Fletcher hatte bereits mit Erfolg ausprobiert, ob er mit Haslam und Chen draußen vor dem Schiff und mit Dodds auf der Rhabwar den Funkverkehr in beide Richtungen aufrechterhalten konnte, indem er den Metallrumpf mit der Helmantenne berührte — denn auf diese Weise diente der Schiffsrumpf sozusagen als verlängerte Antenne. Jetzt kniete er sich hin und drückte auf den unter der Außenluke knapp über dem Boden angebrachten Schalter.
Die Luke schloß sich, und der Captain verfuhr ebenso mit dem gleichermaßen plazierten Schalter unter der Innenluke.
Ein paar Sekunden lang geschah gar nichts, doch dann hörten sie das Zischen der in die Schleusenkammer einströmenden Atmosphäre, und sie spürten, wie ihre aufgeblähten Anzüge durch den entstehenden Außendruck ein wenig eingedrückt wurden. Als sich die Innenluke schließlich öffnete und den Blick in einen langgestreckten, dunklen und anscheinend leeren Gang freigab, drückte Murchison geschäftig auf den Knöpfen ihres Analysators herum. „Was atmen die denn?“ fragte Conway. „Einen kleinen Moment noch, ich überprüfe das lieber zweimal“, antwortete Murchison.
Auf einmal öffnete sie das Visier, lächelte und sagte: „Beantwortet das deine Frage?“
Als er das eigene Helmvisier hob, knackten Conway wegen des leichten Luftdruckunterschieds die Ohren. „Die Überlebenden sind also warmblütige Sauerstoffatmer und benötigen ungefähr den auf der Erde herrschenden atmosphärischen Druck. Das erleichtert natürlich die Vorbereitungen zur Unterbringung auf der Station enorm.“
Fletcher zögerte kurz, dann öffnete auch er das Visier. „Zunächst müssen wir sie erst einmal finden“, gab er zu bedenken.
Sie betraten einen Korridor, der rundherum mit vollkommen glattem Metall ausgekleidet war — bis auf eine große Anzahl Beulen und Kratzer, die sich über eine Entfernung von ungefähr dreißig Metern bis in die Schiffsmitte erstreckten. Auf dem Boden am Ende des Gangs lag ein unidentifizierbares Etwas, das wie ein Gewirr von Metallstangen aussah, die aus einer dunkleren Substanz herausragten. Murchisons Fußmagneten verursachten laute, scharrende Geräusche, als sie darauf zurannte.
„Vorsichtig, Murchison“, rief Fletcher. „Falls Conways Theorie stimmt, haben sämtliche Schalter, Knöpfe und Hinweis- oder Warnschilder irgendwelche Sensor- oder Tastmechanismen. Und schließlich ist hier im Schiff immer noch Energie vorhanden, sonst hätte eben der Schleusenmechanismus nicht funktioniert. Wenn die Besatzungsmitglieder in vollkommener Dunkelheit leben und arbeiten, müssen wir mit den Fingern und Füßen denken lernen und dürfen nichts anfassen, was wie ein Rostfleck aussieht.“
„Ich werde schon vorsichtig sein, Captain“, antwortete Murchison.
An Conway gewandt sagte Fletcher: „Unter der Innenluke sitzt genau so ein Schalter wie bei den anderen.“ Er richtete den Helmscheinwerfer auf die fragliche Stelle und deutete dann auf einen kleineren Kreis, der sich ein paar Zentimeter rechts vom Schalter befand. „Bevor wir weitergehen, würde ich gerne den Zweck dieses Schalters herausfinden.“
„Na ja“, entgegnete Conway, „das einzige, was wir mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen können, ist, daß es sich bestimmt nicht um einen Lichtschalter handelt.“
Er lachte noch, als Fletcher auf die eine Hälfte des runden Betätigungsfelds drückte.
Murchison entfuhr vor Überraschung ein nicht eben vornehmes Grunzen, als der Korridor plötzlich von hellgelbem Licht aus einer unsichtbaren Quelle am anderen Ende des Gangs überflutet wurde.
„Kein Kommentar“, meinte der Captain nur.
Conway spürte, wie er vor Verlegenheit einen hochroten Kopf bekam, und murmelte irgend etwas wie, daß das Licht bestimmt dazu bestimmt sei, Besuchern das Leben an Bord problemloser zu gestalten.
„Falls diese hier Besucher gewesen sind, haben die aber sehr ernsthafte Probleme gehabt“, folgerte die am anderen Ende des Gangs angelangte Murchison. „Seht euch das mal an.“
Der Gang knickte am anderen Ende im rechten Winkel ab, aber der Zugang zum nächsten Schiffsabschnitt wurde durch ein massives Gitter versperrt, das aus seinen Verankerungen in Wand und Decke gerissen worden war. Hinter dem beschädigten Gitter ragten aus Decke und Wänden Dutzende von Metallstäben und — stangen in den Gang hinein. Aber Murchison, Fletcher und Conway schenkten dieser seltsamen Metallwucherung kaum Beachtung, weil sie auf die drei Extraterrestrier starrten, die in großen, getrockneten Lachen ihrer eigenen Körperflüssigkeit lagen.
