Zweimal entdeckte Conway im Lichtkegel seines Anzugscheinwerfers die Körper von Besatzungsmitgliedern, die er befreite und sanft den vorhin von ihm selbst genommenen Weg zurückschob, damit die wartende Naydrad die Toten in den nicht unter Druck gesetzten Teil der Bahre legen konnte. Denn sollte der Überlebende eine dringende operative Behandlung benötigen, wäre Conway viel wohler, wenn Murchison ein paar Leichen zum Sezieren hätte, weil sie ihm so sagen könnte, wie er den Lebenden wieder zusammenzuflicken hatte.
Da die Körper der Toten in Raumanzügen steckten, hatte Conway immer noch kein klares Bild von ihrem Aussehen. Darüber hinaus waren die Anzüge und das darunterliegende Zellgewebe durch einen heftigen Zusammenprall mit Metalltrümmern zerrissen worden. Und wenn die daraus resultierenden Wunden die Wesen nicht getötet hatten, dann ganz sicher die Dekompression. Nach den Raumanzügen zu urteilen, hatten diese Wesen die Form von ungefähr einen Meter achtzig langen, abgeflachten Zylindern. Hinter einem kegelförmigen Teil — wahrscheinlich dem Kopf — befanden sich vier Paar Greiforgane sowie vier weitere Gliedmaßen, die zur Fortbewegung dienen mußten. Am vermutlich hinteren Teil des Anzugs war eine deutliche Verdickung festzustellen. Abgesehen von der geringeren Größe und Anzahl der Gliedmaßen, ähnelten die Wesen rein körperlich der Spezies der Kelgianer, zu der auch Naydrad gehörte.
Als sie am Eingang einer noch mit Druck versehenen Kabine anhielten, hörte Conway, wie der Captain irgend etwas über die in den Raumanzügen steckenden Aliens vor sich hin murmelte. Voll konzentriert versuchte Prilicla mit seiner empathischen Fähigkeit den Überlebenden aufzuspüren, der sich irgendwo hinter diesem Abschnitt befinden mußte. Bevor der Captain und Dodds die Tür herausschweißten, bohrte Conway zur Entnahme einer Atmosphäreprobe, die Murchison analysieren sollte, ein Loch hindurch, damit sie das passende Lebenserhaltungssystem für den Überlebenden vorbereiten konnte. Im Innern der Kabine brannte Licht.
Es war ein warmes orangefarbenes Licht, das wichtige Informationen über das Heimatgestirn und die Sehorgane dieser Spezies liefern würde. Aber im Moment beleuchtete es lediglich ein heilloses Durcheinander aus umhertreibendem Mobiliar, verbogener Wandverschalung und einem Gewirr von Rohren und Aliens, die zwar teilweise Raumanzüge trugen, jedoch samt und sonders tot waren.
Plötzlich sah Conway, daß der dickere Abschnitt am hinteren Teil der Raumanzüge zur Aufnahme eines langen pelzigen Schwanzes diente.
„Das hier sind Kollisionsschäden, verdammt noch mal!“ fluchte Fletcher los. „So was hätte ein ausgefallener Hyperantriebsgenerator allein nie anrichten können!“
Conway räusperte sich und sagte: „Captain, Lieutenant Dodds, ich weiß zwar, daß wir keine Zeit haben, um Material für ein größeres Forschungsvorhaben zu sammeln, aber falls Sie so etwas wie Fotografien, Bilder oder Abbildungen sehen sollten, irgendwas, das mir Aufschluß über die Physiologie und die Umweltbedingungen dieser Aliens geben könnte, dann bringen Sie es bitte mit.“ Er suchte eine weitere, nicht allzu stark entstellte Alienleiche heraus, wobei ihm der spitze, fuchsartige Kopf und das dicke, breitgestreifte Fell auffielen, wodurch der Allen wie ein pelziges, kurzbeiniges Zebra mit einem gewaltigen Schwanz aussah. „Naydrad, hier ist noch einer für Sie“, fügte er hinzu.
„Ja, das muß die Lösung sein“, sagte der Captain halb zu sich selbst. An Conway gewandt fuhr er fort: „Doktor, diese Wesen hatten doppeltes Pech, der Überlebende dagegen doppeltes Glück.“
Laut Fletcher hatte der Ausfall des Hyperantriebsgenerators das Schiff auseinandergerissen, wobei die Einzelteile in alle Richtungen zerstreut wurden. Doch in diesem Wrackstück überlebte ein Teil der Besatzung und konnte noch die Raumanzüge anlegen. Vielleicht hatten sie sogar eine Vorwarnung vom Herannahen der zweiten Katastrophe — nämlich daß ihr Wrackteil von einem zweiten Trümmerstück von der gleichen enormen Größe eingeholt wurde. Bei der Kollision mußte das vordere Ende des ersten Wrackteils nach unten, der hintere Teil des zweiten dagegen nach oben geschwungen sein. Dadurch wurde die kinetische Energie der beiden Trümmerstücke aufgehoben, die Teile selbst in den Ruhezustand versetzt und praktisch miteinander verschmolzen. Das war nach Meinung des Captains die einzige Erklärung für die hier entstandenen Verletzungen und Schäden und ebenso für die Tatsache, daß es sich bei diesem Wrackteil um den einzigen nicht rotierenden Abschnitt des Alienschiffs handelte.
