„Das stützt meine Theorie, daß der Vogel, die Rankenfüßer und die andere insektenartige Lebensform — die gar kein Rankenfüßer, sondern vielmehr eine Art Bombardierkäfer ist — vom selben Planeten stammen“, rief Conway aufgeregt, als O'Mara den Bericht an ihn weitergeleitet hatte. „Die Rankenfüßer sind natürlich Parasiten mit geringem Gehirnvolumen, aber intelligent, sobald sie miteinander verbunden sind und als eine geschlossene Einheit, als eine sogenannte Gestalt, zusammenarbeiten. Sie müssen schon seit Jahrhunderten gewußt haben, daß ihr Planet seiner Zerstörung entgegenging, und haben sich deshalb zur Flucht entschieden. Bedenken Sie nur einmal, was alles dazu gehört, ohne jeden Einsatz von Metallen die Fähigkeit zu interstellaren Raumreisen zu entwickeln.“
Irgendwie mußten sie gelernt haben, wie sie in den Polarregionen mit hoher Schwerkraft die riesigen Vögel fangen und mit ihren Ranken kontrollieren konnten. Denn die Rankenfüßer waren eine körperlich schwache Spezies, und ihre Fähigkeit, nichtintelligente Wirtstiere zu kontrollieren, war die einzige Stärke, die sie besaßen. Die Vögel, das wußte Conway jetzt, waren eine nichtintelligente Spezies, genauso wie die Bombardierkäfer. Die Rankenfüßer hatten die Kontrolle über die Vögel übernommen, waren mit ihnen hoch über den Äquator geflogen, und hatten dabei die höchstmögliche körperliche Leistung befohlen, um die benötigte Höhe und Geschwindigkeit für den Zusammenschluß mit der letzten „Antriebsstufe“ — den Käfern — zu erreichen. Diese waren ebenfalls von den Rankenfüßern kontrolliert worden, vielleicht je fünfzig von einem Parasiten, und sie hatten sich wie ein gigantischer, spitzwinkliger Kegel an den Bereich hinter den Flügeln geheftet.
In der Zwischenzeit hatten die Rankenfüßer den Vogel gelähmt und in die Form eines Überschallgleiters gebracht, seine Klauen entfernt, um ihn aerodynamisch zu verbessern, und ihm irgendwelche Absonderungen injiziert, um den Verwesungsprozeß zum Stillstand zu bringen. Die „Crew“ hatte dann den Vogel und sich selbst in der richtigen Position versiegelt und war für die Dauer des Flugs in Winterschlaf gefallen, wobei das Zellgewebe des Vogels zur Lebenserhaltung verwendet wurde.
Als der Antriebskegel, der aus Millionen von Insekten bestand, von denen mehrere hunderttausend die intelligenten Kontrolleure darstellten, erst einmal in Position gebracht worden war, setzte sofort die Zündung ein. Das war von den Rankenfüßern sehr gleichmäßig und sanft bewerkstelligt worden, um die sich verjüngende Kegelspitze nicht an der Stelle zu zerquetschen oder zu zerbrechen, wo sie am Vogel befestigt war. Die Bombardierkäfer konnten jederzeit von ihnen dazu gebracht werden, ihre geringe, fast winzige Menge Schubkraft auszustoßen, egal, ob sie tot oder lebendig waren. Aber die Antriebskontrolleure hatten sogar mit ihrer Fähigkeit, sich selbst in einem harten Überzug zu versiegeln, nicht sehr lange gelebt — zumal sie ebenfalls entbehrlich waren. Doch hatten sie noch im Sterben mitgeholfen, ein organisches Raumschiff, das ein paar Hundert ihrer Artgenossen mit sich trug, auf Entweichgeschwindigkeit von ihrem verlorenen Planeten und seiner Sonne zu bringen.
