Die Rhabwar wird ihre Vorräte auffüllen und sich bereithalten, um auf den zu erwarteten Notruf der Descartes sofort zu reagieren…“
Skempton hatte noch eine ganze Menge über den voraussichtlichen Verlauf zukünftiger Ereignisse zu sagen. Dazu gehörte auch die hohe Wahrscheinlichkeit für die Verhängung einer strikten Quarantäne über den Heimatplaneten der DBPK-Patientin und dessen außerplanetarische Kolonien sowie die Verweigerung jeglichen Kontakts mit der neuen Spezies. Diese Quarantäne würde die Föderation schon zum eigenen Schutz verhängen müssen, was durchaus zu einem interstellaren Krieg führen könnte. Dann fiel auf einmal der Ton aus, obwohl Skempton ganz offensichtlich noch mit irgend jemandem außerhalb des Bildschirms sprach.
Und dieser jemand protestierte ebenso energisch gegen den nahe bevorstehenden Abflug der Rhabwar wie zuvor Conway.
Aber der oder die Abfluggegner gehörten zum medizinischen Personal, dem es um die Lösung eines einzigartigen Problems extraterrestrischer Physiologie oder Pharmakologie ging. Colonel Skempton hingegen wollte in seiner Eigenschaft als leidenschaftlicher Ordnungshüter des Monitorkorps bloß eine beängstigend große Zahl unschuldiger Wesen schützen. Wovor, wußte er allerdings selbst nicht.
Conway sah jetzt auf das Bild von O'Mara und sagte: „Sir, mir ist ebenfalls die äußerst erschreckende Gefahr der Ausbreitung einer bösartigen Infektion bewußt, die sogar zum Zusammenbruch der Föderation führen und den technologischen Rückfall vieler ihrer Einzelplaneten ins finstere Mittelalter bewirken könnte. Aber bevor wir handeln, müssen wir doch erst einmal etwas über die von uns zu bekämpfende Bedrohung wissen. Wir müssen also die Handlungen einstellen und nachdenken. Im Moment reagieren wir vollkommen übertrieben und unüberlegt. Könnten Sie nicht mit dem Colonel vernünftig reden, Sir, und ihn darauf hinweisen, daß eine Kurzschlußreaktion häufig mehr Schaden anrichtet als das…“
„Das machen Ihre Kollegen schon“, entgegnete der Chefpsychologe trocken. „Und zwar viel nachdrücklicher und überzeugender als ich das jemals könnte, bisher allerdings ohne Erfolg. Aber wenn Sie uns allen Kurzschlußreaktionen unterstellen, Doktor, dann werden Sie uns sicherlich demonstrieren, welch großen Sachverstand und welch ungemeine Kaltschnäuzigkeit die richtige Handhabung dieses Problems erfordert, nicht wahr?“
Warum mußt du zynischer… brauste Conway im stillen auf. Doch bevor er antworten konnte, gab es eine Unterbrechung. Thornnastors Analysator bildete plötzlich helle, unverständliche tralthanische Symbole ab und verbalisierte die Ergebnisse über die Verbindung mit dem Translator.
„Analyse der Proben eins bis dreiundfünfzig, gesammelt in der Beobachtungsstation eins, AUGL-Ebene“, begann die ausdruckslose Stimme. „Allgemeine Untersuchungsergebnisse: Sämtliche Atmosphäreproben enthalten Sauerstoff, Stickstoff und die üblichen Spurenelemente im normalen Verhältnis, außerdem geringe Mengen von Kohlendioxid, Wasserdampf und Chlor, die mit einer akzeptablen Austrittsmenge der Gase aus dem Lebenserhaltungssystem des TLTU und dem Schutzanzug des Illensaners, dem ausgestoßenen Atem der physiologischen Typen DBDG, DBLF, ELNT, FGLI und FROB sowie der Transpiration des ersten, zweiten und dritten dieser Typen in Verbindung stehen. In den Proben ebenfalls vorhanden sind die mit den Körpergerüchen der anwesenden Spezies, deren Körper nicht komplett von einer Schutzhülle umgeben sind, in Beziehung zu bringenden Erscheinungen, wozu auch bislang nicht verzeichnete Geruchsmoleküle gehören, die durch das Ausschlußverfahren der DBPK-Patientin zugeordnet werden konnten. Weiterhin sind sehr geringe Mengen Staub, Späne und Fasern nachzuweisen, die von den Wänden, Arbeitsoberflächen und Instrumenten abgetragen wurden. Einige dieser Substanzen können zwar ohne eine umfangreichere Probenentnahme nicht analysiert werden, aber sie sind alle biochemisch inaktiv und unbedenklich. Es sind darüber hinaus auch Follikel des terrestrischen Haars, des kelgianischen und des DBPK-Fells, Flocken abgefallener Nährlösung des Hudlarers und tralthanische und melfanische Hautschuppen enthalten.
