Schnell warfen die jungen Männer ihre Kleider ab, sie nahmen das Ende des Netzes in die Hand und schwammen damit zum anderen Ufer hinüber. Dort befestigten sie das Netz an einem Pflock, der am Ufer in den Boden gerammt war.
»Jetzt können uns die Fische nicht mehr entwischen«, rief der Alte und beobachtete, wie das Netz, das den Fluß von einem Ufer zum anderen durchschnitt, sich spannte.
»Bravo, Kinderchen. Nun seid ihr wieder entlassen. Wenn genug Fische im Netz sind, rufe ich euch.«
Jetzt hatte mich der Alte bemerkt. Er legte die Hand schützend über seine Augen und blickte fragend zu mir herüber.
»Guten Tag, Väterchen«, redete ich ihn an. »Bist du der Jäger Assatur?«
»Natürlich bin ich es. Wer soll ich denn anders sein?«
Er warf einen flüchtigen Blick auf mein Gewehr und auf meinen Hund und sagte dann:
»Es gibt mehr als genug Fische in diesem Jahr — in hellen Haufen kommen sie angeschwommen.«
Wir kamen ins Gespräch. Jäger können sich schnell miteinander anfreunden. Doch der Alte dachte jetzt nur an seine Fische. Immer wieder sah er zum Fluß hinüber und prüfte das Netz, ob es sich auch nicht losgerissen hatte.
Ich fragte ihn, wer die jungen Leute seien.
»Mein Enkel Kamo ist es, und das sind seine Freunde. Sicher hast du in der Zeitung von ihnen gelesen. Wir sind stolz auf unsere jungen Naturforscher. . . «
»Ein Mädchen ist auch dabei?« fragte ich.
»Das ist Asmik. Ein braves Mädchen. Es hat den Einfall gehabt, die Eier der wilden Vögel zu sammeln... Asmik hat in unserem Dorf eine Geflügelfarm eingerichtet... Und das da ist Armjon«, sagte der Alte und zeigte auf einen schlanken Jüngling mit feinen Gesichtszügen, hoher Stirn und dunklen klugen Augen, »das ist unser Gelehrter. Er weiß immer alles schon vorher. - Und da kommt Artusch. Das war unser verlorener Sohn... Wollte immer nicht mitmachen... Aber jetzt ist er ein guter Junge, bleibt fest bei der Stange. .. «
Die jungen Leute hatten lachend zugehört, wie der Großvater sie einzeln beschrieb.
»Und was wirst du von mir sagen, Großväterchen?« fragte der junge Bursche, der eben mit Kamo das Netz am anderen Ufer befestigt hatte.
»Von dir?« Der Alte lachte. »Du bist ein Räuber, das werde ich sagen.« Der Alte wandte sich wieder an mich. »Ist voriges Jahr in der Schule zurückgeblieben, wollte nicht lernen. Hat aber jetzt alles aufgeholt. Mit seinen Gedanken ist er, genau wie ich, immer in den Bergen. Nur bin ich auf schmackhafte Beute aus und er — auf Steine... Erzgruben will er bauen... Und der da, das ist unser Spaßvogel Grikor. Der macht jetzt auch sein Examen. Bei dem kommt man den ganzen Tag aus dem Lachen nicht raus... Für unseren Grikor ist heute ein besonderer Tag. Er ist eben aus Jerewan zurückgekommen — hat kein lahmes Bein mehr wie früher. Hat sich immer gesträubt, wollte sich das Bein nicht aufschneiden lassen. Jetzt aber hat es geheißen, unsere Naturforscher sollen nach Moskau fahren. Da hat er sich gleich entschlossen. Jetzt haben sie ihm in Jerewan das Bein geradegebogen. Er kann damit gehen und springen wie alle anderen.«
Ich setzte mich zu den jungen Leuten ins Gras und fing eine Unterhaltung mit ihnen an.
Am meisten interessierte mich Seto. Er schien einen besonsonders eigenwilligen Charakter zu haben. Er erzählte, all sein Sinnen und Trachten gelte den Bergen. In der Schule waren seine Leistungen sehr ungleich. In Geologie, Geographie und Naturkunde war er am besten, alle übrigen Fächer waren ihm gleichgültig. Nur weil er Angst hatte, nicht in das Bergbauinstitut in Jerewan aufgenommen zu werden, hatte er sich ans Lernen gemacht, und Armjon meinte, er würde jetzt die Prüfung in allen Fächern bestehen.
