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Mehrere Sekunden lang starrte Conway auf den leeren Bildschirm und sagte sich selbst, daß er ohne Physiologieband weder Thornnastor noch Edanelt, der kelgianischen Schwester oder dem Teammitglied wirklich helfen konnte, die wie aus dem Nichts ihre Rollen als medizinische Kräfte mit denen schwerkranker Patienten vertauscht hatten.

Normalerweise hätte sich Dr. Gilvesh ein DBLF-Physiologieband ins Gehirn überspielen lassen und bei der Kelgianerin wie selbstverständlich einen Luftröhrenschnitt durchgeführt. Außerdem hätte der illensanische Chefarzt bei O'Mara wahrscheinlich auch gleich auf die Einspielung des tralthanischen Bands für Thornnastor und der ELNT-Version für Edanelt bestanden. Diesem Wunsch wäre der Chefpsychologe sicherlich auch nachgekommen, wenn er Gilvesh' psychische Verfassung für stabil genug erachtete hätte, kurzfristig drei Physiologiebänder auf einmal gespeichert zu haben. Aber Gilvesh durfte selbst dann nicht die Station verlassen, wenn sein eigenes Leben davon abhing — was schon sehr bald der Fall sein würde.

Conway bemühte sich, nicht an den schwindenden Luftvorrat in der Drucktragbahre zu denken, wo fünf oder sechs ETs rapide den in Behältern gespeicherten Sauerstoff verbrauchten. Er versuchte auch, den Gedanken an die Wesen zu verdrängen, die an den Wänden entlang mit den eigentlich für Patienten vorgesehenen Atemmasken verbunden waren. Den von den Mitgliedern des Transportteams und ihm selbst getragenen vierstündigen Sauerstoffvorrat oder die infizierte und verbrauchte Luft auf der Station wagte er sich gar nicht erst vorzustellen. Und die Überlegungen über die von Gilvesh mitgeführte, streng begrenzte Menge an atembarem Chlor oder die vom TLTU benötigte überhitzte Atmosphäre schob er gleich beiseite.

Zuallererst mußte er an die Patienten denken und versuchen, sie so lange wie möglich am Leben zu erhalten. Und das nicht nur, weil es sich um Freunde und Kollegen handelte, sondern auch, weil sie als erste befallen worden waren. Er mußte den Infektionsverlauf so vollständig wie möglich aufzeichnen, damit die Hospitalärzte aller Dienstgrade und Spezies später genau wissen würden, welche Krankheit sie zu bekämpfen hatten.

Aber der Kampf mußte erst einmal hier auf der Beobachtungsstation beginnen, und es gab ein paar Dinge, die Conway tun oder zumindest versuchen konnte zu tun.

Er sagte: „Gilvesh, gehen Sie doch bitte in die Ecke zu dem TLTU und dem Hudlarer mit der Maske. Ich weiß nämlich nicht, ob deren Translatoren mich auf diese Entfernung empfangen können. Bitten Sie die beiden, Thornnastor zu der freien Stelle an der Wand neben dem Eingang zur Schleuse zu bringen. Falls die beiden glauben, das schaffen zu können, weisen Sie sie darauf hin, daß man Tralthaner unter normalen Schwerkraftverhältnissen nie auf den Rücken drehen darf, weil sich dadurch die inneren Organe verlagern und die Atembeschwerden noch schlimmer werden können. Bitten Sie auch einen der Männer vom Transportteam, während dieser Aktion Thornys Maske festzuhalten.

Wenn Thornnastor sich schließlich an der Wand befindet, legen Sie ihn dort so hin, daß seine Beine in den Raum zeigen, und bitten Sie vier Teammitglieder, Ihnen bei…“

Während seiner Anweisungen dachte Conway an all die Physiologiebänder, die er sich während seiner beruflichen Laufbahn im Orbit Hospital gezwungenermaßen ins Gehirn hatte überspielen lassen müssen und die in einigen wenigen Fällen nicht vollkommen wieder gelöscht worden waren. Natürlich war keine dieser gleichzeitig seltsamen wie wunderbaren Persönlichkeiten, die diese Aufzeichnungen ihrer Gehirnströme zur Verfügung gestellt hatten, auch nur teilweise in seinem Gedächtnis zurückgeblieben, denn das hätte psychologisch äußerst gefährlich sein können. Doch konnte er sich noch bruchstückhaft an Informationen erinnern, die in erster Linie physiologische und chirurgische Verfahren betrafen, weil sich während der partiellen Kontrolle der ET-Persönlichkeit über sein Gehirn der terrestrische Teil für dieses Wissen ganz besonders interessiert hatte. Das, was er mit der kelgianischen OP-Schwester zu tun beabsichtigte, war sehr gefährlich — und da er an die Physiologie der DBLFs im Bereich der Atemwege eine nur noch äußerst vage Erinnerung hatte, konnte er es wahrscheinlich auch nur stümperhaft durchführen. Aber zuerst einmal mußte er etwas für Thornnastor tun, auch wenn es nicht mehr als eine Erste-Hilfe-Maßnahme war.

