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„Vielleicht haben Sie Waffen zur Reduzierung des Risikos“, entgegnete Fletcher. „Weitreichendere und wirkungsvollere Waffen als das Horn oder den Stachel, den die beiden da aus welchem Grund auch immer zu tragen versäumt haben, und wofür sie mit dem Leben bezahlen mußten.“

„Was für eine weitreichende Waffe könnte denn ein Wesen entwickeln, das einzig und allein über den Tastsinn verfügt?“ fragte Conway.

Murchison bemühte sich, den drohenden Streit abzuwenden. „Trotz der Blindheit der Aliens wissen wir nicht mit Sicherheit, daß sie nur über den Tastsinn verfügen“, stellte sie fest. „Und was den Wert der großen Lebensform für sie angeht — vielleicht stellt diese eine sich schnell vermehrende Nahrungsquelle dar oder möglicherweise enthalten das Zellgewebe oder die Organe der großen ETs wertvolle Bestandteile für Medikamente. Es kann sich aber auch um einen für unsere Begriffe völlig exotischen Grund handeln. Entschuldigen Sie mich.“

Sie schaltete den Anzugfunk ein und meldete knapp: „Naydrad! Wir haben hier drei Leichen zum Transport ins Labor. Legen Sie sie zur Vermeidung zusätzlicher Schäden durch Dekompression bitte in die Trage.“ An Conway und Fletcher gewandt fuhr sie fort: „Ich glaube nicht, daß mir die restlichen Besatzungsmitglieder die Obduktion ihrer Freunde übelnehmen würden, zumal der große ET ja schon mit dem Öffnen der Leichen begonnen hat.“

Conway nickte. Schließlich wußten sie beide: je mehr sie über die Physiologie und den Stoffwechsel der beiden toten Aliens herausfinden konnte, desto größer waren die Chancen, den blinden Überlebenden zu helfen.

Mit Fletchers Hilfe befreiten sie den großen Leichnam aus dem Käfig und dem seltsamen Dickicht aus Metallstäben und — stangen, von dem er auf den Boden gepreßt wurde. Dazu mußten Sie das von dem ET in den Käfig gerissene Loch vergrößern. Das erforderte die vereinten Kräfte von Fletcher, Conway und Murchison und vermittelte einen Eindruck von der Kraft des Wesens, das die Gitterstäbe verbogen hatte. Als sie den Alien befreit hatten, öffneten sich die Tentakel und blockierten beim freien Schweben des Leichnams in dem beschränkten Raum praktisch den gesamten Gang.

Während sie den Körper zur Luftschleuse schoben, sagte Murchison: „Die Verteilung der Beine und Tentakel ist zwar ähnlich wie bei der FROB-Lebensform vom Planeten Hudlar, aber der Panzer gleicht einem melfanischen ELNT-Ektoskelett ohne Zeichnung, und das Wesen ist auf jeden Fall kein Pflanzenfresser. Da es sich um einen warmblütigen Sauerstoffatmer handelt und die Gliedmaßen keinerlei Anzeichen für die Fähigkeit zum Gebrauch von Werkzeugen oder anderen Gegenständen aufweisen, würde ich den ET vorläufig als FSOJ und wahrscheinlich nichtintelligent klassifizieren.“

„Unter Berücksichtigung der Umstände ist er ganz sicher nichtintelligent“, stimmte ihr Fletcher auf dem Rückweg zum vergitterten Teil des Gangs zu.

„Es handelt sich bestimmt um ein ausgebrochenes Tier, Murchison.“

„Wir Ärzte legen uns nie fest“, entgegnete Murchison höflich lächelnd, „gerade, wenn es um eine brandneue Lebensform geht. Im Moment würde ich mir nicht einmal den Versuch einer Klassifikation der blinden Aliens zutrauen.“

Da sie die kleinste in der Gruppe war, zwängte sich Murchison vorsichtig durch das beschädigte Gitter und zwischen den aus Wand und Decke ragenden Stäben und Stangen hindurch. Wären nicht schon viele Stangen von dem großen ET verbogen worden, hätte sie nie im Leben zu dem blinden Alien gelangen können.

„Das hier ist ja ein äußerst merkwürdiger Käfig“, sagte sie völlig außer Atem, nachdem sie bei der Leiche angekommen war.

Trotz der hellen Beleuchtung des Korridors konnten sie das andere Ende des mit Gittern zum Käfig umfunktionierten Abschnitts nicht sehen, weil die vom Gang verfolgte Schiffskrümmung bei dieser relativ geringen Entfernung vom Mittelpunkt so scharf war, daß der Blick nicht weiter als zehn Meter reichte. Die aus den jedoch sichtbaren Korridorwänden und auch aus der Decke ragenden Metallstangen und — stäbe hatten teils scharfe, teils spatelförmige Spitzen, und ein paar wenige wiesen Enden auf, die kleinen und mit stumpfen Dornen besetzten Metallkugeln ähnelten. Die Wandschlitze, aus denen diese Stangen herausragten, waren so lang, daß die jeweilige Stange sowohl nach oben und unten als auch zu beiden Seiten große Bewegungsfreiheit hatte. Die Gitterstäbe hingegen, die aus mit Ringen eingefaßten, runden Löchern heraushingen, waren nur zum Hinein- und Herausstoßen gedacht.

