Als Conway das Kommandodeck verließ, um sich wieder nach achtern auf das Unfalldeck zu begeben, entgegnete Haslam gerade mit ruhiger und durchaus respektvoller Stimme: „Ich hab aber nur zwei Augen, Sir, und die lassen sich nicht unabhängig voneinander bewegen.“
Eine Stunde und fünfundzwanzig Minuten später flog die Rhabwar so nah am ersten Wrackteil vorbei, daß der Besatzung fast das Herz stehenblieb. Die Sensoren hatten bereits negative Ergebnisse geliefert — außer Mobiliar und Verschalungsteilen aus Plastik waren im Wrackteil keine organischen Substanzen vorhanden, und es gab auch keine Atmosphäreblasen, in denen ein Wesen hätte überleben können. Als die Besatzung der Rhabwar einen Traktorstrahl zur Abbremsung der schnellen Drehung auf das Wrackteil zu richten versuchte, stoben die gesamten Trümmerstücke in sämtliche Richtungen auseinander, und die Rhabwar mußte ein gewagtes Ausweichmanöver durchführen.
Nach knapp einer Stunde hatte die Rhabwar das zweite Wrackteil erreicht. Man mußte die Fluggeschwindigkeit herabsetzen, um sich ihm zu nähern, weil sich nach Angabe der Sensoren im Innern des Wracks kleine Atmosphäreblasen befanden sowie nicht zur Konstruktion gehörende organische Substanzen, die jedoch nicht notwendigerweise noch leben mußten. Damit die lockere Trümmermasse nicht auseinanderbrach und die möglicherweise lebensspendenden Luftblasen nicht in den Raum verpufften, riskierte die Besatzung diesmal aber keinen Abbremsungsversuch der Drehung. Statt dessen wurden während des langsamen, vorsichtigen und extrem nahen Anflugs die Aufzeichnungsgeräte für die Sensoren und die Kameras eingeschaltet. Diesen nahen Anflug führte man wegen Prilicla durch, doch der Empath berichtete mit Bedauern, daß keine lebenden organischen Substanzen vorhanden waren.
Bevor sie das dritte Wrackteil erreichten, das wegen seiner Größe für eine Untersuchung am vielversprechendsten schien, blieben ihnen zur Auswertung der Aufnahmen noch drei Stunden Zeit. Im Verlauf dieser Untersuchung erfuhren sie aus der Art, in der die Bauelemente durch den Unfall verbogen und auseinandergerissen worden waren, eine ganze Menge über die Konstruktionsphilosophie der extraterrestrischen Schiffbauingenieure. Von den Abmessungen der Gänge und Kabinen ließ sich auf die Größe der Wesen schließen, die die Schiffsbesatzung gebildet hatten. Man entdeckte Gegenstände, die wie im Wrack eingeklemmte und teilweise verdeckte dicke, vielfarbige Pelzstücke aussahen. Es hätte sich um Bodenbelag oder Bettzeug handeln können, wenn nicht ein paar dieser Stücke durch Gurte gehalten worden wären. Außerdem wiesen viele dieser Pelzstücke rotbraune Farbtupfer auf, die eine sehr große Ähnlichkeit mit geronnenem Blut hatten.
„Nach der Farbe dieser Flecke zu urteilen, ist die Annahme berechtigt, daß es sich um warmblütige Sauerstoffatmer handelt“, sagte Murchison, als sie zusammen mit Conway die Standbilder auf dem Repeaterschirm des Unfalldecks betrachtete. „Aber glaubst du, daß jemand ein solches Unglück überhaupt überleben kann?“
Conway schüttelte zwar den Kopf, bemühte sich aber in optimistischem Ton zu antworten: „Die Flecken auf dem Fell scheinen kaum etwas mit Rißwunden oder Quetschungen zu tun zu haben, die man sich durch heftiges Abbremsen oder einen Aufprall zuzieht. Denn in so einem Fall gräbt sich der ja eigentlich zum Schutz bestimmte Sicherheitsgurt tief in den Körper ein. Obwohl man nach diesen Bildern unmöglich sagen kann, was bei den Körpern oben oder unten ist, befinden sich die Flecken anscheinend bei allen Körpern an der gleichen Stelle. Diese Tatsache deutet auf eine explosionsartige Dekompression und den Austritt von Körperflüssigkeit durch natürliche Öffnungen hin und nicht auf schwere äußere Verletzungen durch plötzliches Abbremsen oder eine Kollision. Zwar hat keins dieser Lebewesen einen Raumanzug getragen, aber wenn einer dieser Raumfahrer schnell genug war, sich einen Anzug anzuziehen, oder aus irgendeinem glücklichen Umstand heraus bereits einen trug, dann müßte er es eigentlich geschafft haben zu überleben.“
Bevor Murchison antworten konnte, wechselte das Bild auf dem Schirm, und das dritte Wrackteil war zu sehen. Gleichzeitig kam die Stimme des Captains aus dem Wandlautsprecher.
