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»Du hattest doch aber mal einen Schafbock geschossen, und der hatte auch ein weißes Hinterteil? Weshalb denn das?« fragte Kamo.

Wenn er geglaubt hatte, den Großvater durch diese Frage in Verlegenheit zu bringen, hatte er sich geirrt.

»Was meinst du wohl, warum?« antwortete der alte Jäger und schmunzelte.

Kamo wußte es nicht.

»Das war der Leitbock«, sagte der Großvater. »Er führt die Tiere über Pfade, die nur er genau kennt. Wenn sie zum Beispiel vor dem Wolf flüchten müssen. Die ganze Herde folgt ihm nach, auch wenn es dunkel ist. Warum ist denn an den Lastautos hinten manchmal ein weißer Kreis angebracht? Doch nur, damit die Wagen in der Nacht nicht einer auf den andern auffahren... So ist es auch bei den Wildschafen.« Der Großvater sah siegesbewußt von einem zum anderen und fuhr fort:

»Die Wildschafe haben die Gewohnheit, beim Laufen eine Kette zu bilden. Das weiße Hinterteil vom Leitbock ist dazu da, damit sie sich in der Nacht nicht verlieren. Wenn sie so in einer Kette hintereinander herlaufen, lassen sie den weißen Fleck nicht aus den Augen. Wenn er nicht da wäre, würde das Lämmchen die Mutter und die Herde den Leitbock verlieren, und der Wolf würde sich viel Schafe holen, und viele würden von den Felsen abstürzen. . .«

Grikor, der dem Großvater gut zugehört hatte, lachte verschmitzt, zwinkerte den Freunden zu und ahmte den Großvater nach:

»Was meint ihr denn? Los, raus mit der Sprache.«

Aber der Alte hatte es nicht gemerkt.

»Ja, so ist es, Kinder«, sagte er. »Man muß die Natur nur kennen. Sie hat alles klug eingerichtet.«

Doch Armjon widersprach:

»Das hat nicht die Natur eingerichtet, das haben sich die Tiere im Kampf ums Dasein erworben, im Laufe einer langen Zeit! «

Es ärgerte Armjon, daß er nicht imstande war, Dinge, die er in Darwins Büchern gelesen hatte, so zu erklären, daß alle ihn verstanden.

»Nicht die Natur?« brauste der Großvater auf. »Wer sagt das?«

»Darwin hat das gesagt.«

»Wie kann denn euer Darwin das wissen? Seit über sechzig Jahren laure ich wie ein Wolf den Wildschafen auf und weiß noch immer nicht alles über ihr Leben und ihre Gewohnheiten. Und nun soll dein Darwin mehr davon wissen als ich?« Der alte Jäger war nun wirklich aufgebracht.

Die Kinder lachten gutmütig. Sie nahmen die Entrüstung des alten Mannes nicht sehr ernst.

»Solltest lieber einen Bock für uns schießen, Großväterchen«, meinte Grikor. »Wie gut würde uns jetzt ein Braten schmecken. . . «

»Das ist leicht gesagt, Junge! Siehst du denn nicht, daß sie einen Wächter aufgestellt haben? Versuch nur mal, an sie heranzukommen — wie der Wind wären sie auf und davon. Eh' du daran denkst, sind sie schon auf der andern Bergseite. Einen Wildbock abzuschießen ist nicht leicht, und nicht jeder Jäger kann es.«

Der Alte setzte sich und griff nach seinem Tabaksbeutel.

»Ja, wenn ich noch jung wäre«, fuhr er mit zitternder Stimme fort. »Doch das ist lange her. Wie viele Male hab' ich mich da drüben hinter den Felsen versteckt und hab' die Wildschafe beobachtet... Aber bildet euch nur nicht ein, daß ich auf sie geschossen habe, wenn sie an der Tränke waren...«

»Wie konntest du sie aber schießen?« wollte Grikor wissen.

»Ganz einfach! Ich habe mich bemerkbar gemacht. Wenn sie dann davonstoben, habe ich geschossen und meist auch getroffen, denn meiner Kugel zu entgehen ist nicht leicht«, brüstete sich der Alte.

