„Das bringt nichts“, stellte Fletcher fest. „Wir können uns zwar bis zu den Überlebenden durchschweißen, aber nur in kurzen Etappen, zwischen denen wir zur Ableitung der überschüssigen Hitze durch die Schiffskonstruktion und die anschließende Abstrahlung ins All lange Pausen einlegen müssen. Außerdem besteht die Gefahr, daß durch die Hitze möglicherweise die Isolierungen einiger Energiesteuerungsschaltkreise schmelzen, und das hätte unabsehbare Folgen.“
Er schlug mit der Faust so heftig gegen die Wand neben sich, daß es fast einem Wutausbruch gleichkam, und fuhr fort: „Den Nährboden aus den Lagerräumen zu schaffen wäre ebenfalls eine langwierige Arbeit, da man die Erde eimerweise von den Lagerräumen in den Gang, zur Schleuse und nach draußen bringen müßte. Und wir haben noch nicht einmal eine Vorstellung davon, welche Konstruktionsprobleme danach in den Lagerräumen entstehen. Ich glaube langsam, die einzige Möglichkeit ist das Hineinschweißen von außen. Aber da tauchen dann natürlich wieder neue Schwierigkeiten auf…“
Beim Schweißen durch den Doppelrumpf des Schiffs zu den Überlebenden würde nämlich ebenfalls eine Menge Hitze entstehen, besonders im Innern der transportablen Luftschleuse, die sie zur Verhütung eines versehentlich ausgelösten Druckverlusts im Schiff einsetzen müßten.
Auch bei dieser Vorgehensweise müßten wiederum lange Pausen zum Abzug der Hitze eingelegt werden, obwohl die Abkühlungsphase kürzer sein würde, da man ja bereits auf der Außenhaut wäre. Es gab aber außerdem das Problem des Zerschneidens der mechanischen Gestänge zwischen den in den Gang ragenden Stangen und Kolben. Denn dadurch würde im Schiff selbst große Hitze entstehen, die auf die Überlebenden nachteilige Auswirkungen haben könnte. Der einzige Vorteil dieser Vorgehensweise bestand in der Vermeidung des Risikos, von den Metallstangen zu Tode gestampft zu werden, wenn sich das System durch die Schweißarbeiten von selbst anschaltete… „… und übrigens, Doktor“, fügte Fletcher hinzu, wobei er seinen Vortragston abgelegt hatte, „meine Kopfschmerzen lassen langsam nach.“
Conway teilte ihm gerade mit, daß auch seine Kopfschmerzen allmählich verschwinden würden, als Prilicla das Gespräch unterbrach. „Freund Fletcher“, sagte er, „ich hab die emotionale Ausstrahlung der Überlebenden beobachtet, seit Sie den Mechanismus im Käfiggang abgeschaltet haben. Der Zustand der Überlebenden hat sich seitdem wieder ständig verschlechtert, und jetzt befinden sie sich in ähnlicher Verfassung wie bei unserer Ankunft, vielleicht hat sich ihr Zustand sogar noch mehr verschlechtert. Wir könnten sie leicht verlieren.“
„Das… das ergibt doch keinen Sinn!“ fluchte Fletcher und blickte Conway ratlos an.
Conway konnte sich lebhaft vorstellen, wie sehr Prilicla wegen Fletchers Wutausbruch und der damit einhergehenden emotionalen Ausstrahlung in seinem Raumanzug jetzt zittern mußte. Er konnte sich allerdings kaum einen Begriff von der Überwindung machen, die es den kleinen Empathen gekostet haben mußte, so zu sprechen, wie er es getan hatte, da Prilicla bei einer Meinungsverschiedenheit mit einem anderen Lebewesen intensive Schmerzen empfand.
„Vielleicht nicht“, sagte er deshalb schnell zu Fletcher, „aber es gibt eine Möglichkeit, das herauszufinden.“
Fletcher musterte ihn zwar mit bösem und verdutztem Blick, ging aber doch zur Öffnung vor dem Steuerpult. Schon ein paar Sekunden später setzten die Geräusche und die mechanische Tätigkeit im Käfiggang wieder ein — ebenso Conways Kopfschmerzen.
„Der Zustand der Überlebenden bessert sich wieder“, berichtete Prilicla.
„Wie weit hatten die sich denn das letztemal erholt?“ fragte Conway besorgt. „Können Sie anhand der emotionalen Ausstrahlungen sagen, ob der eine Alien gerade den anderen angreifen wollte?“
„Beide Überlebende waren ein paar Minuten lang bei vollem Bewußtsein“, antwortete Prilicla. „Die Ausstrahlungen waren so stark, daß ich die Unklarheit über ihren Aufenthaltsort beseitigen konnte. Sie sind nicht mehr als zwei Meter voneinander entfernt, und keiner von beiden plant einen Angriff oder hat einen Angriff geplant.“
„Wollen Sie damit sagen, ein blinder Alien und ein FSOJ bei vollem Bewußtsein liegen so nahe beieinander, ohne daß das Tier an einen Angriff denkt?“ fragte Fletcher in verblüfftem Ton.
