sprachen von den Hoffnungen und Wünschen, die ihre jungen Herzen bewegten. Endlich aber übermannte auch sie der Schlaf.

Es war noch dunkel, als Armjon von dem schrillen Schrei eines Sumpfvogels erwachte und die Augen aufschlug. Der See lag in friedlichem Schlummer, aber auf den Spitzen der Berge zeigte sich bereits ein rötlicher Schimmer: der Morgen brach an und stieg langsam ins Tal hinab. Wie Wächter umringten die hohen Gipfel den See — gleichsam als warteten sie auf sein Erwachen.

Nun war auch Kamo wach geworden. Er sprang auf und schwenkte die Arme, um die letzte Müdigkeit zu vertreiben und sich warm zu machen, und sog mit tiefen Atemzügen die frische Morgenluft ein.

»Wollen wir jetzt gehen, Armjon?«

Auf dem Wege durch die Kolchosfelder, am Gilli-See entlang, gingen die Jungen dem Dorfe zu. Früher war hier alles sumpfig gewesen. Das Kolchos hatte die Sümpfe trockengelegt und Weizen gesät. Dieses Stückchen Erde wurde von der Dürre wenig berührt. Das frische Saatgrün strömte einen würzigen Duft aus. Die Wachteln lockten mit zarten Lauten. Alles rings-um erschien Armjon wie ein schöner Traum.

Am Eingang zum Dorf wurden die Jungen angerufen: »Halt! Wer da?«

Undeutlich zeichnete sich eine Gestalt ab.

»Wir sind es, Großväterchen - keine Fremden ... brauchst nicht zu schießen...«

»Woher kommt ihr in solcher Frühe?«

»Wir haben am Seeufer übernachtet, Großväterchen.«

»Ach, wie schön ist es, am Ufer zu schlafen!« sagte der Alte. Er stopfte seine Pfeife und fuhr gemächlich fort: »In meinen jungen Jahren hab' ich das auch oft getan. Ich lag ausgestreckt da, sah zum Himmel, zu den Sternen empor; ich horchte auf die Stimmen der Erde. Horchte und dachte dabei: Nicht wir allein leben und atmen auf dieser Welt. Auch der See atmet. Wenn er sich freut, lacht er wie ein fröhliches Mädchen, bei Regen und Sturm aber wird er wütend, tobt und wirbelt Schaum auf.. . Und die Felsen, der Wind, das Schilf?... Sie alle haben ihre Sprache. Hast du gehört, Kamo, wie das Schilf klagt und stöhnt, wenn es im Herbst bei Unwetter vom Winde zerzaust wird? - Wie herrlich ist doch die Natur, und wie klein sind wir gegen ihre Kraft. . . «

Die Knaben hörten schweigend zu: Der in die Natur verliebte Großvater schwelgte in Erinnerungen.

»Ja, alles lebt«, fuhr er nachdenklich fort. »Sogar der Dali-Dagh. Gerät er nicht alle hundert Jahre einmal außer Rand und Band? Er zerrt wie ein Hund an der Kette. Er sprüht Feuer, er speit Asche und Lava aus!... Und die Bäume, die Blätter, die Gräser, die Blumen? Man spürt direkt, wie sie sich quälen, weil sie kein Wasser haben.«

Der Greis verstummte und steckte seine Pfeife in den Mund.

Er hatte sein ganzes Leben inmitten der Natur verbracht und liebte sie. Kamo hielt des Großvaters Schwärmereien für etwas übertrieben. Er konnte den alten Mann aber doch recht gut verstehen. Kamo hatte selber schon so vieles von der Natur gelernt, daß auch er sie liebte. In der Natur wußte der Großvater Bescheid, das mußte man ihm lassen! Er brauchte abends nur einen Blick zum Himmel zu werfen und konnte mit Sicherheit sagen, ob es am nächsten Tage regnen würde oder nicht. Erkannte die Lebensgewohnheiten der in der Wildnis lebenden Tiere besser als alle anderen im Dorfe. Nach den Sternen konnte er die Zeit feststellen. Nach dem Winde prophezeite er, wie die Ernte werden würde. Und noch vieles andere hatte der Großvater von der Natur gelernt.

»Großväterchen, wo sollen wir nur Wasser für die Felder hernehmen?« fragte Kamo plötzlich. Die wehmütigen Erinnerungen des alten Mannes hatten auf ihn offenbar keinen tiefen Eindruck gemacht. Ihn beschäftigte ausschließlich der Wassermangel.

