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Der Großvater schwieg eine Weile, sog zwei-, dreimal an seiner Pfeife und fuhr dann fort:

»Mesrop ist deshalb still geworden, weil man ihn gezwungen hat zu schweigen. Von selbst wird so ein dummer Geselle wie der den Mund nicht halten... Als ihr das Wasser ins Dorf geleitet habt, hat ihn Bagrat so heruntergeputzt, daß es aussah, als wolle er ihn in Stücke reißen. Na, du weißt ja, wie hitzig der Vorsitzende sein kann. —,Hör auf mit deinem Gewinsel, sonst nehme ich dich so in die Zwicke, daß deine krumme Seele auf einmal gerade wird. . .'«

Asmik mußte lachen. Sie stellte sich den hageren, bleichen Mesrop vor, wie er von dem kräftigen Onkel Bagrat in die Zwicke genommen wird.

»Du lachst, Asmik? Meinst du denn, Onkel Bagrat hätte das nicht getan? Bestimmt hätte er's getan. Guck dir mal an, was für einen feinen Kolchos er aufgebaut hat. — Was hast du vor-hin gesagt, Kamo?« fragte der Alte. »Ihr wollt das Wasser in der Höhle festhalten. Warum denn das?«

»Das ist Armjons Geheimnis.«

Sie kamen an das Ufer des Flusses, von dem gesagt wird, er sei der kürzeste Fluß der Welt.

Der Großvater blieb erstaunt stehen.

»Der ist ja so seicht geworden. Meinst du nicht auch, Kamo?« »Wie sollte er nicht, Großväterchen? Wir sind doch schon im August.«

»Wenn auch! Dieser Fluß ist auch in den trockensten Jahren im August nicht so seicht gewesen«, beharrte der Alte.

Kamo lächelte schalkhaft. Er sah, daß Asmik vor Neugierde fast umkam.

»Du bist genau wie Armjon«, schmollte sie, »du machst aus allem ein Geheimnis. Sag doch endlich, worum es sich handelt! « drängte sie ungeduldig.

»Was soll ich da noch viel sagen? Ist es dir noch nicht klar? Das Petroleum, das wir in den Bergsee gegossen haben, ist doch im Gilli wieder zum Vorschein gekommen!«

»Na ja — und weiter?«

»Wenn wir das jetzt machen würden, würde das Petroleum nicht mehr in den Gilli-See fließen, sondern zum Beispiel in deinem Gänseteich landen.«

»Wieso?« staunte der Großvater.

»Ihr seid aber begriffsstutzig! Es ist doch ganz klar. Das Petroleum gerät in den Strom, der aus der ,Höllenpforte' bergab fließt, kommt in den Kanal, aus dem Kanal auf unsere Felder, in unseren Dorfbach und in den Teich... «

»Was ihr alles fertiggebracht habt«, wunderte sich der Alte, der nun endlich begriffen hatte, wie alles zusammenhing. »Ich hab' es erst gar nicht verstehen können.«

»Dein Gevatter Mukel hätte es ganz gewiß auch nicht verstanden«, sagte Kamo und lachte.

Auch Asmik brach in schallendes Gelächter aus. Der Gevatter Mukel war für den Großvater eine wahre Autorität, eine nie versiegende Quelle, aus der der alte Jäger immer neue Lebensweisheiten schöpfte.

Am Flußufer fanden sie ein Fischerboot. Sie schoben es ins Wasser und fuhren damit durch die zahllosen Kanäle und Becken des Sees zu dem merkwürdigen, im Wasser schaukelnden Inselchen, das keinen rechten Boden hatte.

»Erinnerst du dich noch, wieviel Eier wir vor anderthalb Jahrer auf dieser Insel gesammelt haben?« fragte Asmik.

»Natürlich erinnere ich mich«, sagte Kamo und nickte. »Wer weiß, ob sich unser Inselchen nicht von seinem ,Anker' losgerissen und zu einer treibenden Insel geworden ist?... Großväterchen, sieh nur die vielen Enten!« sagte Kamo. »Es ist aber komisch, daß sie nicht wegfliegen. Gib mir doch mal dein Gewehr.« Er streckte die Hand aus. »Ich werde sie gleich auf-schrecken. Wie kommt es nur, daß sie nicht auffliegen? Haben sie denn keine Angst?«

Tschambars Jagdeifer wurde wach; er winselte ungeduldig und wollte aus dem Boot springen.

»Es ist wirklich komisch«, meinte Asmik, »auf dem Wasser ist keine einzige Ente zu sehen; sie sitzen alle im Schilf. Es müssen wohl noch junge sein.«

»Gib mir doch das Gewehr«, bat Kamo noch einmal. Aber der Großvater gab es nicht.