„…ich weiß nicht, wie sie den Vogel für den Wiedereintritt in die Atmosphäre eines anderen Planeten in die richtige Position bringen wollten“, fuhr Conway mit Bewunderung fort, „doch die atmosphärische Erhitzung war als Auslöser des organischen Schmelzvorgangs beabsichtigt, sobald der Gleiter genügend abgebremst worden war. Das hätte den Rankenfüßern nämlich ermöglicht, sich von dem Vogel zu befreien und mit eigener Flügelkraft auf die Oberfläche zu fliegen. In meiner Eile, den Überzug zu entfernen, hab ich einem großen Bereich des vorderen Teils Hitze zugeführt, was praktisch die Wiedereintrittsbedingungen simuliert hat, und deshalb.“
„Ja, ja“, unterbrach ihn O'Mara gereizt. „Eine meisterliche Anwendung medizinischer Schlußfolgerungen, und ansonsten hatten Sie nichts als verdammtes Glück! Und wie ich Sie kenne, wollen Sie es jetzt mir überlassen, die Sache in Ordnung zu bringen, indem ich eine Methode finde, wie man sich mit diesen Dingern am besten verständigen und den Transport zu ihrem geplanten Ziel in die Wege leiten kann, nicht wahr? Oder gibt es vielleicht noch etwas anderes, das Sie von mir wollen?“
Conway nickte. „Brenner hat mir erzählt, daß seine aus Aufklärungsschiffen bestehende Flottille das Raumvolumen zwischen den Heimat- und Zielsternen dieser Wesen abdecken und den Suchvorgang nach weiteren dieser organischen Schiffe ausweiten könnte. Wahrscheinlich gibt es noch andere Vögel, vielleicht sogar Hunderte von ihnen.“
O'Mara öffnete den Mund und sah so aus, als würde er einen Bombardierkäfer nachahmen wollen. Doch bevor der Chefpsychologe etwas sagen konnte, fügte Conway hastig hinzu: „Ich will ja gar nicht, daß diese Rankenfüßer mitsamt ihren Raumvögeln hierhergebracht werden, Sir. Das Monitorkorps kann sie zu ihrem Bestimmungsplaneten bringen, ihren Überzug erst auf der Oberfläche entfernen, um Opfer beim Wiedereintritt zu vermeiden, und ihnen dann die Situation erklären.
Schließlich handelt es sich bei diesen Wesen nicht um Patienten, sondern um Kolonisten.“
ZWEITER TEIL
EINE ANSTECKENDE KRANKHEIT
Chefarzt Conway wand sich in einem Möbelstück, das eigentlich für das körperliche Wohlbefinden eines sechsbeinigen Melfaners mit Ektoskelett konstruiert worden war, in eine nicht ganz so unbequeme Sitzposition und sagte in gekränktem Ton: „Nach zwölf Jahren medizinischer und chirurgischer Erfahrung im größten Hospital der Föderation verspricht man sich von der nächstfolgenden logischen Stufe auf der Beförderungsleiter doch wohl etwas mehr als. als zum Fahrer eines Ambulanzschiffs ernannt zu werden!“
Die andere vier Wesen, die zusammen mit ihm im Büro des Chefpsychologen warteten, zeigten zunächst keinerlei Reaktion. Dr. Prilicla klammerte sich schweigend an die Decke — seine bevorzugte Position, wenn er sich in der Gesellschaft von Lebewesen befand, die größer und muskulöser waren als er. Zusammen auf einer illensanischen Bank saßen die ungewöhnlich hübsche Pathologin Murchison und eine raupenähnliche kelgianische Oberschwester mit silbernem Fell namens Naydrad. Auch sie schwiegen. Major Fletcher, dem man als erst kürzlich eingetroffenen Besucher des Hospitals aus Höflichkeit den einzigen physiologisch passenden Stuhl angeboten hatte, war der erste, der das Schweigen brach. „Man wird Ihnen aber nicht gestatten, das Ambulanzschiff zu fliegen, Doktor“, sagte er ernst.
Es war offensichtlich, daß Major Fletcher immer noch stolz auf die funkelnden Abzeichen eines Schiffskommandanten war, die seit neuestem die Ärmel seiner Monitoruniform schmückten, und sich bereits jetzt um das Wohlergehen des Schiffs sorgte, auf dem er in Kürze das Kommando haben würde. Conway erinnerte sich daran, bei Erhalt seines ersten Taschenscanners genauso empfunden zu haben.
„Also wirst du nicht einmal zum Fahrer eines Ambulanzschiffs befördert“, bemerkte Murchison lachend.
Naydrad beteiligte sich am Gespräch mit einer Reihe wimmernder und pfeifender Geräusche, die übersetzt lauteten: „Erwarten Sie etwa in einer Einrichtung wie dem Orbit Hospital so etwas wie Logik, Doktor?“
Conway antwortete nicht. Er dachte daran, daß über die Gerüchteküche des Hospitals, die einen normalerweise zuverlässigen Herd hatte, bereits seit Tagen die Neuigkeit verbreitet worden war, ein Chefarzt, nämlich Conway selbst, würde bald dauerhaft einem Ambulanzschiff zugeteilt.
An der Decke begann Dr. Prilicla als Reaktion auf Conways emotionale Ausstrahlung zu zittern. Deshalb versuchte dieser, seine Gefühle der Verwirrung und Enttäuschung unter Kontrolle zu bekommen.
„Bitte regen Sie sich wegen dieser Geschichte doch nicht unnötig auf, mein Freund“, bat der kleine Empath, und die rollenden Schnalzlaute der fast musikalischen Sprache des Cinrusskers überlagerten die emotionslos klingende Übersetzung aus dem Translator. „Zunächst einmal muß man uns noch von offizieller Seite über diese neue Aufgabe informieren, und ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß Sie dann angenehm überrascht sein werden, Doktor.“