Während Conway diese Bitte vorbrachte, löste sich Prilicla von der Decke und flatterte mit seinen schimmernden Flügeln zu der kelgianischen Operationsschwester hinüber, die zur Zeit nur noch wie ein silbriger Fellhaufen aussah. Er zog seinen Scanner heraus und untersuchte damit den Körper der Kelgianerin. Gleichzeitig bemühte er sich, die emotionale Ausstrahlung der DBLF-Raupe aufzuspüren, zu isolieren und zu bestimmen.
Doch während dieser Aktion zitterte Prilicla nicht mehr.
„Keine Reaktion auf körperliche Stimulierung“, berichtete Gilvesh von der Untersuchung Thornnastor s. „Normale Temperatur, Atmung aktiv, Herztätigkeit schwach und unregelmäßig, die Augen reagieren zwar noch auf Licht, aber… das ist merkwürdig, Conway. Offensichtlich ist die Lunge stark in Mitleidenschaft gezogen worden, aber die auslösenden Faktoren sind mir völlig unklar. Außerdem beeinträchtigt der daraus resultierende Sauerstoffmangel die Herz- und Gehirntätigkeit. Ich kann allerdings weder Anzeichen von Lungengewebeschäden entdecken, die durch das Einatmen ätzender oder hochgiftiger Substanzen entstanden sind, noch irgend etwas, das auf die Aktivierung von Thornnastors Immunsystem hinweist. Die Muskeln sind nicht angespannt und üben keinerlei Widerstand aus. Die willkürlichen Muskeln scheinen sogar vollkommen entspannt zu sein.“
Ohne den leichten Anzug zu öffnen, hatte Conway mit dem Scanner die oberen Atemwege, die Luftröhre, die Lunge und das Herz des Mitglieds des Transportteams untersucht und war zu genau den gleichen Ergebnissen gekommen. Aber bevor er noch etwas sagen konnte, schilderte Prilicla bereits die Untersuchungsergebnisse bezüglich der Kelgianerin.
„Meine Patientin zeigt die gleichen Symptome“, berichtete er. „Flache und unregelmäßige Atmung, der Herzschlag ist kurz vorm Flattern, die Bewußtlosigkeit wird immer tiefer, und es sind alle physischen und emotionalen Anzeichen von Atemnot vorhanden. Soll ich Edanelt auch untersuchen?“
„Das mache ich schon“, sagte Gilvesh schnell. „Prilicla, gehen Sie bitte zur Seite, damit ich nicht auf Sie drauftrete. Conway, meiner Meinung nach brauchen die vier so bald wie möglich eine Intensivbehandlung, und die Atmung muß sofort unterstützt werden.“
„Der Meinung bin ich auch, Freund Gilvesh“, pflichtete ihm der wieder zur Decke flatternde Empath bei. „Der Zustand aller vier Wesen ist außerordentlich ernst.“
„Gut“, entgegnete Conway knapp. „Teamleiter! Bringen Sie Ihren Mann, die DBLF-Raupe und den ELNT soweit wie möglich von der Patientin weg, aber in die Nähe eines Auslaßventils der Sauerstoffversorgung. Doktor Gilvesh wird das Anpassen der richtigen Atemmasken überwachen. Lassen Sie bitte den Anzug Ihres Teammitglieds versiegelt, und erhöhen Sie die interne Sauerstoffversorgung auf fünfzig Prozent. Was Thornnastor betrifft, werden Sie wohl den Rest Ihres Teams brauchen, um ihn auch nur…“
„Oder einen G-Schlitten“, unterbrach ihn der Teamleiter. „Auf der nächsten Ebene gibt es einen.“
„… ein paar Meter weit zu bewegen“, fuhr Conway ungerührt fort.
„Angesichts seines sich verschlechternden Zustands wäre es wohl besser, einen Schlauch an irgendeine Sauerstoffleitung anzuschließen und Thornnastors Atmung dort zu unterstützen, wo er gerade liegt. Und verlassen Sie unter keinen Umständen wegen eines Schlittens oder irgend etwas anderem die Station, bevor wir nicht ganz genau wissen, was hier drinnen freigesetzt worden ist. Sie müssen schon entschuldigen, aber das gilt übrigens für alle…“
O'Mara wollte einfach nicht mehr länger schweigend zusehen.
