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»Wißt ihr, wie es hier aussieht? Wie in einer verzauberten Stadt mit lauter Wasserstraßen«, jubelte Asmik. »Schau, Kamo, ist es hier nicht wie in einer richtigen Stadt? Armjon, Grikor, seht doch nur — da drüben ist ein Platz, auf dem ein Denkmal steht!« Asmik wies auf einen Strauch, der sich in der Mitte des glatten Wasserspiegels aus dem See erhob. »Und da drüben: das kleine Inselchen aus Schilf — das sieht aus wie eine Festung, nein, wie ein Turm. . . Es ist wie im Märchen, nicht wahr, Kamo?« schrie Asmik aufgeregt.

»Wir sind in den entlegensten Teil des Sees geraten«, meinte Armjon. »Selbst die Vögel haben hier keine Angst vor uns. Legt die Ruder beiseite, ich will eine Aufnahme machen.«

»Mach auch eine Aufnahme von dem ,Denkmal' und von der ,Festung'«, bettelte Asmik.

Sie setzten ihre Fahrt auf den Straßen dieser wunderbaren Wasserstadt fort. Zuweilen hörte eine solche Straße jäh auf. Dann stieß das Boot gegen eine hohe Schilfwand, und die Kinder mußten zurückrudern, um aus der Sackgasse herauszukommen. Oftmals kreuzten die Kanäle einander oder sie liefen parallel nebeneinander her, bis alle diese Straßen, Nebenstraßen und Gassen sich endlich zu einer breiten, hellen Allee vereinigten.

Die Kinder waren in bester Stimmung. Die überstandenen Ängste waren vergessen. An den ,Drachen' dachte niemand mehr. Nur Tschambar winselte und konnte nicht begreifen, weshalb nicht geschossen wurde, obgleich es doch ringsum von Vogelschwärmen wimmelte. Er mochte wehmütig an seinen Herrn, den alten Jäger, denken, denn er jaulte leise vor sich hin und kroch, ohne die Kinder zu beachten, im Boot unruhig hin und her.

»Hier wollen wir haltmachen und Eier sammeln«, schlug Armjon vor. Doch plötzlich errötete er. Wenn die Freunde nur nicht glaubten, er fürchte sich vor dem ,Drachen'.

»Und wie kriegen wir raus, was mit dem ,Drachen' los ist?« fragte Kamo und warf den Freunden einen fragenden Blick zu.

»Wir müssen erst herausbekommen, wo der ,Drache' brüllt«, sagte Armjon. »Vielleicht sind wir an der Stelle schon vorbeigefahren.«

»Wir können ja hier ein bißchen warten; er wird sich schon bald wieder melden.«

»Ich möchte lieber weiterfahren«, bat Asmik. »Ich möchte so gern wissen, wie es an den anderen Stellen aussieht.« Sie war begierig, weiterzukommen. Die großen schwarzen Augen des Mädchens blickten suchend umher und nahmen alles, was ringsum zu sehen war, voller Entzücken auf.

Der ,Drache' mußte die Wünsche der Kinder erraten haben, denn fast unmittelbar nach diesem Gespräch erscholl plötzlich ganz in der Nähe sein ohrenbetäubendes Brüllen.

Zuerst glaubten die Kinder, das Boot schwanke unter ihnen. Auch Tschambar sprang auf und begann wütend zu bellen. Asmiks Begeisterung und Unternehmungslust verwandelte sich in lähmendes Entsetzen.

Das Boot hielt an. Asmik sandte Kamo hilfesuchende Blicke zu, denn er war offenbar der einzige, der gar keine Angst hatte.

»Jetzt haben wir's! « rief er triumphierend. »Laßt uns schnell weiterrudern.«

Die Jungen gehorchten wortlos. Sie führten das Boot immer weiter in die geheimnisvollen Tiefen des Gilli-Sees hinein.

Bei jeder Biegung zeigten sich ihren erstaunten Blicken immer neue Schönheiten. Aber die Kinder achteten nicht mehr darauf. Sie waren mit Leib und Seele auf ihr Ziel versessen.

Nun glitt das Boot in einen neuen kleinen See hinein. Er war nicht so ruhig wie die anderen. Sein Wasser schien zu brodeln wie in einem Kessel, der auf kleinem Feuer steht. Auf der Oberfläche bildeten sich große Blasen, die jedoch gleich wieder zerplatzten und sich in Wellenkreisen verloren.

»Was soll das bedeuten?« fragte Asmik.

»Vielleicht sind es Quellen«, überlegte Armjon.

»Kann es denn an einer Stelle so viele Quellen geben?« meinte Grikor zweifelnd.