Es handelte sich um zwei völlig verschiedene physiologische Typen, das sah Conway sofort. Der große Leichnam ähnelte einem Tralthaner, besaß aber weniger Masse. Außerdem waren die Beine unter dem halbkugelförmigen, am Rand leicht nach oben gewölbten Panzer kürzer.
Aus weiter oben im Panzer gelegenen Öffnungen wuchsen vier lange und nicht besonders dünne Tentakel, die in flachen, speerartigen Spitzen mit gezackten Knochenkanten endeten. In der Mitte zwischen zwei Tentakelöffnungen befand sich ein größerer Spalt im Panzer, aus dem ein Kopf heraushing, der fast nur aus Maul und Zähnen zu bestehen schien und gerade noch Platz genug für zwei Augen bot, die auf dem Bodden tiefer, knöcherner Krater lagen. Nach Conways erstem Eindruck handelte es sich bei diesem Geschöpf um nur wenig mehr als eine organische Tötungsmaschine.
Er mußte sich daran erinnern, daß auch dem Personal des Orbit Hospitals mehrere Wesen angehörten, die Mitglieder hochintelligenter und — sensibler Spezies waren und trotzdem immer noch die körperlichen Eigenschaften besaßen, die ihnen erst den Kampf an die Spitze der Evolutionsleiter ihres Heimatplaneten ermöglicht hatten.
Die beiden anderen Wesen gehörten zu einer viel kleineren Spezies mit weit geringerer organischer Bewaffnung. Ihr Körper war ziemlich rund, hatte einen Durchmesser von knapp über einem Meter und bildete im Querschnitt ein an der Unterseite leicht abgeflachtes, schmales Oval. Von der Form her ähnelten diese Wesen sehr stark ihrem Schiff — das hatte aber natürlich kein langes, dünnes, nach hinten stehendes Horn oder einen Stachel und auf der anderen Seite auch keinen langen, schmalen Schlitz, der offensichtlich der Mund war. Die Oberlippe dieses Mauls war breiter und dicker als die Unterlippe. Bei einem der Wesen hing sie über der unteren und verschloß auf diese Weise anscheinend den Mund. Beide Leichen waren oben und unten sowie an der Seite mit einer Art Stoppeln bedeckt, deren Dicke von der Stärke einer Nadel bis zum Umfang eines kleinen Fingers reichte. Die Stoppeln an der Unterseite des Körpers waren viel gröber als die auf der Oberseite. Offensichtlich dienten sie teilweise zur Fortbewegung.
„Es ist ganz klar, was hier passiert ist“, sagte Fletcher. „Als sich das große Wesen aufgrund ungenügender Sicherheitsvorkehrungen losgerissen hat, sind zwei Mitglieder der Spezies, die hier auf dem Schiff die Besatzung stellt, gestorben. Und die von Prilicla entdeckten Überlebenden sind mit der Situation vermutlich nicht fertig geworden und haben deshalb die Notsignalbake ausgesetzt.“
Eins der beiden kleineren Wesen hatte mehrere Schnitt- und Stichwunden erlitten und lag wie ein zerrissenes und zerknülltes Stück Teppich unter den Hinterfüßen seines Mörders. Sein weit weniger Wunden aufweisender, nichtsdestoweniger aber genauso toter Begleiter hatte fast die Flucht durch eine niedrige Wandöffnung über dem Boden geschafft, war vorher jedoch außer Gefecht gesetzt und von einem der Vorderfüße des Angreifers zu Tode gequetscht worden. Dieses Besatzungsmitglied war vor dem Tod aber noch in der Lage gewesen, dem größeren Allen an der Körperunterseite mehrere tiefe Stichwunden zuzufügen, und in einer dieser Wunden steckte noch das kaum mehr sichtbare abgebrochene Horn beziehungsweise der Stachel.
„Das sehe ich auch so“, pflichtete Conway dem Captain bei. „Aber eine Sache bereitet mir noch Kopfzerbrechen. Die blinden Aliens scheinen ihr Schiff zur Unterbringung der größeren Lebensform umgebaut zu haben.
Warum sollten sie sich mit dem Fangen einer so gefährlichen Spezies solche Mühe machen? Entweder haben sie die größeren ETs dringend gebraucht oder es aus irgendeinem Grund für äußerst nützlich gehalten, als blinde Besatzung das Risiko einer gemeinsamen Gefangenschaft mit diesen ETs auf einem Schiff einzugehen.“