»Zeig her«, bat Kamo und prüfte die Eier mit seinen Zähnen. »Sind die aber hart!«
Dann betrachteten die Kinder das Nest genauer. Es war riesengroß und bestand aus kunstvoll ineinander verflochtenen dürren Schilfblättern und Gräsern. Innen war es sorgfältig mit Federn gepolstert.
»Die Eier werden wir mitnehmen«, sagte Asmik, »sie sind ganz frisch.«
»Woran merkst du das?« fragte Kamo.
»Daran, daß wenig Eier im Nest liegen«, erwiderte Asmik. »Faß mal an, eins ist noch ganz warm, das ist eben erst gelegt worden. Eine Wildgans legt aber, glaube ich, zwölf Eier und fängt erst dann an zu brüten. Wenn also weniger Eier, im Nest sind, dann müssen sie eben frisch sein... Die Ente legt noch mehr Eier, manchmal sechzehn Stück.«
Nachdem die Kinder die Eier betrachtet hatten, streiften sie weiter auf der Insel umher.
Grikor rief:
»Hier ist noch ein Nest mit ganz bunten Eiern. Was für welche können das sein?«
Er stand vor einem großen Nest, in dem neun Eier lagen. Das aus dürrem Schilf gefertigte Nest war von außen grob und hart, innen jedoch mit zartem, weichem Flaum ausgelegt.
Asmik kam angelaufen und nahm ein Ei heraus, das wie mit Sommersprossen bedeckt aussah.
»Das sind die Eier vom schwarzen Wasserhuhn«, erklärte sie gewichtig.
Armjon brachte eine ganze Mütze voll grauweißer Eier, sie hatten eine längliche Form und glatte Schale.
»Was sind das für welche?« wollte er wissen.
»Das sind natürlich Enteneier«, sagte Asmik, »daß du das nicht weißt, Armjon! Sie stammen von Wildenten, die fast genauso aussehen wie unsere Hausenten.«
Armjon sah Asmik an und lächelte:
»Woher weißt du das eigentlich alles?«
»Ich hab' euch doch schon erzählt, daß ich im vorigen Jahr mit meiner Mutter oft Eier gesammelt habe.«
Vom Jagdeifer gepackt, schnüffelte Tschambar eifrig im Schilfdickicht und entdeckte Gänge, die von einem Otter stammten. Doch all sein Bemühen war zu seiner Verwunderung vergeblich. Kein Jäger folgte ihm, und kein Schuß ertönte.
Kamo freute sich über die Vogelnester, die Tschambar aufstöberte; er sammelte die Eier ein und lobte den Hund immer wieder. Jetzt hatte das kluge Geschöpf nämlich begriffen, was von ihm verlangt wurde, und half Kamo eifrig beim Eiersuchen. Freudiges Gebell kündete jedes neu aufgefundene Nest an. Während Kamo dann die Eier herausnahm, stand Tschambar schwanzwedelnd neben ihm.
An einer Stelle aber, zu der ihn der Hund geführt hatte, fand Kamo nichts weiter als ein Häufchen zerbröckelten Schilfs.
»Warum hast du mich denn angeführt, Tschambar?« sagte Kamo und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. Er war gerade im Begriff umzukehren, aber der Hund stellte sich ihm in den Weg und bellte herausfordernd. »Du hast wohl den Verstand verloren?« fragte der Junge und wollte erneut weitergehen, doch Tschambar rührte sich nicht von der Stelle.
Kamo sah nun genauer hin und entdeckte in der Mitte des Schilfhäufchens ein sorglich mit Federflaum bedecktes Nest. Er schob die Federn beiseite und strahlte. Der Hund hatte ihn nicht angeführt. In dem Nest lagen acht große graue Eier.
Das müssen Gänseeier sein, dachte Kamo, aber wo mag die Gans stecken? Hat die Eier einfach mit ihren Federn bedeckt und ist auf und davon, vielleicht, um zu fressen...
»Was ist denn das — eine Schlange?« schrie plötzlich Armjon auf und wich erschrocken zurück. Aus dem Dickicht sahen ihn zwei böse funkelnde Augen an, die weit auseinanderstehend auf einem flachen grauen Köpfchen saßen.
Asmik lief herbei, blickte sich ängstlich um und brach dann in ein schallendes Gelächter aus.
»Du bist mir ja ein Held! Das ist doch eine Ente! Sie brütet. Sie sitzt auf den Eiern und will nicht aufstehen. Ich hab' mich auch mal so erschreckt«, fügte sie hinzu. »Wenn eine Wildente so auf ihren Eiern sitzt und nur Kopf und Hals zu sehen sind, sieht das wirklich aus wie ein Schlange... Komm weg. Wir dürfen sie nicht stören.«
»Warte, ich werde erst eine Aufnahme machen!« rief Armjon und stellte seinen Apparat ein.