„Das hier sieht nach unserem bislang besten Fund aus, Doktor“, berichtete Fletcher aufgeregt. „Das Wrackstück hat keine nennenswerte Drehung, das heißt, wir können, falls nötig, leicht an Bord gehen. Der Nebel, den Sie sehen, besteht nicht nur aus entwichener Luft, sondern setzt sich auch aus verdampftem Wasser und verbrannter Flüssigkeit aus den hydraulischen Systemen des Schiffs zusammen. Falls aus dem Wrack Luft entwichen sein sollte, dann könnte jedenfalls an Bord noch eine ganze Menge davon vorhanden sein. Es scheint auch noch so etwas wie ein Notstromkreis in Betrieb zu sein. Der ist aber ziemlich schwach und versorgt wahrscheinlich die Notbeleuchtung. Wir sollten vielleicht an Bord gehen. Sind Sie alle bereit?“
„Ich bin bereit, Freund Fletcher“, bestätigte Dr. Prilicla.
„Na klar“, versicherte Naydrad.
„Wir sind in zehn Minuten an der Unfalldeckschleuse, Captain“, meldete Conway.
„Für den Fall, daß technische oder konstruktionsbedingte Probleme auftreten sollten, werden Lieutenant Dodds und ich selbst Sie begleiten“, entgegnete der Captain. „Also in zehn Minuten, Doktor.“
Kurz darauf war in der Luftschleuse des Unfalldecks nicht mehr viel Platz, als Captain Fletcher, Lieutenant Dodds, Oberschwester Naydrad mit der bereits aufgeblasenen Drucktragbahre, und die Doktoren Prilicla und Conway mit Fuß- und Handgelenkmagneten an Boden und Wänden der Schleuse hafteten und das Herannahen des Wrackteils beobachteten. Es sah wie ein großes rechteckiges, in Nebel gehülltes Metalldickicht aus, das wiederum von kleineren Metallklumpen umgeben war, von denen einige schnell rotierten, andere hingegen ohne Eigenbewegung umhertrieben. Als Conway nach dem Grund dafür fragte, schwieg der Captain wie jemand, der sich selbst schon dieselbe Frage gestellt hatte, sie jedoch auch nicht beantworten konnte. Also warteten sie, während sich das Ambulanzschifff zwischen zweien der wie wild rotierenden Trümmersatelliten hindurch langsam näher an das Wrack heranschob. Das Licht ihrer Anzugscheinwerfer wurde ebenso wie das der Schiffslampen von der verbeulten Metallhaut und den vorspringenden Bauteilen des Wracks reflektiert. Sie warteten so lange weiter, bis der kleine Cinrussker in seinem Raumanzug auf einmal zu zittern begann.
„Da drinnen ist noch irgend jemand am Leben“, berichtete Prilicla schließlich.
Da die emotionale Ausstrahlung des Überlebenden nur sehr schwach und typisch für ein Gehirn war, das mit jeder Minute in immer tiefere Bewußtlosigkeit versank, war notgedrungen eine zwar eilige, aber dennoch möglichst umsichtige Suche angesagt. Wenn Prilicla nicht mehr vorangehen konnte, zeigte er zumindest den richtigen Weg, und Captain Fletcher und Dodds bahnten dann mit Schneidbrennern einen Pfad durch metallene Hindernisse oder schoben frei herumfliegende Trümmer und verhedderte Kabelstränge mit isolierten Handschuhen beiseite — schließlich war noch ein Stromkreis in Betrieb. Dicht hinter den beiden folgte Conway, der sich in der Schwerelosigkeit mit einer Art schwebendem Kriechen durch nur einen Meter zwanzig hohe Gänge und Schiffsabschnitte voranzog.
Zwar waren die Mitglieder der Schiffsbesatzung größer, gingen aber anscheinend nicht aufrecht.