Armjon hatte schon den Mund geöffnet, um dem Freunde zu antworten, da erklang das markerschütternde Brüllen von neuem, und dieses Mal noch näher, noch grausiger und noch anhaltender als zuvor. Es schien, als fordere der ,Drache' unter Wasser einen Gegner zum Kampf heraus.

Kamo jedoch ruderte unbeirrt weiter und blieb — wenigstens äußerlich — ganz ruhig Er brannte vor Neugierde, Genaueres zu ergründen, und steuerte das Boot zielbewußt in die Richtung, aus der die geheimnis-vollen Laute gekommen waren.

»Ich habe Angst«, jammerte Asmik, »ich will nicht weiter. Rudere zurück, Kamo, oder setze uns am Ufer ab.«

Kamo zuckte die Achseln; als er aber sah, daß Asmik kreide-bleich geworden war, beschloß er, ihren Wunsch doch zu er-füllen. Sanft glitt das Boot weiter und legte an einem Inselchen an.

Kamo sprang als erster ans Ufer. Die Kinder beobachteten, daß die kleine Insel schwankte. Sie war mit Schilf bewachsen. Die Spitzen des Schilfrohrs gerieten bei jedem Schritt in Bewegung, als habe sie ein Windstoß aus ihrer Ruhe gerüttelt. Kamo blieb überrascht stehen.

»Was für eine komische Insel!« murmelte er erstaunt.

Er ließ sich von Grikor ein Ruder reichen und wühlte damit an der Stelle, an der er stand, zwischen dem üppig wuchernden Teppich aus Wasserpflanzen. Er stieß aber nicht auf Erde, sondern ein Wasserstrahl spritzte plötzlich hoch.

»Eine schöne Geschichte«, murmelte Kamo, um die andern nicht zu erschrecken. »Das ist eine Insel ohne Boden. Gleich darunter ist Wasser.« Es stellte sich heraus, daß die vermeintliche Insel ein dichtes Gestrüpp von Schlingpflanzen war.

»Bleibt noch im Boot!« schrie Kamo. »Ich will mir erst mal diese komische Insel ansehen. Komm mit, Tschambar! «

Vorsichtig bog er das hohe Schilfgras zur Seite und arbeitete sich Schritt für Schritt vorwärts. Da hörte er, wie Grikor erschrocken aufschrie. Er hatte gesehen, daß die ganze Insel unter Kamos Schritten ins Schwanken geraten war.

»Bleib stehen!« schrie er, und nun merkte auch Kamo, daß seine Füße im dichten Teppich der Wasserpflanzen zu versinken drohten.

Armjon blickte Asmik und Grikor unschlüssig an. Dann nahm er allen Mut zusammen und sprang gleichfalls auf die vermeintliche Insel. »Warte, Kamo! Ich komme mit.«

Unter Armjons Gewicht fing das Pflanzeneiland wieder bedrohlich zu schwanken an.

Nachdem die beiden Jungen die Insel ohne weiteren Zwischenfall durchquert hatten, kehrten sie zum Boot zurück.

»Ich glaube«, sagte Armjon, »die Wurzeln der Wasserpflanzen sind so ineinander verschlungen und haben sich auf dem Grund im Schlamm so fest verankert, daß die Insel uns schon tragen wird.«

Kamo meinte:

»Seht nur, der Boden ist wie ein dicker Filzteppich. Sicher sind die Wurzeln der Wasserpflanzen im verrotteten und verdorrten Schilf festgewachsen, und so hat sich dieser Teppich gebildet.«

Asmik blieb jedoch mißtrauisch.

»Was passiert aber«, wollte sie wissen, »wenn die Wurzeln von der Strömung abgerissen werden?«

Kamo lachte. »Dann würde unsere Insel mit uns allen aus dem Gilli- in den Sewan-See treiben.«

Grikor und Asmik waren jetzt auch aus dem Boot geklettert und standen auf der schwankenden Pflanzeninsel.

Grikor hatte am Rande im Gestrüpp ein Nest entdeckt, in dem eine brütende Gans saß.

»Seht nur!« schrie er. Und nun erblickte er nicht weit davon entfernt den Gänserich, der das Nest bewachte. Der große Vogel zischte ihn wütend an, so daß der Junge erschrocken zurückwich. Doch der Schrecken des Gänserichs über das plötzliche Auftauchen eines Menschen war noch größer. Er flog auf, und gleich darauf verließ auch die Gattin das Nest und folgte ihm.

Nun kamen auch die anderen angelaufen, so schnell es auf dem schwankenden Untergrund ging.

»Seht nur diese Eier: vier Stück und groß wie Kinderköpfe«, übertrieb Grikor wie gewöhnlich und nahm zwei farblostrübe Eier aus dem Nest.