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Fletcher brach ab und lächelte Murchison bewundernd an. Lieutenant Haslam murmelte irgend etwas vor sich hin, wie daß er selbst schon häufig Lust gehabt hätte, die Tür der Pathologin einzutreten, doch der Captain brachte ihn mit einem Stirnrunzeln zum Schweigen. Lieutenant Dodds und Chen blieben als artige rangniedrige Offiziere in respektvoller Weise stumm. Zusammen mit den restlichen anwesenden männlichen Terrestriern der Klassifikation DBDG strahlten sie gedämpfte, angenehme Emotionen aus, die Prilicla als mit dem Drang zur Paarung verknüpft beschrieben hätte. Oberschwester Naydrad, die nur selten eine Störung bei der Nahrungsaufnahme zuließ, nahm von den Äußerungen und Vorgängen keine Notiz und fuhr mit der Einverleibung großer Portionen grüner und gelber Pflanzenfasern fort, die von ihrer Spezies als Nahrung besonders geschätzt wurden.

Der für Emotionen empfängliche Doktor Prilicla, der einfach niemanden ignorieren konnte, schwebte ohne Anzeichen emotionalen Leidens still über der Tischkante. Ganz offensichtlich war der Captain also gar nicht so verärgert, wie er klang.

„… jetzt mal im Ernst, Doktor“, fuhr Fletcher fort. „Es ist ja nicht nur Thornnastor, der sich in nicht für FGLIs bestimmten Schiffsabschnitten wie ein Elefant im Porzellanladen aufführt. Einige andere Extraterrestrier nehmen schließlich auch ganz schön viel Platz ein. Manchmal sitzt jedem einzelnen Besatzungsmitglied der Tenelphi ungefähr ein halbes Dutzend ETs oder Terrestrier zu Füßen und lauscht den Berichten über das, was sie auf diesem Wrack gesehen haben. Aber uns hier vom Ambulanzschiff behandeln die, als hätten wir uns eine besonders entartete Form von Lepra eingefangen. Dabei haben wir uns mit dem gleichen Grippevirus angesteckt wie die Besatzung vom Aufklärungsschiff“

Conway lachte und entgegnete: „Ich kann die Vorbehalte dieser Leute verstehen, Captain. Denen ist schließlich historisches Material von unermeßlichem Wert entgangen, das man schon seit vielen Jahrhunderten unwiederbringlich verloren geglaubt hatte. Das bedeutet, sie haben es gleich zweimal verloren, und deshalb sind sie mir auch doppelt böse, weil ich nicht mit einem ganzen Ambulanzschiff voller Dokumente und Gebrauchsgegenstände von der Einstein zurückgekehrt bin. Ehrlich gesagt, war ich damals sogar in der Versuchung, das zu tun. Aber wer weiß, was ich zusammen mit diesen Dokumenten noch an siebenhundertjährigen Bakterien- und Virusinfektionen mitgebracht hätte, gegen die wir nur geringe oder gar keine Widerstandskräfte besitzen. Dieses Risiko konnte ich einfach nicht eingehen. Und wenn meine Kritiker endlich aufhören, die bitter enttäuschten Amateurhistoriker zu spielen und sich wieder ihren Aufgaben als Ärzte und Diagnostiker dieses Hospitals widmen, dann wird ihnen schon klar werden, daß sie unter solchen Umständen genauso gehandelt hätten wie ich.“

„Da stimme ich Ihnen voll und ganz zu, Doktor“, erwiderte Fletcher. „Ich hab sowohl für Ihre Probleme als auch für die der Amateurhistoriker vollstes Verständnis. Ich weiß aber auch, daß die sich vorm Verlassen des Schiffs alle einem äußerst gründlichen und — na ja — körperlich höchst unangenehmen Dekontaminierungsverfahren haben unterziehen müssen. Und diese Prozedur sondert mit Ausnahme der Enthusiasten und Masochisten unter den Amateurhistorikern alle anderen aus. Ich wollte lediglich wissen, ob man diesen Leuten auf höfliche Art beziehungsweise überhaupt irgendwie mitteilen kann, daß sie sich von meinem Schiff fernhalten sollen?“

„Nun, unter diesen Leuten sind auch einige Diagnostiker“, antwortete Conway etwas hilflos.