„Vielleicht hat der blinde Alien einen Spind oder etwas Ähnliches zum Verstecken gefunden“, schlug Conway als Erklärung vor. „Und für den FSOJ bedeutet das in diesem Fall, ›aus den Augen, aus dem Sinn‹.“
„Entschuldigen Sie“, schaltete sich Prilicla erneut ein. „Ich kann auf keinen Fall mit absoluter Sicherheit sagen, ob die beiden Wesen verschiedenen Spezies angehören. Lediglich die Art der emotionalen Ausstrahlung deutet klar darauf hin. Der eine Alien strahlt Wut, Schmerzen und nur wenig andere Gefühle aus, während die Emotionen des zweiten Alien die Vielschichtigkeit eines vernunftbegabten Verstands aufweisen.
Vielleicht würde Ihnen ja helfen, wenn sie die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß es sich bei beiden um blinde Aliens handelt, von denen der eine einen schweren Gehirnschaden davongetragen hat, der das von mir wahrgenommene wilde, geistlose Emotionsmuster verursacht.“
„Eine nette Theorie, Doktor Prilicla“, entgegnete Fletcher. Plötzlich zuckte er zusammen und fuhr mit den Händen instinktiv zum Kopf, wurde aber durch den Helm abrupt daran gehindert. „Damit erklären Sie zwar die unmittelbare gegenseitige Nähe der Aliens, aber nicht die Beeinflussung ihres Zustands durch den Mechanismus im Käfiggang. Es sei denn, ich hab auf irgendeine Weise die Steuerungssysteme beschädigt und aus Versehen eine Verbindung zwischen dem Kontrollhebel für den Korridor und irgendeinem wichtigen Lebenserhaltungssystem hergestellt — vielleicht mit einem medizinischen Behandlungsgerät oder einem… ach, ich bin vollkommen durcheinander!“
„Wir sind alle durcheinander, mein Freund“, erwiderte der Empath.
„Daran besteht bei der allgemeinen emotionalen Ausstrahlung doch überhaupt kein Zweifel.“
„Lassen Sie uns an Bord der Rhabwar zurückkehren“, schlug Conway auf einmal vor. „Ich brauche ein bißchen Ruhe zum Nachdenken.“
Kurz darauf verließen sie das Schiff der blinden Aliens. Sie hatten Chen als Wache zurückgelassen und ihm eingebläut, Abstand zu halten und den Schiffsrumpf unter gar keinen Umständen zu berühren. Auch Prilicla kehrte mit ihnen zurück, da er nach eigener Aussage die Emotionen der Überlebenden wegen deren starken Ausstrahlung auch aus der Entfernung überwachen konnte. Der Grund dafür war der fortwährende Betrieb des Mechanismus im Käfiggang und die zunehmende Besserung des Gesundheitszustands der beiden Aliens.
Sie gingen durch die Schleuse des Unfalldecks an Bord und begaben sich direkt ins Labor, wo sie eine blutbespritzte Murchison und zahlreiche, über die Seziertische verstreute Leichenteile der FSOJs und des blinden Aliens vorfanden. Als Conway den Captain darum bat, den Grundriß des Alienschiffs mit den neuesten Daten und Informationen darzustellen, gesellte sich auch Naydrad zur Gruppe. Fletcher sah man die Erleichterung an, etwas zu tun zu haben, da er offensichtlich nicht das enge berufliche Interesse der anderen an den extraterrestrischen rohen Fleischstücken teilte, die über das ganze Labor verstreut waren.
Als der Grundriß auf dem Bildschirm des Labors erschien, bat Conway den Captain, ihn bei eventuellen Fehlern zu korrigieren, und gab dann einen Überblick über das vor ihnen stehende Problem.
Wie die meisten größeren Probleme setzte sich auch dieses aus vielen kleineren zusammen, von denen einige durchaus zu lösen waren. Da war zuerst einmal das Schiff der blinden Aliens, das nach vorläufiger technischer Untersuchung von der Konstruktion her einwandfrei war und noch über sämtliche Energiereserven verfügte. Seine Form glich einer zum Rand hin dünner werdenden Scheibe. In der Mitte dieser Scheibe befand sich ein Kreis, der ungefähr ein Drittel des Schiffsradius' einnahm und die Aggregate zur Energieerzeugung und damit in Verbindung stehende Geräte und Ausrüstungsgegenstände enthielt. Um diesen Bereich herum verlief ein kreisförmiger Gang, der mit der Luftschleuse durch einen kurzen, geraden Korridor verbunden war und in der Draufsicht wie eine Sichel mit einer runder Klinge aussah, deren Spitze beinahe an den Griff stieß. In dem kurzen Stück zwischen der Klingenspitze und dem Ende des Griffs befanden sich die Steuerpulte der blinden Aliens.