Conway nickte. Er hatte schon häufig auf eine Nachricht über Subraumfunk warten müssen, meistens um eine Antwort auf eine Anfrage nach den Umweltbedingungen eines Patienten zu erhalten, dessen physiologischer Typ dem Orbit Hospital unbekannt war, und dieser Funkspruch war dann wegen der Störungen dazwischenliegender Sternkörper nahezu unverständlich gewesen. Das Orbit Hospital war mit Empfangsanlagen ausgerüstet, die denen der Hauptstützpunkte des Monitorkorps ebenbürtig und um ein Vielfaches empfindlicher als die irgendeines Schiffs waren. Sollte das Orbit Hospital eine Nachricht mit den Positionskoordinaten des in Not geratenen Schiffs empfangen, dann würde diese innerhalb von Sekunden ausgewertet, von Störgeräuschen befreit und an das Ambulanzschiff weitergeleitet werden.
Natürlich immer vorausgesetzt, die Rhabwar hatte den Normalraum noch nicht verlassen.
„Ist über das Unglücksgebiet irgendwas bekannt?“ fragte Conway, wobei er seine Verärgerung zu verbergen versuchte, daß er bei allem, was außerhalb seines medizinischen Fachgebiets lag, wie ein völliger Anfänger behandelt wurde. „Gibt es vielleicht nahe gelegene Planetensysteme, deren Bewohner Kenntnisse von der Physiologie der möglichen Überlebenden haben?“
„Bei so einem Einsatz hatte ich eigentlich nicht erwartet, daß uns für die Suche nach Freunden der Überlebenden überhaupt noch Zeit bleibt“, antwortete Fletcher.
Conway schüttelte den Kopf. „Dann lassen Sie sich eines Besseren belehren, Captain“, entgegnete er. „Nach den Erfahrungen des Hospitals mit Rettungsaktionen können die Sicherheitsvorrichtungen eines Schiffs die Überlebenden mehrere Stunden oder sogar Tage am Leben erhalten, falls die Besatzung nicht schon innerhalb der ersten paar Minuten nach Eintreten der Katastrophe umgekommen ist. Außerdem ist es besser und sicherer, bei einer vollkommen fremden Lebensform eine Behandlung mit schmerzlindernden Mitteln einzuleiten, wenn nicht gerade ein chirurgischer Notfall vorliegt und falls man ihn finden kann, einen Arzt der Spezies des Verletzten zu rufen. Im Fall der dwerlanischen Patientin hätten wir das auch getan, wenn die Verletzungen nicht so schlimm gewesen wären. Manchmal kann es sogar noch besser sein, überhaupt nichts für den Patienten zu tun und dem natürlichen Heilungsprozeß ungestört freien Lauf zu lassen.“
Fletcher begann zu lachen, besann sich aber eines Besseren, als er Conways Ernst bemerkte, und tippte verlegen auf den Knöpfen des Steuerpults herum. Im riesigen Astronavigationswürfel in der Mitte des Kontrollraums erschien eine dreidimensionale Sternkarte mit einem verschwommenen roten Punkt im Zentrum. In dem durch die Projektion dargestellten Rauminhalt befanden sich ungefähr zwanzig Sterne, von denen drei in bewegungslosen Spiralen und Kringeln aus leuchtender Materie lagen.
„Dieser verschwommene Fleck sollte eigentlich ein scharfer Lichtpunkt sein, der die Position des in Not geratenen Schiffs genau bezeichnet“, erklärte der Captain entschuldigend. „Bisher kennen wir alle Positionen nur im Umkreis der nächsten einhundertsechzig Millionen Kilometer. Diese Gegend ist bis jetzt von den Föderationsschiffen noch nicht vermessen, ja noch nicht einmal angeflogen worden, weil niemand erwarten würde, in einem Sternhaufen, der sich noch in einer solch frühen Entstehungsphase befindet, bewohnte Planeten vorzufinden. Jedenfalls deutet die gegenwärtige Position des in Not geratenen Schiffs nicht automatisch darauf hin, daß es aus diesem Gebiet stammt, es sei denn, daß bereits kurz nach dem Sprung in den Hyperraum eine Funktionsstörung aufgetreten ist. Doch bei eingehenderer Untersuchung der wahrscheinlichen…“
„Was mir Kopfzerbrechen bereitet, ist, warum verunglückte Aliens nicht häufiger von den Angehörigen ihrer eigenen Spezies gerettet werden“, fragte Murchison schnell, als sie spürte, wie ein erneuter hochspezialisierter Vortrag über sie hereinzubrechen drohte. „Das kommt doch sehr selten vor, oder?“
„Das stimmt“, antwortete Fletcher. „Es gibt aber Aufzeichnungen über ein paar Fälle, wo wir auf technisch interessante Wracks gestoßen sind, auf denen wir zwar noch ein paar Gegenstände wie extraterrestrische Pin-up-Fotos, Zeitschriften und solche Sachen gefunden haben, aber keine toten Aliens mehr an Bord waren. Die Leichname und auch eventuell überlebende Schiffbrüchige hatte man bereits geborgen und abtransportiert.