Schlußfolgerung: Keine der in diesen Proben festgestellten Gasarten, gallertartigen Staubsuspensionen, Bakterien- und Virusformen ist für eine der sauerstoffatmenden Lebensformen gefährlich.“
Ohne es zu merken, hatte Conway den Atem angehalten. Als er ihn nun mit einem kurzen, schweren Seufzer der Enttäuschung wieder ausstieß, beschlug kurz das Visier seines Helms. Nichts. Der Analysator konnte nichts Gefährliches auf der Station entdecken!
„Ich warte, Doktor“, sagte O'Mara.
Conway blickte sich langsam auf der Station um. Er betrachtete den immer noch künstlich beatmeten Thornnastor, die kelgianische Operationsschwester und den mit ausgebreiteten Armen und Beinen daliegenden Melfaner, den stillen Gilvesh und den leise in einer Ecke des Raums zischenden TLTU, die völlig überfüllte Drucktragbahre und die unter Atemmasken steckenden Wesen mehrerer verschiedener Klassifikationen — sie alle sahen ihn an.
Irgend etwas befindet sich hier auf der Station, dachte er verzweifelt.
Irgend etwas, das sich in den Proben nicht nachweisen läßt oder vom Analysator jedenfalls als ungefährlich eingestuft wird. Ein Stoff, der auch an Bord der Rhabwar ungefährlich gewesen ist… Laut sagte er: „Auf dem Rückflug zum Hospital haben wir ohne jeglichen Körperschutz mehrere DBPK-Leichen untersucht und seziert und eine gründliche Untersuchung und Vorbehandlung der Patientin durchgeführt, all das hatte keinerlei negative Folgen. Natürlich ist es möglich, daß die terrestrischen und extraterrestrischen Wesen an Bord der Rhabwar eine natürliche Immunität besessen haben, aber so eine Deutung strapaziert meiner Meinung nach die Zufallswahrscheinlichkeit doch um einiges über die zulässigen Grenzen hinaus. Erst nach dem Transport der Überlebenden ins Orbit Hospital ist ein Schutz erforderlich geworden, weil Vertreter von vier verschiedenen physiologischen Typen einfach auf der Stelle zusammengebrochen sind. Wir müssen uns also fragen, wodurch sich die Umstände an Bord des Ambulanzschiffs und im Hospital unterscheiden oder unterschieden haben.
Wir sollten uns ebenfalls die Frage stellen, die schon Pathologin Murchison nach Beendigung ihrer ersten DBPK-Sezierung aufgeworfen hat“, fuhr Conway fort, „nämlich wie es angehen kann, daß eine solch schwache, scheue und offensichtlich unaggressive Lebensform wie diese die oberste Stufe der Evolutionsleiter ihres Heimatplaneten erklimmen konnte und dort lange genug geblieben ist, um sich zu einer Zivilisation zu entwickeln, die zu interstellaren Raumreisen befähigt ist. Die DBPKs sind Vegetarier. Sie besitzen nicht einmal Fingernägel, die ja der evolutionäre Überrest von Krallen sind, und scheinen keinerlei natürliche Verteidigungswaffen zu besitzen.“
„Und wie sieht es mit verborgenen natürlichen Verteidigungswaffen aus?“ fragte O'Mara. Conway wollte dem Major gerade eine Antwort darauf geben, aber Murchison kam ihm zuvor.
„Dafür gibt es keinerlei Anzeichen, Sir“, erklärte sie. „Besondere Aufmerksamkeit hab ich dem nackten bräunlichen Hautfleck am Ende des Rückgrats gewidmet, da dies das einzige unverständliche physiologische Merkmal des Wesens ist. Sowohl die männlichen als auch die weiblichen Leichname besitzen dieses Merkmal. Dabei handelt es sich um kleine Beulen oder Schwellungen von zehn bis dreizehn Zentimetern Durchmesser, die aus trockenem, porösem Gewebe bestehen. Sie sondern keinerlei Flüssigkeit ab und erwecken den Eindruck einer inaktiven oder verkümmerten Drüse oder eines Organs. Bei den Erwachsenen sind diese pigmentartigen Flecken von einer einheitlichen blaßbraunen Farbe. Die Überlebende hingegen, bei der es sich, soweit wir das beurteilen können, um ein Mädchen in der Pubertät oder Vorpubertät handelt, hat eine blaßrosa Stelle, die in dem Braun der Flecken der Erwachsenen gefärbt worden ist.“
„Haben Sie die Farbe analysiert?“ fragte O'Mara.
„Ja, Sir“, antwortete Murchison. „Ein Teil der Farbe wies bereits Risse auf und war abgeblättert, wahrscheinlich ist das passiert, als die DBPK die Verletzungen erlitten hat. Den Rest haben wir bei der präoperativen Säuberung vor dem Transport der Patientin ins Hospital entfernt. Die Farbe war organisch inaktiv und chemisch ungiftig. Unter Berücksichtigung des Alters der Patientin bin ich von einer zu kosmetischen Zwecken aufgetragenen Schmuckfarbe ausgegangen. Die junge DBPK hat wahrscheinlich versucht, älter zu wirken, als sie tatsächlich war.“