„Also ist bei Ihnen tatsächlich irgend etwas freigesetzt worden, Doktor?“ fragte der Chefpsychologe barsch. „Anscheinend handelt es sich ja um etwas viel Schlimmeres als um einen einfachen Fall atmosphärischer Verseuchung durch eine Nachbarstation. Haben Sie schließlich doch noch die Ausnahme entdeckt, die die Regel bestätigt? Einen Bazillus, von dem quer durch die Bank alle Spezies befallen werden…?“
„Meines Wissens können terrestrische Krankheitserreger nicht auf ETs übertragen werden, und umgekehrt funktioniert das auch nicht“, erwiderte Conway ungeduldig, wobei er sich O'Maras Gesicht auf dem Stationsschirm zuwandte. „Das ist also eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, aber auf dieser Station scheint das Unmögliche zu passieren. Und wir brauchen dringend Hilfe, um dieses…“
„Mein Freund“, unterbrach ihn Prilicla. „Thornnastors Zustand verschlechtert sich zusehends. Mittlerweile spüre ich bei ihm Strangulationsund Erstickungsgefühle.“
„Doktor“, ertönte nun auch die Translatorstimme von Gilvesh, „die Sauerstoffmaske der Kelgianerin nützt nicht besonders viel. Der doppelte Mund der DBLF und die mangelnde Kontrolle über die Muskeln werfen ernsthafte Probleme auf. Um einen vollständigen Stillstand der Atmung zu verhindern, benötigt die Schwester unbedingt eine Druckbeatmung der Lunge direkt durch die Luftröhre.“
„Können Sie bei der Kelgianerin einen Luftröhrenschnitt durchführen, Doktor Gilvesh?“ fragte Conway und wandte sich vom Bildschirm ab.
„Nicht ohne Physiologieband“, antwortete Gilvesh.
„Sie bekommen weder ein Band noch sonst irgendwas“, lehnte O'Mara in bestimmtem Ton kategorisch ab.
Conway fuhr zum Bild des Chefpsychologen herum und wollte protestieren, aber O'Maras Antwort kannte er bereits.
„Doktor, als Sie lebensbedrohlichen Verseuchungsalarm gegeben haben, war das, wie ich vermute, zwar nur eine instinktive, aber dennoch korrekte Handlung“, fuhr der Chefpsychologe grimmig fort. „Dadurch haben Sie wahrscheinlich Tausenden von Wesen im Hospital das Leben gerettet.
Aber ein Kontaminierungsalarm Stufe eins bedeutet nun einmal, daß der verseuchte Bereich bis zum Aufspüren und Beheben der Ursache der Kontaminierung abgeriegelt bleibt. Und im vorliegenden Fall ist das noch viel ernster zu nehmen. Bei Ihnen scheint nämlich ein Bazillus virulent sein, der die warmblütigen Sauerstoffatmer des Hospitals stark dezimieren könnte. Aus diesem Grund ist Ihre Station hermetisch abgeriegelt worden.
Ihnen stehen zwar weiterhin Energie, Licht, Kommunikations- und Übersetzungsgeräte zur Verfügung, aber Sie sind inzwischen vollständig vom Hauptluftversorgungssystem und dem automatischen Nahrungsvertriebsnetz abgeschnitten. Sie werden auch keinerlei Medikamente erhalten. Außerdem wird man kein Lebewesen, kein Gerät und keine Probe aus Ihrer Station herauslassen. Kurz, ich werde weder Doktor Gilvesh einen Besuch bei mir wegen eines Physiologiebands gestatten, noch irgendeinem kelgianischen, melfanischen oder tralthanischen Arzt die freiwillige medizinische Hilfe bei den betroffenen Wesen auf ihrer Station erlauben. Haben Sie das verstanden, Doktor?“
Conway nickte langsam.
Während O'Mara Conway mehrere Sekunden lang musterte, zeigte sich auf den kantigen Gesichtszügen des Chefpsychologen ein tiefes und für ihn ganz untypisches Mitgefühl. Es hieß, O'Maras normalerweise aggressive und sarkastische Art wäre nur seinen Freunden vorbehalten, in deren Gesellschaft er sich gern entspannte und bei denen er seiner Übellaunigkeit freien Lauf lassen konnte, ohne daß jedes Wort von ihm auf die Goldwaage gelegt wurde. Ruhig und mitfühlend sei er dagegen nur, wenn er sich in seiner Funktion als Psychologe über jemanden wirklich Sorgen machte.
Er hat unglaublich viele Freunde, dachte Conway, und im Moment stecke ich gerade bis zum Hals in Schwierigkeiten… „Sie wollen bestimmt wissen, wieviel Zeit ihnen noch verbleibt. Nun, die Werte ergeben sich aus den Sauerstoffvorräten auf der Station und in den Tanks und aus der Anzahl der momentan Anwesenden und dem für ihre jeweilige Spezies spezifischen Sauerstoffbedarf“, fuhr der Major fort.
„Diese Angaben kann ich Ihnen in ein paar Minuten übermitteln. Und noch etwas, Conway. Sehen Sie bloß zu, daß Sie eine Lösung finden…“