Es ist schon merkwürdig, aber bislang sind wir noch nie auf eine Spezies gestoßen, die keine Achtung vor ihren Toten gehabt hätte. Sie dürfen auch nicht vergessen, daß ein Unglück im All für eine einzelne raumreisende Spezies ein ziemlich seltenes Ereignis darstellt und jeder von ihr organisierte Rettungseinsatz wahrscheinlich nicht umfangreich genug sein würde und womöglich zu spät käme. Für die Föderation hingegen, die sich über die gesamte Galaxis erstreckt und viele Spezies umfaßt, sind Raumunfälle alles andere als selten. Im Gegenteil. Man rechnet sogar mit ihnen, und unsere Reaktionszeit auf jedes beliebige Unglück ist deshalb äußerst gering, weil sich Schiffe wie dieses ständig in Bereitschaft halten und wir es uns zum Ziel gesetzt haben, als erste am Unglücksort einzutreffen.
Aber wir haben vorhin über die Schwierigkeiten bei der Ermittlung der ursprünglichen Kurskonstanten des zerstörten Schiffs gesprochen“, fuhr Fletcher fort, ohne sich von seinem eigentlichen Vortragsthema ablenken zu lassen. „Zunächst ist da einmal die Tatsache, daß zum Erreichen des Zielsystems häufig ein Umweg erforderlich ist. Diesen Umweg muß ein Schiff in Gegenden mit ungewöhnlicher Sternendichte, Schwarzen Löchern und ähnlichen Hindernissen im Normalraum nehmen, die außerdem stellenweise gefährliche Störungen im Hyperraum verursachen. Aus diesem Grund ist kaum ein Schiff in der Lage, sein Ziel in weniger als fünf Sprüngen zu erreichen. Außerdem gibt es dabei noch die mit der Größe des Unglücksschiffs und der Anzahl seiner Hyperantriebsgeneratoren zusammenhängenden Faktoren zu bedenken. Am wenigsten Schwierigkeiten wirft ein kleines Schiff mit einem Generator auf. Aber wenn ein Schiff die gleiche Masse wie die Rhabwar hat und zwei gekoppelte Generatoren besitzt oder wegen seiner ungeheuren Größe vier oder gar sechs Antriebsgeneratoren benötigt… also, dann hängt alles davon ab, ob die Generatoren gleichzeitig oder nacheinander ausgefallen sind.
Unser eigenes und vermutlich auch das Schiff, nach dem wir im Moment suchen, ist mit Sicherheitsschaltungen ausgestattet, die alle Generatoren deaktivieren, sobald einer ausfällt“, fuhr Fletcher fort. „Aber auch diese Sicherheitsvorrichtungen sind nicht immer narrensicher, weil bei der Abschaltung des Generators schon eine Verzögerung um den Bruchteil einer Sekunde ausreicht, daß der mit ihm über die Konstruktion verbundene Schiffsabschnitt in den Normalraum schießt und sich losreißt.
Durch die dabei auftretende unkontrollierte Bremsbewegung gerät das Wrackteil ins Trudeln und kommt vom ursprünglichen Kurs ab. Die ungeheure Erschütterung der Schiffskonstruktion führt zumeist auch bei dem oder den restlichen Generatoren zum Ausfall, und durch die Wiederholung dieses Vorgangs kann solch eine Ereignisfolge, die sich innerhalb von Sekunden im Hyperraum abgespielt hat, zu einer Verteilung der Schiffswrackteile über eine Distanz von mehreren Lichtjahren führen. Das ist auch der Grund, warum wir…“
Er unterbrach seinen belehrenden Vortrag, weil auf dem Steuerpult ein Lämpchen aufleuchtete und Lieutenant Dodds in forschem Ton meldete: „Hier Astronavigation, Sir. Noch fünf Minuten bis zum Sprung.“
„Entschuldigen Sie, Murchison“, sagte Fletcher. „Wir setzen die Besprechung ein andermal fort. Maschinenraum, bitte den Lagebericht.“
„Beide Hyperantriebsgeneratoren in optimalem Zustand, Sir.
Leistungsanpassung innerhalb des Sicherheitslimits“, entgegnete die Stimme von Chen.
„Lebenserhaltungssysteme?“
„Ebenfalls optimal“, erwiderte Chen. „Künstliche Schwerkraft auf allen Deckebenen auf ein Ge eingestellt. Im Hauptverbindungsschacht, den Generatorgehäusen und der Unterkunft des cinrusskischen Arztes auf null Ge.“