Der Druckanzug des TLTU-Arztes, dessen Spezies in einer Umwelt aus eßbaren Mineralien und extrem heißem Dampf lebte, glich einem auf Raupenketten montierten kugelförmigen Dampfkochtopf mit Fernbedienung. Dieses Fahrzeug war zwar eigentlich nicht zum Transport von bewußtlosen Tralthanern gedacht, konnte solch eine Aufgabe aber ohne größere Schwierigkeiten übernehmen.

Der hudlarische Arzt, der der Klassifikation FROB angehörte, war ein bulliges, birnenförmiges Wesen, dessen Heimatplanet die vierfache Erdanziehungskraft besaß. Die Atmosphäre auf Hudlar war voll von aufgelösten Substanzen tierischer und pflanzlicher Organismen, so daß sie einer dickflüssigen Suppe ähnelte. Obwohl die FROBs zu den Warmblütern gehörten und praktisch gesehen Sauerstoffatmer waren, konnten sie lange Zeit ohne Luft überleben, wenn sie ausreichend mit Nahrung versorgt wurden, die sie direkt durch den zwar dicken, jedoch äußerst durchlässigen Hautpanzer aufnahmen. Nach Conways Schätzung hatte sich der hudlarische Arzt die letzte Mahlzeit vor weniger als zwei Stunden auf die Haut gesprüht, dafür sprach die flockige Konsistenz der Nährstoffschicht auf dem Panzer. Eigentlich müßte der FROB also auch ohne Sauerstoffmaske lange genug aushalten können, um Thornnastor zu helfen.

„… während der TLTU und der Hudlarer Thornnastor zur Wand hinüberbringen, lassen Sie Ihre Leute die Drucktragbahre so nah wie möglich an die kelgianische Oberschwester heranschieben“, setzte Conway seine Anweisungen an den Leiter des Transportteams fort. „In der Trage befindet sich nämlich ein kelgianischer Diagnostiker. Bitten Sie ihn, mir bei der Durchführung des Luftröhrenschnitts die notwendigen Anleitungen zu geben, und sorgen Sie dafür, daß er durch die Hülle der Trage einwandfreie Sicht auf das Operationsfeld hat. Ich bin in ein paar Minuten bei der kelgianischen Schwester, sobald ich nach Edanelt gesehen hab.“

„Edanelts Zustand ist stabil, mein Freund“, berichtete Prilicla, der zu dem Hudlarer und dem zischenden, metallenen Schwerlaster des TLTUs respektvollen Abstand einhielt, als die beiden gerade Thornnastor zur Wand brachten. Der Cinrussker landete zur besseren Wahrnehmung der emotionalen Ausstrahlung Edanelts federleicht auf dem Panzer des Melfaners. „Er atmet zwar unter Schwierigkeiten, schwebt aber nicht in unmittelbarer Lebensgefahr.“

Von den drei betroffenen ETs hatte sich der Melfaner von der DBPK-Patientin während der Untersuchung und den nachfolgenden operativen Eingriffen die ganze Zeit am weitesten entfernt aufgehalten: das mußte irgend etwas bedeuten. Conway schüttelte verärgert den Kopf — es passierte einfach gleichzeitig zu viel, um auch nur einen klaren Gedanken fassen zu können. Er hatte überhaupt keine Chance nachzudenken… „Mein Freund“, sagte Prilicla, der mittlerweile zur DBPK-Patientin geflattert war. „Ich spüre bei der Patientin ein zunehmendes körperliches Unbehagen, das nicht mit den Verletzungen zusammenhängt und einer Art Befangenheit gleicht. Außerdem ist sie über irgend etwas äußerst beunruhigt, ohne allerdings Angst davor zu haben. Sie fühlt sich zutiefst schuldig und besorgt. Vielleicht leidet die Patientin nicht nur an den Verletzungen, die sie sich auf dem Schiff zugezogen hat, sondern auch an gewissen psychischen Störungen, wie sie bei Heranwachsenden, die in der Vorpubertät stecken, häufig vorkommen…“

Die geistige Verfassung der DBPK stand im Moment auf Conways Prioritätenliste ganz unten, deshalb war er nicht in der Lage, seine Ungeduld vor Prilicla zu verbergen.

„… darf ich die Gurte der Patientin ein bißchen lockern, mein Freund?“

fragte der Empath schnell.

„Ja, aber lassen Sie die Patientin bloß nicht frei“, antwortete Conway, merkte aber gleich darauf, daß diese Antwort ziemlich dumm gewesen war.