Der Geologe Aschot Stepanowitsch, der sich inzwischen die Umgebung angesehen hatte, kam jetzt zurück und erklärte: »Dieser See ist sicher der Krater eines Vulkans. Seht ihn euch an. Sieht er nicht aus wie ein Trichter? Nachdem der Vulkan erloschen war, versteinerte die Lava in dem Krater und bildete eine Schale. Als dann im Frühling die Schneemassen in den Bergen schmolzen, füllte sich diese Schale mit Schmelzwasser. Und das geschah Jahr für Jahr wieder. So ist dieser See entstanden, dessen Schönheit wohl die wenigsten Maler und Dichter wiedergeben könnten. Deine Vermutung trifft übrigens zu, Armjon.«

»Woher wissen Sie, was ich vorhabe?«

»Schon als du das Petroleum anschlepptest, wußten wir, worauf du hinauswolltest. Dein Plan ist gut. Wir haben aus der Form und der Beschaffenheit dieses Bergsees schon unsere Schlüsse gezogen. Es wird wohl so sein, wie du annimmst.«

Asmik, die vor Neugierde bald platzte, rief schmollend:

»Was sind das für Geheimnisse?«

Die Jungen schwiegen und blickten ihren stillen, gelehrten Freund nur fragend an.

Kamo schlug vor:

»Kommt mal mit auf die Höhe — wir wollen sehen, was auf der anderen Bergseite los ist.«

Sie ließen ihre Säcke am Ufer zurück und erklommen eine der kegelförmigen Bergkuppen, die den See einschlossen.

Obwohl es schon Anfang Juli war, bedeckte junges, zartes Grün den Boden. Der Frühling, der aus dem Tal die Schluchten emporgestiegen war, hatte diese Höhen eben erst erreicht.

»Schneeglöckchen! Seht nur, Schneeglöckchen sind hier in Mengen«, jubelte Asmik, als sie die weißen Blümchen sah.

An manchen Stellen lag zwischen den Felsen, wo die Sonne nicht hinkam, noch hoher Schnee. Er begann erst jetzt zu schmelzen und floß in glitzernden Rinnsalen über das Gras in den See hinab.

Asmik hatte als erste den Gipfel erreicht. Begeistert rief sie den Freunden zu:

»Kommt! Es ist herrlich. Auf der anderen Seite sieht es ganz anders aus - es ist wie eine neue Welt! «

Bald hatten auch die anderen die Kuppe erreicht und blieben, von dem herrlichen Anblick überwältigt, stehen.

,Der Kaukasus liegt mir zu Füßen...’

Wenn man vom Gipfel des Dali-Dagh auf die Gebirgslandschaft an der Nordseite hinabsieht, bietet sich einem ein herrliches Bild. Vor den Kindern breitete sich wirklich eine ganz neue, noch nie gesehene Welt aus. Hoher, dichter Wald bedeckte die Hänge. In langen Ketten zogen sich die Ausläufer des Kaukasus bis zum Kura-Tal hinab. Am Aras, dort, wo der Kaukasus an der iranischen Grenze zu Ende geht, näherten sich die Berge einander, ragten mit ihren steilen Gipfeln bis an die Wolken, teilten sich wieder und lösten sich in einem unentwirrbaren Labyrinth zerklüfteter, ineinandergreifender Bergketten in der blauen Ferne auf. Auch am Fuße der Berge dehnten sich unübersehbare Wälder, und nur die Gipfel ragten kahl und nackt aus dem grünen Meer heraus. Oberhalb der Wälder zog sich noch ein Gürtel smaragdgrüner Wiesen um die felsigen Bergkuppen.

Die Luft war so klar und rein, daß man vom Gipfel des Dali-Dagh fast ganz Transkaukasien überblicken konnte.

Eine üppig grünende Landschaft breitete sich vor den Blicken der jungen Naturfreunde aus, fruchtbare Täler, von silbern glänzenden Flüssen durchzogen! Eisenbahnzüge tauchten aus Felsentunneln auf; Städte und Siedlungen lagen eingebettet zwischen Gärten und Feldern. Und in der Ferne ragten andere Berggipfel empor, die mit ihren Schneehauben den türkischen Mullas mit ihren weißen Turbanen glichen.

Im Norden bildete das Bergmassiv des großen Kaukasus eine gigantische Felsenmauer. Einzelne Gipfel verloren sich in den Wolken. Und im Osten hob sich eine dunkle Kette mit Wäldern bewachsener Berge vom Blau des Himmels ab und zog sich bis zum Kaspischen Meer hin. Im Süden bauten sich in langer Reihe die Bergketten des iranischen Kara Dagh auf, und im Südwesten waren die dunklen Umrisse der schon zur Türkei gehörenden Gebirge zu sehen. Im Westen ragten Georgiens Berge majestätisch zum Himmel empor - ewig grün, ewig jung und ewig heiter, gleich den Bewohnern ihrer Täler. Unmittelbar neben dem Bergmassiv des Dali-Dagh erhoben sich die in violette Schleier gehüllten Felsen des Kasach.

Wie Silhouetten phantastischer Dome und Paläste mit spitzen Türmen zeichneten sich die scharfen Gebirgskämme von dem hellblauen Hintergrund des Himmels ab.