Doch die Ente war durch das Auftauchen so vieler Menschen scheu geworden. Sie flog auf, und nun konnten die Kinder das aus trockenem Laub und Moos gefertigte Nest genauer betrachten. Asmik zählte die Eier.
»Rührt das Nest nicht an«, sagte sie, »die Ente wird zurück-kommen«, und sie zog die Gefährten mit sich fort.
Kaum hatten sie sich ein wenig entfernt, als sie hinter sich Flügelschlagen hörten. Die Ente kehrte zu ihrem Nest zurück.
»Habt ihr eigentlich gar keinen Hunger?« wollte plötzlich Grikor wissen. »Was denkt ihr euch? Wir müssen doch was essen!«
»Ich bin auch hungrig«, gab Kamo zu. »Aber was sollen wir essen?«
»Was wir essen sollen? Unseren Enterich vom Großvater wollen wir braten, und dazu machen wir uns ein ,wildes' Rühr-ei... «
»Ein wildes?« Asmik mußte lachen. »Das ist ein prima Einfall. Woher nehmen wir aber eine Pfanne und Fett? Wie wärs mit gekochten Eiern? Dazu könnten wir den Eimer nehmen, mit dem wir das Wasser aus dem Boot geschöpft haben.«
Grikor lief zum Ufer zurück und brachte den kleinen Eimer und den vom Großvater erlegten Enterich.
»Und Salz, Brot, Zündhölzer - woher wollen wir das alles nehmen?« fragte Kamo.
»Ein richtiger Hirt muß so was bei sich haben«, erwiderte Grikor und nahm den Brotbeutel von der Schulter. Darin war tatsächlich alles, was die Kinder zu ihrer Mahlzeit brauchten.
Sie trugen trockenes Schilf zusammen und häuften es auf, zu beiden Seiten wurden die Ruder in den Boden gerammt und mit Weidengerten verbunden. Daran wurde das Eimer-chen aufgehängt.
Grikor schlug vor, Möweneier zu kochen.
»Die Gänse- und Enteneier sind zu schade dafür.«
Armjon rümpfte die Nase:
»Pfui, Möweneier - kann man die denn essen?«
»Weshalb denn nicht?« erwiderte Grikor. »Ich habe sogar' schon gekochte Rabeneier gegessen.«
Er legte einige Möweneier für sich beiseite und zündete das Feuer an. Das dürre Schilf flammte im Nu auf.
Bis das Wasser heiß war und die Eier gekocht werden konnten, machte sich Grikor rasch und geschickt an das Rupfen der Ente. Sachgemäß wurde der Vogel über dem Feuer ab-gesengt. Dann nahm er ihn aus, wusch ihn und rieb ihn mit Salz ein. Nachdem er die Ente auf einen Stock gespießt hatte, briet er sie unter ständigem Drehen über dem Feuer goldbraun. Bald verbreitete sich ein appetitlicher Bratenduft. Als der Vogel gar schien, riß Grikor ihm ein Bein aus und machte sich heißhungrig darüber her.
»Warte doch«, tadelte Kamo, »wir wollen alle zusammen essen. Armjon, gieß kaltes Wasser auf die Eier! Inzwischen will ich den Tisch decken. «
Mit viel Geschick baute Kamo aus Schilfrohr eine Art Hocker, bedeckte ihn mit dürrem Laub, legte das in Stücke geschnittene Brot darauf und stellte die Salzbüchse daneben.
»So, nun ist der Tisch gedeckt. Armjon, bring jetzt die Eier - Grikor, wie weit ist dein Entenbraten?«
Kein Lüftchen regte sich. Es war ein milder Frühlingstag, und die Sonne schien warm. Lustig und vergnügt speisten die Kinder in ihrem zauberhaften Winkel im Schilf, zwischen Seen und Kanälen.
Sie aßen die gebratene Ente und die Eier mit gutem Appetit. Am herzhaftesten griff natürlich Grikor zu. Sein unergründlicher Magen war den jungen Freunden nur allzugut bekannt, und Scherzworte ermunterten ihn noch, sich gehörig vollzustopfen.
Nachdem sie sich gestärkt hatten, wurde die Eiersuche fort-gesetzt, und das Auffinden eines neuen Nestes wurde jedesmal durch laute Rufe verkündet.
Die Freude dauerte indessen nicht lange.
Jählings, und wie es schien, aus allernächster Nähe, ertönte hinter dem Schilf wiederum das schon bekannte furchtbare Gebrüll.
Asmik ließ die eben eingesammelten Eier vor Schreck fallen, und Grikor lief, so schnell es ging, zum Boot zurück.