„Ich finde den Käfig auch merkwürdig, Murchison“, pflichtete ihr Fletcher bei. „Obwohl ich ET-Technik studiert hab, kann ich damit überhaupt nichts anfangen. Es ist auf jeden Fall ein äußerst großer Käfig — wenn er sich sogar ganz ums Schiff erstreckt, sollte ich ihn vielleicht besser als sehr lang bezeichnen. Möglicherweise mußte er mehr als ein Tier beherbergen, oder das einzelne Tier hat viel Auslauf gebraucht. Das ist zwar nur eine Vermutung, aber ich würde sagen, die in den Gang ragenden Stangen und Stäbe stellen eine Art Hindernis dar, wodurch das Tier in jedem beliebigen Teil des Käfigs zur Fütterung oder zur körperlichen Untersuchung festgehalten werden konnte.“

„Das halte ich für eine höchstwahrscheinlich zutreffende Vermutung“, entgegnete Conway. „Und beim Ausfall der beweglichen Hindernisse ist das Metallgitter eine zusätzliche Sicherung, die in diesem Fall aber dem Angriff des Tiers nicht standhalten konnte. Ich frage mich bloß, wie weit dieser Gang dem Schiffsumfang folgt. Verlängert man nämlich diesen Bogen bis auf die andere Schiffsseite, dann gelangt man genau an der Stelle an, wo Prilicla die zwei Überlebenden entdeckt hat. Nach Prilicla hat einer der Überlebenden auf einer sehr niedrigen, womöglich tierischen Stufe Zorn ausgestrahlt, während die emotionale Ausstrahlung des zweiten Wesens weit differenzierter war.

Nehmen wir einmal an, am anderen Ende dieses Käfiggangs oder sogar außerhalb davon befindet sich zusammen mit einem weiteren großen ET ein schwer verletzter Alien, der mit dem Töten des Tiers nicht so erfolgreich war wie sein Besatzungskollege…“

Er brach ab, als Naydrad über Kopfhörer ihre Ankunft mit der Drucktragbahre vor dem Schiff meldete. Murchison schob den ersten Alien zur Schleuse und sagte: „Wenn Sie noch ein paar Minuten warten, Naydrad, können Sie alle drei Wesen in die Bahre legen.“

Fletcher hatte Conway, während der seine Vermutungen angestellt hatte, die ganze Zeit angestarrt. Dem Captain war die Abneigung gegen den Gedanken an einen weiteren großen FSOJ auf dem Schiff ganz deutlich anzusehen. Er deutete auf den Leichnam des zweiten blinden Aliens und sagte in besorgtem Ton: „Dieser hier wäre beinahe entkommen, nachdem er den FSOJ mit seinem Horn getötet hatte. Wenn wir wüßten, wohin er zu fliehen versuchte, müßten wir auch den Aufenthaltsort seines entkommenen Besatzungskollegen kennen.“

„Also lassen Sie uns danach suchen“, schlug Conway vor.

Die Zeit für die Überlebenden, egal, welcher Spezies sie auch angehörten, lief allmählich ab.

Auf Bodenhöhe befand sich eine flache, rechteckige Öffnung, die breit und hoch genug war, um einem blinden Alien das Passieren zu ermöglichen.

In dieser Öffnung steckte fast ein Drittel des flachen, runden Körpers des zweiten Aliens. Beim Versuch, ihn herauszuholen, stießen Fletcher und Conway auf Widerstand und mußten deshalb vorsichtig am Körper ziehen, um ihn freizubekommen. Dann schoben sie den Leichnam zu Murchison, die bereits darauf wartete, ihn zusammen mit den beiden anderen Leichen in die Luftschleuse zu bringen. Plötzlich wurden sie durch eine Meldung über den Anzugfunk in ihrer Tätigkeit unterbrochen.

„Sir! Auf der oberen Schiffsseite geht gerade eine Luke auf. Das sieht ganz aus, als ob… da fährt eine Antenne aus!“

„Prilicla, die Überlebenden!“ rief Conway schnell. „Ist davon einer bei Bewußtsein?“

„Nein, mein Freund“, antwortete der Empath. „Die beiden liegen immer noch in tiefer Bewußtlosigkeit.“

Fletcher starrte Conway einen Moment lang an. „Wenn die Überlebenden die Antenne nicht ausgefahren haben, dann haben wir das getan“, sagte er nachdenklich, „vielleicht beim Herausziehen des blinden Aliens aus der Öffnung.“ Auf einmal beugte er sich nach vorn und setzte die Hände auf den Boden. Dann schob er die Füße auf den Magneten nach hinten, bis er flach auf dem Boden des Gangs lag. Er drückte den Kopf dicht an die Öffnung, durch die der blinde Alien zu fliehen versucht hatte, und richtete den Lichtkegel des Helmscheinwerfers hinein. „Jetzt sehen Sie sich das mal an, Doktor!“ sagte er triumphierend. „Ich glaube, wir haben die Kommandozentrale gefunden.“