Eigentlich gab es keinen logischen Grund mehr, noch länger zu warten, und Conway gab das Startsignal. Nur wenige Sekunden später ertönte der Kommunikator, und Murchison, die ziemlich zerzaust und mürrisch aussah, erschien auf dem Bildschirm.
„Es hat hier einen leichten Unfall gegeben, eine Explosion“, berichtete sie. „Unser Typ zwei ist durch das Labor geflogen, hat ein paar Testgeräte beschädigt und mich fast zu Tode.“
„Aber er war doch tot“, unterbrach Conway sie mürrisch. „Die waren doch beide tot. hat Prilicla jedenfalls gesagt!“
„Das ist er auch immer noch“, antwortete Murchison, „und er ist auch nicht direkt geflogen. er ist von uns weggeschossen. Ich bin mir über den Mechanismus des Vorgangs noch nicht ganz sicher, aber anscheinend erzeugt das Ding in seinem Darmtrakt Gase, die als Gemisch explosiv reagieren und es nach vorn schnellen lassen. In Verbindung mit seinen Flügeln benutzt, könnten diese Gase dem Wesen helfen, sich schnell bewegenden natürlichen Feinden wie dem anderen Rankenfüßer zu entkommen. Als ich mit der Arbeit begonnen hab, mußten die Gase noch vorhanden gewesen sein.
Es gibt eine ähnliche Spezies, nur viel kleiner, die auf der Erde beheimatet ist. Als Vorbereitung auf die ET-Kurse haben wir die ausgefalleneren Tierarten der irdischen Fauna studiert. Diese Lebewesen wurden Bombardierkäfer genannt, und sie konnten.“
„Doktor Conway!“
Er wandte sich abrupt vom Bildschirm ab und rannte sofort in den Hauptsaal — man brauchte kein Empath zu sein, um auch so zu bemerken, daß irgend etwas Ernsthaftes passiert sein mußte.
Der Teamleiter der Wartungstechniker winkte Conway verzweifelt zu sich herüber, und Prilicla, eingeschlossen in seiner kugelförmigen Schutzhülle und getragen von einem künstlichen Schwerkraftneutralisator, dem sogenannten G-Gürtel, schwebte über dem Kopf des Mannes und zitterte am ganzen Körper.
„Zunehmende emotionale Ausstrahlung, mein Freund“, berichtete der Empath. „Das läßt auf rasch zurückkehrendes Bewußtsein schließen. Ich empfange Gefühle von Furcht und Bestürzung.“
Ein wenig von dieser Bestürzung kommt sicherlich von mir, dachte Conway.
Der Wartungsmonteur zeigte einfach mit dem Finger auf eine Stelle des Patienten.
Statt des harten Überzugs, den Conway zu sehen erwartet hatte, floß, kleckerte und tropfte dort langsam eine schwarze, zähflüssige Masse auf den Boden. Während er die Stelle beobachtete, auf die die Flamme gerichtet gewesen war, löste sich gerade diese Masse von einem der Rankenfüßer, der jetzt zuckte und seine Flügel ausbreitete. Er fing damit an zu schlagen, zuerst langsam, dann hob er vom Patienten ab, wobei er seine langen Ranken aus dem Vogel zog, bis er sich völlig befreit hatte und unbeholfen in der Luft flatterte.
„Sofort alle Schneidbrenner ausmachen!“ befahl Conway. „Aber kühlen Sie den Patienten mit den Luftschläuchen. Versuchen Sie, die schwarze Masse wieder zu erhärten!“
Aber die zähe, schwarze Flüssigkeit wollte nicht wieder hart werden. Erst einmal von der Hitze verflüssigt, setzte sich der Erweichungsprozeß selbständig fort. Der Hals des Patienten, der nun nicht mehr von der festen schwarzen Substanz gestützt wurde, fiel schwer zu Boden, und ein paar Sekunden später folgten die gewaltigen Flügel. Die schwarze Lache rings um den Patienten dehnte sich aus, und mehr und mehr von den Rankenfüßern kämpften sich frei, um mit breiten, membranartigen Flügeln durch die Halle zu flattern, wobei sie ihre Ranken wie lange, dünne Federn hinter sich herzogen.
„Alles zurück! In Deckung, schnell!“
Ihr Patient lag völlig reglos da und war mit ziemlicher Sicherheit tot, aber es gab nichts, was Conway tun konnte. Weder die Wartungstechniker noch das medizinische Personal waren gegen diese dünnen, eigentlich harmlos aussehenden Ranken dieser käfer- oder krebsartigen Tiere geschützt. Nur Prilicla befand sich in seiner durchsichtigen Kugel in Sicherheit, und jetzt schienen Hunderte von diesen Wesen den Raum zu füllen. Conway wußte, daß er eigentlich um das Wohl des Patienten hätte besorgt sein müssen, aber irgendwie war er es nicht. Handelte es sich dabei nur um eine verspätete Reaktion, oder gab es dafür noch einen anderen Grund?
