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Wohin der Blick auch fiel - überall ragten Berggipfel, Gebirgsketten und Kämme in den Himmel hinein. Zwischen ihnen zog sich ein Labyrinth von Schluchten und Gebirgspässen hin. Das ganze Land ringsum schien aus gewaltigen Höhen und bodenlosen Abgründen zu bestehen.

Während die Kinder noch hinabblickten, bildeten sich in den Schluchten milchigweiße Nebelschwaden. Sie wuchsen und dehnten sich, stiegen höher und füllten bald die Schluchten mit einem wolkigen Brei. Hier und dort ragten felsige Bergkuppen wie Inseln aus einem Meer empor.

Auf einer solchen Insel befanden sich auch die jungen Natur-forscher. Überwältigt von diesem Anblick, standen sie schweigend da. Wie hätten auch einfache Worte den Zauber der kaukasischen Gebirgswelt wiedergeben können? Große Dichter, wie Puschkin, Lermontow und Gorki, haben sie immer wieder besungen.

Plötzlich kam Wind auf, und das Nebelmeer in den Schluchten geriet langsam in Bewegung. Die Umrisse der Berge zeigten sich. Der Nebel sank immer tiefer und lichtete sich immer mehr, bis er schließlich die Ufer der Kura erreicht hatte und allmählich ganz verschwand. Wieder lagen die grünen Berg-hänge, die Wälder, die Schluchten, die fruchtbaren Täler frei vor den Blicken der Kinder.

»Was ist das für ein Berg?« fragte Armjon und zeigte auf eine silbern schimmernde Bergspitze fern im Osten. »Wie hoch mag er sein! Er überragt ja die Wolken. Sicher ist es der Elbrus. Wartet mal. Ich will gleich auf der Karte nachsehen.«

»Vielleicht ist es der Kasbek«, meinte Kamo. »Elbrus und Kasbek liegen nicht weit auseinander.«

Armjon hatte die Karte ausgebreitet und bemühte sich, die Namen der Berge festzustellen.

»Nein, es muß doch der Elbrus sein«, sagte er. »Aber wo liegt der Dwal? Weißt du es nicht, Großväterchen?« fragte Armjon den Alten.

»Das ist der kahle Berg da drüben, mit den roten Streifen. Sie sehen von hier wie Schnörkel aus. In Wirklichkeit ist es aber die Serpentine nach Stepanowa mit ihren vielen Windungen.«

Der Alte hielt die Hand schützend über die Augen. Er betrachtete einen im Nordwesten aufragenden Berggipfel besonders aufmerksam.

»Das ist der Weg nach Stepanowa, dem früheren Dschelal-Ogly?« fragte Armjon ganz aufgeregt. »Dann ist das ja der Weg, auf dem Puschkin vor hundertzwanzig Jahren entlang-gefahren ist.«

»Davon habe ich mal was gelesen«, rief Asmik. »Ist das wirklich der Weg? Da hatte er doch den Wagen mit der Leiche Gribojedows getroffen?«

»Ja, das ist der Weg. Auf dem Gipfel ist eine Quelle, bei der Puschkin angehalten und Wasser getrunken hat. Die So-wjSo-wjetregierung hat über der Quelle ein Denkmal errichten lassen. Der Bildhauer hat Puschkin zu Pferde dargestellt, wie er nach Arsrum reitet«, erklärte der Geologe Aschot den Kindern.

Gedankenverloren blickte Armjon zu dem fernen Berge und zu dem Weg hinüber. Nach kurzem Nachsinnen zitierte er mit weicher Stimme:

»Der Kaukasus liegt mir zu Füßen. Ich steh' In Gletschern am Absturz auf felsiger Rippe; Ein Aar, der sich aufschwang vom fernen Geklippe, Schwebt reglos, gleich mir, in der funkelnden Höh'!«[11]

Stumm und ergriffen hörten ihm die Kameraden zu. Auch Setos Augen leuchteten. Andächtig blickte er hinunter in die ,andere Welt'.

Die Kinder blieben noch lange auf dem Berggipfel stehen und bewunderten die Schönheiten der Natur, die sie rings umgaben.

Schließlich trieb Kamo zur Eile:

»Es ist schon spät, wir müssen gehen.«

Sie kehrten zu ihren Säcken zurück und kletterten rasch zum See hinab.

Die beiden Geologen waren auf dem Berggipfel sitzengeblieben. Sie machten Aufzeichnungen von der Lage und der Struktur der Berge.

Von oben gesehen, wirkten die blumenübersäten Wiesen, die den Bergsee umgaben, wie farbenfrohe, orientalische Teppiche.