„Also, Sie sagen das so, als wenn das eine Antwort auf meine Frage wäre, Doktor“, erwiderte der Captain mit verblüffter Miene. „Was gibt es denn so Besonderes an einem Diagnostiker?“

Die gesamte Tischrunde hörte auf zu essen und blickte Conway an, der als einziger an Bord außerhalb seiner sterilen Kabine nirgendwo Mahlzeiten zu sich nehmen durfte. Priliclas Schweben wurde ein wenig unruhiger, und Naydrad ließ einen kurzen, unübersetzbaren Nebelhornstoß ertönen, der bei Kelgianern wahrscheinlich einem ungläubigen Schnauben entsprach. Auf Fletchers Frage antwortete aber nicht Conway selbst, sondern Murchison.

„Die Diagnostiker sind tatsächlich etwas ganz Besonderes, Captain“, sagte sie und fügte lächelnd hinzu: „Und auch etwas höchst Eigenartiges. Ihnen ist ja bereits bekannt, daß Diagnostiker das ranghöchste medizinische Personal im Hospital darstellen und daher nicht so ohne weiteres herumkommandiert werden können. Zudem weiß man bei einem Gespräch mit einem Diagnostiker nie so genau, mit wem oder was man eigentlich spricht.“

Wie Murchison weiter erklärte, verfügte das Orbit Hospital zwar über die Ausrüstung zur Behandlung jeder intelligenten Lebensform, aber kein einzelnes Lebewesen konnte auch nur einen Bruchteil der für diesen Zweck notwendigen physiologischen Daten im Kopf behalten. Natürlich eignete man sich durch Übung und Erfahrung chirurgisches Geschick und einen gewissen Grad an diagnostischen Fähigkeiten an, doch das vollständige physiologische Wissen für eine angemessene Behandlung irgendeines Patienten wurde durch das sogenannte Schulungsbandsystem vermittelt. Ein solches Band war nichts anderes als die Aufzeichnung der Gehirnströme einer medizinischen Kapazität, die derselben oder einer ähnlichen Spezies angehörte wie der zu behandelnde Patient.

Wenn zum Beispiel ein terrestrischer Arzt einen kelgianischen Patienten medizinisch zu versorgen hatte, speicherte er bis zum Abschluß der Behandlung eins der DBLF-Schulungsbänder im Gehirn und ließ es anschließend wieder löschen. Die einzige Ausnahme bildeten neben den Diagnostikern die Chefärzte, zu deren Aufgabe auch die Weiterbildung des medizinischen Personals gehörte. Sie mußten häufig ein, zwei Bänder über einen längeren Zeitraum im Kopf behalten und konnten sich allenfalls damit trösten, daß es Diagnostikern noch schlechter erging als ihnen.

Ein Diagnostiker gehörte der geistigen Elite des Orbit Hospitals an. Er war eines jener seltenen Wesen, deren Psyche und Verstand als ausreichend stabil erachtet wurde, permanent bis zu zehn Bänder gleichzeitig im Kopf gespeichert zu haben. Ihren mit Daten vollgestopften Hirnen oblag in erster Linie die Aufgabe, medizinische Grundlagenforschung zu leisten und neue Krankheiten bislang unbekannter Lebensformen zu diagnostizieren und zu behandeln.

Mit einem Schulungsband wurden einem aber nicht nur die physiologischen Fakten einer Spezies ins Gehirn eingeimpft, sondern auch die gesamte Persönlichkeit und das komplette Gedächtnis des Wesens, das dieses Wissen einst besessen hatte. Praktisch setzte sich ein Diagnostiker freiwillig einer höchst drastischen Form multipler Schizophrenie aus. Die fremden Persönlichkeiten, die seinen Geist scheinbar mit ihm teilten, konnten durchaus unangenehme und aggressive Wesen mit allen Arten von Reizbarkeit und Phobien sein — schließlich sind Genies, ob auf medizinischem oder irgendeinem anderen Gebiet, nur selten freundliche Leute.

Zwar wurde die eigene Persönlichkeit durch ein Schulungsband niemals vollständig unterdrückt, doch wenn man einem Diagnostiker gegenüber einen Wunsch nichtmedizinischer Natur äußerte, hing seine Reaktion stets von dem Fall oder Forschungsprojekt ab, an dem er gerade arbeitete, und wieviel Konzentration er dafür aufwenden mußte. Darüber hinaus war es auch noch eine Frage des Anstands, zunächst einmal herauszufinden, was für eine Persönlichkeit gerade partiell die Kontrolle über das Gehirn des betreffenden Diagnostikers übernommen hatte, bevor man überhaupt einen Ton sagte. Diagnostiker gehörten nicht gerade zu denjenigen, denen man Anweisungen erteilte. Selbst der Chefpsychologe des Orbit Hospitals, O'Mara, mußte sie mit einem gewissen Grad an Besonnenheit behandeln.