„Mein Freund“, sagte Prilicla, wobei er ihn sanft mit seiner Kugel stieß,
„ich hoffe, Sie wissen, was Sie zu tun haben.“
Der Gedanke, daß dünne Rankenfüßerstränge in seine Kleidung, Haut und darunterliegendes Zellgewebe eindringen, seine Muskeln lähmen und in sein Gehirn kriechen könnten, ließ ihn zur Seitenkammer rennen, dicht gefolgt von Brenner und Prilicla. Kaum war der Cinrussker drinnen, schloß der Lieutenant die Tür.
Aber ein Rankenfüßer befand sich bereits in der Kammer.
Für den Bruchteil einer Sekunde funktionierte Conways Gehirn wie eine Kamera, die alles völlig emotionslos und deutlich wahrnahm: das Gesicht von O'Mara auf dem Bildschirm des Kommunikators, so ausdruckslos wie eine Steinplatte, nur die Augen verrieten Besorgnis; Prilicla, der in seiner Schutzkugel zitterte; der Rankenfüßer, der dicht unter der Decke schwebte, und dessen Ranken in dem von ihm selbst erzeugten Luftzug wehten; und Lieutenant Brenner, der ein Auge mit einem diabolischen Zwinkern geschlossen hielt, während er mit seiner Pistole, die mit Explosivgeschossen geladen war, auf den schwebenden Rankenfüßer zielte.
Irgend etwas stimmte nicht.
„Schießen Sie nicht“, bat Conway ruhig, aber bestimmt und fragte dann: „Haben Sie Angst, Lieutenant?“
„Normalerweise benutze ich dieses Ding zwar nicht“, antwortete Brenner und blickte etwas verwundert drein, „aber ich kann durchaus damit umgehen. Nein, ich hab keine Angst.“
„Und ich hab auch keine Angst, weil Sie diese Pistole haben“, sagte Conway. „Prilicla ist bestens geschützt und hat nichts zu befürchten. Also wer“, er deutete auf die zitternden Fühler des Empathen, „hat dann hier Angst?“
„Das Wesen dort oben, mein Freund“, entgegnete Prilicla und wies auf den Rankenfüßer. „Es hat Angst, ist verwirrt und höchst neugierig.“
Conway nickte, und während er beobachten konnte, wie Prilicla auf seine starke Erleichterung zu reagieren begann, sagte er: „Schubsen Sie das Wesen nach draußen, sobald der Lieutenant die Tür geöffnet hat, Doktor Prilicla — nur damit nichts passiert. Aber sachte, bitte.“
Kaum war der Rankenfüßer nach draußen befördert worden, röhrte O'Maras Stimme aus dem Kommunikator.
„Was, zum Teufel, haben Sie da eben getan?“
Conway versuchte, auf eine anscheinend einfache Frage eine entsprechend einfach Antwort zu finden, und entgegnete: „Ich glaube, man könnte sagen, daß ich vorzeitig so etwas wie eine planetarische Wiedereintrittssequenz eingeleitet hab.“
Kurz bevor Conway O'Maras Büro erreichte, war der erste Bericht von der Torrance eingetroffen. Er besagte, daß einer der beiden Sterne einen Planeten mit geringer Schwerkraft hatte, auf dem es auch Leben gab, das jedoch keine Anzeichen einer fortgeschrittenen Technologie aufwies. Der andere Stern hatte einen großen, sich schnell drehenden Planeten, der an den Polen so abgeflacht war, daß er eine gewisse Ähnlichkeit mit zwei an den Rändern verbundenen Suppenschüsseln auf wies. Auf dem zuletzt genannten Planeten war die Atmosphäre sehr dicht und reichte hoch hinauf, die Schwerkraft variierte zwischen drei Ge an den Polen und einem achtel Ge am Äquator, und es gab keinerlei Hinweise auf das Vorhandensein von Oberflächenmetallen. Nach astronomischen Maßstäben näherte er sich erst seit geraumer Zeit auf einer spiralförmigen Bahn bedrohlich seiner Sonne. Zudem hatten eine planetenweite Vulkanaktivität und die dadurch hervorgerufenen Dämpfe und Gase die Atmosphäre völlig undurchsichtig gemacht. Die Torrance bezweifelte stark, daß es auf diesem Planeten noch Leben gab.