Die Kinder hatten sich an das Ufer gesetzt und sahen zu den Enten hinüber, die ruhig auf dem See umherschwammen und die Menschen gar nicht beachteten.

Armjon hielt sich ein wenig abseits. Er hatte sich über ein Blatt Papier gebeugt, nagte an seinem Bleistift und schien an-gestrengt nachzudenken. Asmik, die ihn beobachtete, machte den Freunden Zeichen und legte warnend den Finger auf die Lippen. Dennoch fragte Kamo unbekümmert:

»Was schreibst du denn da? Lies mal vor, Armjon. Machst du ein Gedicht? Hier ist ja alles, was ein Dichter braucht: der See, die Blumen, der Wind, der von den Bergen weht. . . « Kamo lachte schalkhaft und sah zu Asmik hinüber... »Und Asmik ist auch in der Nähe.«

Armjon wurde bei dieser harmlosen Neckerei glühend rot. Er wollte das Geschriebene verstecken, aber Grikor war schneller, er hüpfte auf seinem gesunden Bein herbei und riß ihm das Blatt aus der Hand.

»Zier dich doch nicht, Armjon, wir wollen mal hören, was du kannst.«

Dazu schnitt Grikor eine unbeschreiblich komische Grimasse, kniete vor Asmik nieder, legte die Hand aufs Herz und rief:

»Du wohnst in meinem Herzen, schöne Fee, Die Surna soll von deiner Schönheit künden. Und lodernd schlägt die Flamme in die Höh', Die deine Blicke in mir zündet. Das Wasser aus dem See stillt diese Glut, Denn meine Lieb' verzehrt mein ganzes Herz! Ich stürz' mich in des Sewans klare Flut. Er kühlt, es zischt mein Leib wie glühend Erz.«

Keiner hatte gesehen, daß er das Blatt verkehrt gehalten hatte. Grikor überreichte es Asmik mit einer tiefen Verbeugung, hüpfte auf einem Bein zum See und stürzte sich so, wie er war, ins Wasser.

Die Freunde wollten sich ausschütten vor Lachen.

Grikor kam wieder aus dem Wasser heraus und sagte, indem er seine nassen Kleider auswand:

»Jetzt versteh' ich auch, warum Mutter die Glucken, wenn sie nicht brüten sollen, mit kaltem Wasser begießt! Die Glut in mir ist im Nu erloschen. . . «

Kamo entriß Asmik das Blatt mit dem Gedicht und las nun mit Pathos vor, was wirklich da geschrieben stand:

»Es plätschert der See! Vom Rand zum Rande

Spielend sich Welle um Welle bricht...

Mich deucht, daß aus dem Plätschern am Strande

Ein Liedchen klingt, ein Herz zu mir spricht!«

»Bravo, das ist sehr schön!« Suchend sahen sie sich nach Armjon um, der sich in seiner Verlegenheit irgendwo hinter den Felsen versteckt hatte.

Das Rätsel des Bergsees

Los, Freunde, jetzt wollen wir aber an die Arbeit gehen«, erinnerte Kamo seine Kameraden an ihr Vorhaben. »Wir dürfen uns doch nicht blamieren«, rief er, »wir sind mit Großvater Assatur und den beiden Geologen wie zu einer Expedition ausgezogen. Nun müssen wir auch rauskriegen, ob zwischen diesem Bergsee und dem Gilli-See eine Verbindung besteht. Die Geologen meinen, das Wasser sickert durch den Grund des Bergsees nach unten. Hab' ich das richtig verstanden, Aschot Stepanowitsch? «

»Ja, sehr richtig. Der Grund dieses Bergsees hat sich aus Lava gebildet. Dieser ganze Berg ist vulkanischen Ursprungs. Das Gestein ist porös, und das Wasser kann leicht hindurchsickern.«

»Wir haben rausbekommen«, fuhr Kamo fort, »daß sich im Gilli-See Quellen befinden müssen, die so wasserreich sind wie richtige Flüsse. Weiter wissen wir, daß früher hier an den Abhängen eine ,Große Quelle' gewesen ist. Die Inschrift in dem alten Krug spricht davon. Großvater hat uns erzählt, daß der Knüppel des Gevatters Mukel in diesen See gefallen und im Gilli-See wieder zum Vorschein gekommen ist. Es ist daher anzunehmen, daß das Wasser von hier nach unten einen Abfluß hat und unsere Kolchosfelder an den Berghängen bewässert. Wir wollen jetzt den Grund des Sees einmal gründlich untersuchen.«

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Aus einem Gedicht Puschkins in der Übersetzung von F. Fiedler.