Die Kolchosarbeiter hatten vom Flußbett aus Zuleitungsgräben zu den Feldern gelegt, die sich jetzt glucksend füllten. Gierig sogen die Wurzeln der Pflanzen die lang entbehrte Feuchtigkeit auf. Es schien, als atme die durstige Erde und flüstere: Mehr.., mehr.., mehr!
Ein kleiner Seitenarm war bis zum Dorf selbst geleitet worden; er mündete in das ausgedörrte Bett des Baches und in den von den Jungpionieren angelegten Teich.
Asmik war, außer sich vor Freude, zu ihrem Geflügelhof gelaufen. Sie öffnete das Tor weit und trieb ihre Schützlinge zum Teich. Die Gänse und Enten stürzten sich mit lautem Geschnatter in das Wasser. Aber nicht nur die Wasservögel lebten auf, auch die Bienenvölker gerieten in Aufruhr. Bald schwirrten und summten sie über den erfrischten Feldern, und überall zog neues Leben ein.
Laut und fröhlich ging es an diesem Tage im Dorfe Litschk zu. Nur einer, der die alten Bauern seit Jahrhunderten in Angst und Schrecken versetzt hatte, war verstummt: der ,Wasser-mann!
Am Abend fand eine Versammlung auf dem Dorfplatz statt. Die Helden des Tages waren Kamo und seine Freunde. Aram Michailowitsch schüttelte ihnen die Hand und wünschte ihnen Glück:
»Solange unser Sowjetland solche jungen Menschen wie euch hat«, rief er, »wird unser Leben erfolgreich und glücklich sein.«
Warum der `Wassermann` verstummte
Wenn man am östlichen Ufer des Sewan, mit dem Rücken zum See gekehrt, auf die Felder des Dorfes Litschk blickt, könnte man fast meinen, daß dort, vom Winde leicht bewegt, ein zweiter großer See liege. Es sind die goldenen Wogen des üppig heranreifenden Weizens.
Mähdrescher fahren langsam über die Felder. So oft der Gruppenführer Owsep den Arm hebt und »Stop!« sagt, bedeutet dies, daß der »Speicher« der Maschine voll ist und entleert werden muß. Ein Lastauto fährt heran, und über eine Rinne fließt das goldgelbe Getreide in den Wagenkasten. Das Auto fährt wieder ab und bringt seine kostbare Last zum Kolchosspeicher. Als die Umladung gerade beendet war, kamen Seto und Artusch zu Owsep.
»Dürfen Artusch und ich mit ins Dorf fahren?« bat Seto. »Der Sekretär hat uns hinbestellt.«
»Welcher Sekretär?« brummte Owsep.
»Der Sekretär unseres Jugendverbandes — Kamo.«
»Wenn Kamo euch bestellt hat, dann geht schon — ohne Grund wird er euch nicht von der Arbeit wegrufen. Es muß also wohl etwas Wichtiges sein.« —
Die jungen Naturforscher des Dorfes hatten sich bei Kamo auf der Veranda versammelt. Nachdem auch Seto und Artusch gekommen waren, sagte er:
»Jetzt sind wir wohl vollzählig beisammen. Es muß eine wichtige Frage geklärt werden. Weshalb ist der ,Wassermann' im Gilli-See plötzlich verstummt?«
»Ja, richtig«, meinte Artusch, »man hört ihn ja gar nicht mehr.«
Grikor spaßte:
»Der hat sicher Angst vor uns!«
Obgleich Kamo lachen mußte, wies er den Freund zurecht:
»Laß die dummen Scherze, wir müssen dem Geheimnis auf die Spur kommen, um endlich den närrischen Aberglauben der alten Leute im Dorf auszumerzen. Ich denke, wir machen es so, wir teilen uns in zwei Gruppen — die eine geht zu den Schwarzen Felsen hinauf, die andere zum Gilli-See.«
»Er brüllt nicht mehr, damit ist doch alles gut«, meinte Seto.
Aber Grikor widersprach:
»Die Leute im Dorf haben seine Stimme von klein auf gehört. Nun ist er mir nichts, dir nichts verstummt. Es wird ihnen keine Ruhe lassen.«
»Wir müssen doch aufklären, woher das Gebrüll kam«, sagte Armjon.
»Wie sollen wir das aufklären?« riefen alle durcheinander.