Asmik war auch eine gute Schülerin geworden, erzählten die jungen Leute. Im vorigen Jahr, als ein Mißgeschick nach dem anderen die Geflügelfarm traf, war sie schrecklich zerfahren gewesen, hatte die Bücher oft in die Ecke geworfen und weinend erklärt: »Ich kann meine Gedanken nicht zusammen-halten.«
Ganz ähnlich war es Kamo ergangen. Er hatte in der Schule oft schlecht aufgepaßt, weil seine Gedanken auf dem Dali-Dagh oder am Gilli-See gewesen waren. Nur Armjon hatte es fertiggebracht, der beste Schüler in der Klasse zu bleiben und dennoch den vielen Rätseln in der Natur nachzugehen.
Großvater Assatur hatte schweigend zugehört. Nun erklärte er voller Stolz:
»Ja, sie sind tüchtig, meine Kinderchen, den Drachen haben sie besiegt, den Teufel aus der ,Höllenpforte' vertrieben. Sie haben unserem Dorf Brot gegeben! ... Weißt du denn«, wandte er sich an mich, »was das Wasser für unsere Gegend bedeutet? Das Wasser ist der liebe Gott! Deshalb haben die Menschen früher das Wasser angebetet, haben dem Wassergott Opfer gebracht. Wasser und Sonne müssen da sein, damit die Menschen leben können. Und für das Wasser haben die Kinder gesorgt. Soll ihr Leben so frisch dahinfließen wie das Wasser in unserem neuen Kanal. . . «
Der Alte sog ab und zu gemächlich an seiner Pfeife. Während er mit uns sprach, war seine ganze Aufmerksamkeit auf den Fluß gerichtet. Nicht die geringste Bewegung entging seinem geübten Jägerauge. Mitten im Satz sprang er plötzlich auf:
»Los, Kinder, die Fische sind im Netz! Kommt schnell!« Während er zum Fluß lief, steckte er seinen langen Bart in die Falten seines Archaluks.
Die Jungen hatten schnell ihre Kleider abgeworfen und liefen auf den Fluß zu. Nur Asmik blieb bei mir zurück.
Mit vereinten Kräften zogen sie das Netz ans Ufer. Gleich darauf wimmelte es auf der grünen Wiese von Hunderten silbern glänzender Fische, die verzweifelt zappelten und nach Luft schnappten. Es waren die berühmten Forellen aus dem Sewan.
»Wir müssen ein Feuer anzünden! « jubelte Grikor. Der Alte trat zu mir und sagte:
»Wenn du wissen willst, wie eine Forelle aus dem Sewan schmeckt, mußt du sie am Ufer selbst, in dem Wasser, in dem sie gelebt hat, kochen. Nur dann wirst du den herrlichen Geschmack dieses Fisches wirklich kennenlernen.«
Wir steckten ein Feuer an, kochten die Forellen, stellten, als sie fertig waren, den Kessel ins Gras und kippten ihn um. Unmittelbar vom Grase aßen wir die Fische. Niemals mehr haben mir Forellen so gut geschmeckt.
Dann gingen wir alle zusammen zu den Schwarzen Felsen, um uns den Wasserfall anzusehen.
Aus dem schwarzen Schlund, der früher ,Höllenpforte’ genannt wurde, schossen gewaltige Wassermassen heraus und stürzten schäumend in die Schlucht. Der Wasserfall machte ein solches Getöse, daß der Boden unter unseren Füßen bebte. Wir standen und blickten andächtig hinauf. Der reißende Strom, der in den Farben des Regenbogens schimmerte, und hinter ihm der düstere Felsen! - Es war wie in einem Märchen.
Wenige Schritte vom Wasserfall entfernt lag noch immer der verkohlte Stumpf der vom Blitz zerschmetterten Eiche. Doch sie war zu neuem Leben erwacht. Junge, starke Triebe sprossen aus den Wurzeln, hatten sich mit üppigem Laub bedeckt und reckten sich der Sonne entgegen.
Unwillkürlich zog ich, während ich den alten Jäger und die jungen Menschen ansah, einen Vergleich: wie eine alte Eiche mit ihren jungen Trieben.
In bester Stimmung kehrte ich in die Stadt zurück. Meine Jagdtasche war prall mit Schnepfen gefüllt, und von der Begegnung mit dem Großvater Assatur und den jungen Naturforschern vom Sewan-See nahm ich viele wunderschöne Erinnerungen mit.
Ausklang
Zu der Zeit, in der unsere Erzählung spielt, erschien eines Tages in einer Jerewaner Zeitung eine Notiz unter der Überschrift: »Ein wichtiger Fund«. Darin hieß es, junge Natur-forscher aus dem Dorfe Litschk hätten einen wertvollen Schatz gefunden und ihn dem Staat übergeben.
Im Dorf wurde einige Tage danach bekannt, der Jäger Assatur, sein Enkel Kamo und seine Freunde sollten den ihnen zustehenden Finderlohn erhalten. Die Höhe der Summe übertraf alle Erwartungen.