»Jetzt darf man nicht schießen«, erklärte er. »Es sind keine Jungen, aber sie wechseln jetzt ihre Federn, und solange sie keine neuen Federn haben, können sie nicht fliegen. Solche Vögel darf man nicht schießen... Die Entenmütter wechseln erst dann ihr Federkleid, wenn die Jungen herangewachsen sind und anfangen, sich ihr Futter selber zu suchen. Jetzt darf die Entenmutter an sich denken... Ja, Kinder, in der Natur ist alles klug bedacht. . .«

Sie waren bei dem schaukelnden Inselchen angelangt. Der Großvater und Asmik stiegen aus, während Kamo weiterfuhr. Tschambar blieb bei ihm im Boot.

Nachdem Armjon mit seinen Gefährten den Berggipfel erklommen hatten, zogen sie Schuhe und Strümpfe aus, krempelten die Hosenbeine bis über die Knie hoch, banden sich die Säcke mit dem Stroh auf dem Rücken fest und ließen sich an der Strickleiter zur Höhle, in den reißenden Strom hinab.

Das Schmelzwasser, das aus dem Kratersee kam und hier hervorsprudelte, war so kalt, daß sie zusammenschauerten und eine Gänsehaut bekamen. Doch die unternehmungslustigen jungen Leute ließen sich nicht so schnell abschrecken. Beim schwachen Lichtschein einer Taschenlampe drangen sie weiter ins Innere der Höhle vor. Es war nicht ganz einfach, denn die Strömung war so stark, daß sie ständig in Gefahr waren, um-gerissen zu werden, und die schlüpfrigen glatten Wände boten kaum einen Halt. Unverdrossen drangen die Jungen weiter vor. Völlig durchnäßt erreichten sie schließlich die zweite Höhle, in der sie an der Seite einen trockenen Felsvorsprung fanden, auf dem sie Atem schöpfen konnten.

»Nur gut, daß wir den Zugang verbreitert hatten«, sagte Grikor.

»Ihr habt ihn verbreitert?« wunderte sich Artusch. »Dann habt ihr also von Anfang an gewußt, daß ihr Wasser finden und daß es durch diesen Ausgang ausströmen würde?«

»ja, es gab viele Anzeichen dafür, das hatten wir schon lange festgestellt«, sagte Armjon ernst wie ein richtiger Gelehrter.

»Und was wäre passiert, wenn wir den Zugang nicht verbreitert hätten?« fragte Grikor.

»Du wärst, zusammen mit dem Wasser, wie ein Sektkorken kopfüber in den Abgrund geflogen«, rief Seto lachend.

»Und das alles ohne Rettungsring«, meinte Grikor und ging auf den Spaß ein. »Aber jetzt los, an die Arbeit. Sonst wird Kamo die Zeit lang. Und wenn er nicht auf-paßt, versinkt er wieder im Sumpf. «

Die Freunde gingen dicht an die Mulde heran, die sie aus dem Felsen herausgesprengt hatten. Das Wasser schoß mit ungeheurer Gewalt gegen die Wände des Beckens; es wurde sprudelnd und schäumend herumgewirbelt und floß dann als reißender Strom dem Ausgang der Höhle zu.

Das unheimliche Getöse erstickte jeden anderen Laut. Die jungen Naturforscher bekamen nun doch etwas Angst. Fürchteten sie, von der gewaltigen Strömung erfaßt und verschlungen zu werden, oder glaubten sie gar, die Felswände könnten einstürzen?

Sie hatten die Säcke mit dem Stroh abgesetzt, hockten sich darauf und blickten auf das tobende Wasser.

»Was wird nun?« fragte der sonst so unerschrockene Seto ängstlich.    

Armjon stand auf, trat an den Rand der Mulde und sagte, indem er die Wände ableuchtete:

»Seht ihr das zugemauerte Loch? Früher ist das Wasser hinter diesem Loch in das Innere des Berges geflossen. Nach der letzten Sprengung hat es die Richtung geändert und den Weg eingeschlagen, auf dem es jetzt fließt. Handwerker aus dem Kolchos haben das Loch dann zugemauert. Jetzt müssen wir es wieder aufbrechen und das Wasser auf seinen früheren Weg zurückleiten.«

»Den Kanal trockenlegen? Willst du dem Dorf das Wasser entziehen? Ist das dein Ernst? Was werden die Leute sagen? Was sollen sie von uns denken?«

»Das ist alles schon mit Onkel Bagrat besprochen. Im Augen-blick wird das Wasser nicht unbedingt gebraucht. Heute kommen sie im Dorf so aus, und morgen wird das Loch wieder zu-gemauert.«

»Aber die Öffnung liegt doch höher als der Wasserspiegel«, wandte Artusch ein. »Das Wasser wird nicht wieder hinein-fließen. «

»Das läßt sich leicht beheben. Wir werden den Ausgang des Beckens mit Steinen verschließen, dann wird das Wasser steigen und wird wieder wie früher durch das Innere des Berges fließen und im Gilli-See münden. Kamo steht mit dem Fotoapparat in der Hand dort und wartet darauf«, erklärte Armjon. Damit waren die Freunde nun endlich in das Geheimnis eingeweiht.