»Wir haben doch einen Gelehrten unter uns«, lachte Kamo und zwinkerte Armjon zu, »er weiß es, aber er will es uns nicht sagen. Wir sollen es selber rauskriegen.«
Diesmal lehnte sich Asmik auf:
»Solange ich nicht weiß, wie ihr das Geheimnis aufklären wollt, gehe ich nirgends hin«, sagte sie und zog sich gekränkt auf die andere Seite der Veranda zurück. »Immer solche Geheimnistuerei, so ein dummes Rätselraten. — Spiel dich doch nicht auf, Armjon.«
»Na gut, wer kann mir denn sagen, warum wir, seitdem das Wasser aus der Höhle fließen kann, den ,Wassermann' nicht mehr gehört haben?« fragte er.
Alle schwiegen.
»Ich habe viele Leute gefragt — und niemand hat ihn mehr gehört«, fuhr Armjon fort. »Ist es da nicht klar, daß zwischen dem Wasser, das in den Schwarzen Felsen eingeschlossen war, und dem ,Wassermann' im Gilli-See eine Verbindung bestehen muß?«
Asmik drehte sich um:
»Ach«, rief sie, »jetzt habe ich verstanden. .. Ich bin aber dumm! Kommt, wir wollen gleich gehen.«
»Du hast etwas verstanden — aber nicht alles. Ein Zusammenhang besteht. Warum aber der ,Wassermann' so gebrüllt hat, weiß keiner von uns. Und das müssen wir rauskriegen«, sagte Armjon und stand auf.
»Seto, unser Gelehrter braucht zwei Säcke mit feinem Stroh. Beschaffe also zwei leere Säcke und fülle sie an den Dreschmaschinen!« sagte Kamo. »Aber vergiß nicht, es muß ganz feines Stroh sein! Du, Grikor, gehst zum Gruppenführer Owsep und bittest ihn, er möchte uns einen Esel mitgeben, der die Säcke mit dem Stroh, die Spitzhacken und das übrige Werkzeug tragen kann. Dann geht ihr mit Armjon zu den Schwarzen Felsen. Alles, was Armjon sagt, wird widerspruchslos ausgeführt! ... Ich gehe mit Asmik und dem Großvater zum See... Artusch geht mit euch. Er hat Mut und wird euch vielleicht nützlich sein.«
Bald waren beide Gruppen zum Aufbruch bereit.
»Das Wichtigste haben wir noch gar nicht verabredet, Kamo« , sagte Armjon. »Wann kannst du am See sein?«
»Wann soll ich da sein?«
»Wann? Warte, ich will mal nachrechnen. Um ein Uhr wer-den wir auf den Schwarzen Felsen sein. Um zwei Uhr in der Höhle. Wir haben ungefähr eine halbe Stunde da zu tun... Wieviel Kilometer werden es von den Schwarzen Felsen bis zum Gilli sein?«
»Ungefähr fünf.«
»Fünf, meinst du? Wenn man das Gefälle des Berges in Betracht zieht, muß man rechnen, daß das Wasser ungefähr dreißig Minuten braucht... Du nimmst also genau um drei Uhr mit dem Fotoapparat deinen Platz an der Stelle ein, an der wir damals die Aufnahme vom ,Wassermann' gemacht haben. Du mußt gut aufpassen und den Finger am Auslöser halten. Drücke ab, wenn es soweit ist.«
Asmik brannte bei diesen geheimnisvollen Reden vor Neugier und trat von einem Fuß auf den anderen.
»Nun kommt doch endlich, worauf wartet ihr noch?«
Bald darauf gingen Kamo und Asmik zum Dorf hinaus. Als sie die Felder erreicht hatten, schloß sich ihnen der Großvater Assatur an. Das Gewehr hing ihm über der Schulter. Ruhig und gemessen ging er neben den jungen Leuten her und war sichtlich zufrieden mit allem. Nachdem die Last des verborgenen Schatzes ihm von der Seele genommen war, hatte der Großvater seinen friedlichen Gesichtsausdruck wiederbekommen. Seine Augen waren wieder blank und leuchteten.
»Großväterchen, ist dir nicht aufgefallen, daß zugleich mit dem ,Wassermann' der Rechnungsführer Mesrop still geworden ist?«
»Ein dummer Mensch ist dieser Mesrop«, seufzte der Großvater. »Alle andern sind klüger geworden, nur in seinem Kopf ist es so dunkel geblieben, wie es war... Ein rechter Einfaltspinsel ist er. Ja, ja, unwissende Menschen sind wir gewesen. . .«