„Ich glaube, da haben Sie recht, Captain“, entgegnete Conway und fischte aus den umhertreibenden Trümmern ein flaches Plastikstück heraus, auf dessen einer Seite sich anscheinend eine Landkarte befand. „Aber im Moment ist das alles doch noch nur reine Theorie.“
„Ja, natürlich“, erwiderte Fletcher knapp. „Aber ich hab nun mal was gegen offene Fragen. Doktor Prilicla, wo geht es jetzt lang?“
Der kleine Empath deutete schräg nach oben zur Decke der Kabine und antwortete: „Fünfzehn bis zwanzig Meter in diese Richtung, Freund Fletcher. Aber ich muß Ihnen eine gewisse Verwirrung meinerseits eingestehen. Denn seit wir hier in der Kabine sind, scheint sich der Überlebende langsam zu bewegen.“
Fletcher seufzte laut auf. „Also ein noch bewegungsfähiger Überlebender im Raumanzug“, stellte er mit erleichterter Stimme fest. „Das wird die Rettungsaktion ungemein vereinfachen.“ Er blickte Dodds an, und dann begannen sie gemeinsam, die Deckenplatten aufzuschneiden.
„Nicht unbedingt“, widersprach Conway. „Wir würden nämlich gleichzeitig mit der Rettung auch noch in eine Erstkontaktsituation geraten. Mir ist es viel lieber, wenn unbekannte und verwundete Aliens nicht bei Bewußtsein sind. Dann kann man den Kontakt nach erfolgter Heilbehandlung herstellen und übt größere Kontrolle über den.“
„Doktor“, unterbrach ihn der Captain, „eine raumreisende Spezies mit dem aus dieser Fähigkeit abzuleitenden technischen und philosophischen Wissen wird doch wohl damit rechnen, auf Lebewesen zu stoßen, die in ihren Augen Aliens sind. Und selbst wenn diese Wesen so etwas nicht erwarten, würden sie sich zumindest der hohen Wahrscheinlichkeit für eine Begegnung mit fremden Lebensformen bewußt sein.“
„Gut, zugegeben“, entgegnete Conway. „Aber ein verletzter ET, der nur zum Teil bei Bewußtsein ist, könnte beim Anblick eines Aliens, der körperlich womöglich einem natürlichen Feind oder Raubtier auf seinem Heimatplaneten ähnelt, instinktiv und unlogisch reagieren. Und ein Extraterrestrier, der bei vollem Bewußtsein ist und keinerlei Vorkenntnisse über die ihn behandelnden Wesen besitzt, könnte einen operativen Eingriff oder das, was wir als ärztliche Fürsorge verstehen, als etwas ganz anderes auslegen. Möglicherweise als Folter oder als ein medizinischen Experiment.
Nur allzuoft muß ein Arzt einem Patienten grausame Schmerzen bereiten, obwohl er ihm nur helfen will.“
In diesem Augenblick löste sich ein großer, kreisförmiger Teil der Decke, dessen Ränder von der Hitze der Schneidbrenner noch feuerrot glühten. Dodds und der Captain schoben das herausgeschweißte Stück beiseite und stiegen durch das Loch hindurch.
Prilicla folgte ihnen und sagte: „Es tut mir leid, wenn ich Sie verwirrt hab, meine Freunde. Der Überlebende bewegt sich zwar langsam, liegt aber in viel zu tiefer Bewußtlosigkeit, um sich selbst zu bewegen.“
Die Anzugscheinwerfer leuchteten jetzt einen Raum aus, der an einigen Stellen zum All hin offen war. Hier wimmelte es von herumschwebenden Trümmerstücken, Regalen und Behältern verschiedener Größen und einer Unmenge glänzender Pakete, die wahrscheinlich versiegelte Lebensmittel enthielten. Die Leichname dreier Aliens, die keine Raumanzüge trugen, waren zerfetzt und angeschwollen — ein Folge des Doppeleffekts der beim Zusammenprall erlittenen starken äußerer Verletzungen und der explosionsartigen Dekompression. Durch ein Gewirr von zerfetztem Metall erhellten die Außenstrahler der Rhabwar jene Bereiche der Kabine, die von den Lichtkegeln der Anzugscheinwerfer nicht mehr erfaßt wurden.