»Woher? Und wenn ich dir sage woher, wirst du es dann herbeischaffen? «

»Natürlich, Großväterchen, verlaß dich drauf.«

»Kannst du zum Beispiel einen Tunnel durch den Dali-Dagh graben, der zehn Kilometer lang sein müßte?«

»Einen Tunnel? Wozu denn das?«

»Um Wasser vom Gipfel des Dali-Dagh bis ins Dorf zu leiten.«

»Gibt es denn auf dem Gipfel des Dali-Dagh Wasser?«

»Natürlich gibt es das. Oben liegt ein schöner See. Er ist aber nicht leicht zu erreichen, denn er liegt sehr hoch. Im Juli gibt es da oben noch Schnee. Und verteufelt kalt ist es da. Nur im Sommer klettern Hirsche und Wildböcke bis zum Gipfel hinauf. «

»Hirsche und Wildböcke?« fragte Kamo und horchte auf.

»Ja, warum wunderst du dich?«

Kamo war nachdenklich geworden.

»Großväterchen, weshalb hast du davon nie etwas gesagt? Woher weißt du, daß es auf dem Gipfel des Dali-Dagh einen See gibt?« fragte Armjon. »Wir müssen gleich zum Genossen Aschot gehen und ihm von dem See erzählen.«

Die Jungen faßten den Großvater unter die Arme und führten ihn ins Dorf.

Auf einen so frühen Besuch war der Geologe nicht gefaßt. Er setzte sich verschlafen im Bett auf:

»Was ist los?« rief er.

»Wir haben Wasser gefunden, es ist aber sehr weit weg von hier - auf dem Gipfel des Dali-Dagh«, erklärte Kamo. »Großvater, sage, was du darüber weißt.«

»Was soll ich sagen, mein Junge?« erwiderte der Großvater und sah Aschot freundlich an. »Er ist sehr weit weg, dieser See. Meist liegt er sogar in den Wolken. Was es aber für Blumen da oben gibt, ist nicht zu beschreiben! Als mein Gevatter Mukel hier im Dorf Hirte war, hat er einmal seine Schafe bis auf den Gipfel des Dali-Dagh getrieben, bis zu dem See. ,Sollen sie von dem prächtigen Gras fressen, sollen sie von dem Lebenswasser trinken!' Unsere Väter haben nämlich das Wasser in diesem See ,Lebenswasser' genannt. ,Wer davon trinkt, lebt länger', sagten sie. Gevatter Mukel kam mit seinen Schafen auf dem Gipfel an. Die Schafe wollten nicht zusammenbleiben, sie liefen hierhin und dorthin und verteilten sich über die ganze Wiese. Da ärgerte sich Mukel. Er warf mit seinem Knüppel nach ihnen. Das war aber kein gewöhnlicher Knüppel; er hatte ihn aus dem Holz der Kornelkirsche geschnitzt. An dem einen Ende hatte er eine Spitze aus Eisen. Doch der Knüppel traf nicht, sondern fiel in den See. Gevatter Mukel war sehr traurig. Er vermißte seinen Knüppel sehr. Da kommt nach ein paar Tagen sein Nachbar Okap zu ihm und bringt ihm den Knüppel. ,Wo hast du den her?' fragte Mukel verwundert. Und was meint ihr, hat Okap geantwortet? Aus dem Gilli-See hatte er ihn gefischt.«

Der Geologe war, während der Großvater erzählte, sehr nachdenklich geworden.

»Das ist ein Märchen« , sagte er, »eine so lange Strecke konnte der Knüppel unter der Erde nicht zurücklegen. Er wäre bestimmt irgendwo hängengeblieben. Aber etwas steckt dahinter, das müssen wir rauskriegen. Was meint ihr, wollen wir alle zusammen auf den Berg steigen? Es wird ja schon hell. Vielleicht gelingt es uns, das Geheimnis deines steinernen Drachen doch noch zu ergründen«, sagte Aschot und begann sich rasch anzukleiden.

»Ach«, sagte der Großvater, »wie oft hat uns die Dürre in den vergangenen Jahren geplagt, wie oft ist die Ernte auf den Feldern verdorrt, und die Menschen sind verhungert, oder sie sind in andere Gegenden gezogen. Immer haben wir vergeblich nach einem Ausweg gesucht!«

»Nun, Großvater«, tröstete Aschot, »diesmal werden wir vielleicht doch etwas finden.«